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Eine Welt voller abgeschirmter Menschen hatte den Zug gut zur Hälfte bevölkert. Abgeschirmt, weil so gut wie jeder Stöpsel, meist weiß, im Ohr hatte. Die Altersunterschiede der Reisenden waren durch die Größe der Kopfhörer ersichtlich. Je größer, desto jünger der oder die Beschallte. Randolf Metzger fand seinen Platz und konnte ganz ohne eigene Soundmaschine Musik hören. Wie eine Botschaft drang der alte Hit der Popgruppe Crowded House „You always take the weather, the weather with you!“ an sein Ohr. Als er sich eine bequeme Sitzposition suchte, überlegte er, ob dies eine Botschaft an ihn sei. Seine müden Gedanken kreisten um die letzten Jahre, Monate, dann Wochen, um schließlich bei dem gestrigen Abend zu landen. Mit dem Abstand einer fast ganzen Nacht war er richtig zufrieden, man hätte es fast Glück nennen können. Er brauchte für die tieferen Erkenntnisse immer etwas Zeit. Ereignisse, Gespräche, Menschen, die er traf oder seine eigenen Sätze, die er gesprochen hatte, wirkten meist nach - heute überwiegend positiv. An wichtigen und dann langen Abenden nicht betrunken zu sein, hatte absolute Vorteile. Der Sinn des Popsongs galt für ihn umso mehr, da er für sich feststellte, dass, egal wo er war, die Begleitumstände immer ähnlich waren. Die Situationen wiederholten sich wie das täglich grüßende Murmeltier. Sehnte er sich etwa nach dramaturgischer Abwechslung? Der junge Mann neben ihm war eingeschlafen und die Musik dröhnte weiter. Er wechselte den Platz. Außerdem liebte er Fensterplätze und jetzt konnte er ungestört nach draußen schauen. Es begeisterte ihn wie schon als kleiner Junge, die Landschaft vorbeirasen zu sehen und abwechselnd den Fokus von Nah auf Fern zu stellen. Die Naheinstellung war in Bewegung immer unscharf, die Distanz schaffte Klarheit. Ein schönes Spiel, das die Sinne schult. Er hatte noch einige Stunden Fahrt vor sich und beschloss den Augen ein wenig Ruhe zu gönnen und war direkt eingeschlafen.

Er hörte wieder das gleichmäßige Knirschen unter seinen Sohlen und der freie Atem mit dem immer gleichen Blick nach oben. Dieser Himmel und die Ruhe bei begleitender natürlicher Geräuschkulisse ließen ihn tief und fest schlafen.

Und als ob es Gesetz wäre, wurde er immer aus der schönsten Traumphase gerissen. „Fahrausweise bitte!“, stach es in sein Ohr. Er griff neben sich und erschrak, seine Tasche war nicht sofort zu spüren. Hatte man ihn beklaut während er schlief? Sein erster Gedanke galt nicht seiner Fahrkarte, sondern seinen beiden Lieblingsmessern, die er in einer festen Schatulle in seiner Sporttasche transportierte. Lange hatte er mit Messern herumexperimentiert und sich gegen den Hype gewährt, sündhaft teure japanische Modelle zu nutzen. Doch musste er sich irgendwann eingestehen, dass ein aus Damaststahl gefertigtes Messer den Genuss stark erhöhte, den er bei der Bereitung der Speisen empfand. Der schonende Schnitt verringert den Austritt ätherischer Öle und damit der Geschmacksstoffe und die Augen tränen nicht so sehr beim Zwiebelschneiden. Zudem hatte man meist noch ein Gesprächsthema mehr für ambitionierte Hobbyköche. Jetzt war der Zugschaffner bei ihm angekommen und blickte ihn fragend an. Er hob ratlos die Schultern und wollte gerade seiner Empörung Luft verschaffen, als er in der gegenüberliegenden Ablage seine Tasche entdeckte. Nach der Fahrscheinüberprüfung lohnte die Verlängerung seines Schönheitsschlafes nicht mehr, da er bald aussteigen musste.

Wie lange hatte er seine eigene Wohnung nicht mehr gesehen. Er besaß keine Zimmerpflanzen und brauchte sich deshalb keine Sorgen um deren Gesundheit machen und die Post holte eine Nachbarin für ihn aus dem Kasten. Auf ihn würde niemand am Bahnhof warten, aber er vermisste das nicht besonders, auch wenn er spontan daran dachte, Deborah anzurufen, oder zumindest zu testen, ob die Nummer, die sie ihm, und der Name, den sie sich gegeben hatte, irgendeiner Wahrheit nahekamen. Metzger war mit sich im Reinen als er auf dem Weg zur Zugspitze durch das Boardbistro ging. Mann war er froh, dass er nicht alte Bekannte traf, die ihn quer durch den halben Zug mit „Scheiße, Franky alter Junge!“ oder ähnlichem Peinlichkeiten aus der guten Stimmung rissen.

Das Gegenteil der Wirklichkeit

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