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II. Streitpunkte

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Die Reformdiskussion des Kaiserreichs durchzog ein tiefes Misstrauen gegen beamtete Richter, insbesondere gegen reine Juristengerichte. v. Liszt konstatierte, „daß es die Strafkammern und nur die Strafkammern sind, deren Urteile das Vertrauen des Volkes in unsere Strafrechtspflege erschüttert haben“[158]. Die Kritik der liberalen Öffentlichkeit entzündete sich an politischen Prozessen während des „Kulturkampfes“, an Verfahren wegen „Majestätsbeleidigung“ sowie an umstrittenen Urteilen in Presse- und Staatsschutzsachen.[159] Nachdem Preußen die Etablierung rein berufsrichterlich besetzter Strafkammern durchgesetzt hatte,[160] schien deren Ersetzung durch Schöffengerichte zunächst aussichtslos. Zum eigentlichen „Ausgangspunkt für die gesamte Reformbewegung“ wurde daher das Verlangen nach Einführung der Berufung gegen alle erstinstanzlichen Urteile (mit Ausnahme der Schwurgerichtsurteile).[161] Unter den Befürwortern einer Berufung gegen Strafkammerurteile herrschte freilich Streit über die Verortung (Landgericht/Oberlandesgericht) und Besetzung (Verhältnis Berufs- und Laienrichter) der einzurichtenden Berufungskammern. Während Anwaltschaft und Publizistik für die Berufung stritten, blieb das Schrifttum überwiegend skeptisch.[162] In einem mündlich-unmittelbaren Verfahren, so der Haupteinwand, basiere das zweite Urteil auf einer unsichereren Grundlage als das erste. Zudem handele es sich bei der Berufung um ein „zweischneidiges Schwert“ (v. Bülow), das eben auch der Staatsanwaltschaft die Macht gebe, Freisprüche aufzuheben.[163] Tatsächlich war es die Möglichkeit, missliebige Urteile zu korrigieren, die das Institut schließlich für die preußische Regierung interessant machte und selbst Bismarck in das Lager der Berufungsbefürworter übertreten ließ.[164]

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Gegenüber der Berufungsfrage trat der alte Streit über das Schwurgericht in den Hintergrund. In der Wissenschaft war die Vorherrschaft der Schwurgerichtsanhänger seit den 1880er Jahren gebrochen. Eine neue Wissenschaftlergeneration bedachte das Institut nicht mit vormärzlicher Empathie, sondern mit beißendem Spott: Schwurgerichte erschienen als „öde Mißgeburt der französischen Revolutionsgesetzgebung“, die Geschworenen als „Sonntagsrichter“, ihre Urteile als „Orakelsprüche“.[165] Ungeachtet derlei Rhetorik fand ein reines Laiengericht noch zu Beginn des 20. Jahrhunderts prominente Unterstützer, wobei etwa v. Liszt juristische Mängel zugestand, zugleich aber auf freiheitliche Traditionen verwies.[166] Jenseits der großen rechtspolitischen Streitfragen fand die Diskussion über die „Reform des reformierten Strafprozesses“ und die Beseitigung inquisitorischer Verfahrenselemente ihre Fortsetzung. In der Tradition zu liberalen Autoren der 1850/60er Jahre wurde weiterhin für die Reform des Vorverfahrens, die Stärkung des Unmittelbarkeitsgrundsatzes und die Einführung adversatorischer Verfahrenselemente gestritten.[167]

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