Читать книгу Das Gegenteil der Wirklichkeit - Marcel Karrasch - Страница 19
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ОглавлениеEr folgte Monique durch die Wagons und überlegte, welche Lebensgeschichte er ihr erzählen würde. Sein Standardrepertoire ließ ihn aus drei bis ins letzte Detail vorgezeichneten Werdegängen wählen. Sohn einer wohlhabenden Familie, der sich gegen die Zwänge dieser wehrte und lieber Philosophie studiert hatte; Lehrer aus Idealismus an einem Gymnasium für die Fächer Mathe, Sport und Geschichte oder die schnelle Karriere im Investmentbanking. Die letzte Möglichkeit wählte Frank Landweil besonders dann gerne, wenn er einen schnellen Rückzug noch in der Nacht vorhatte.
Monique lief zielsicher in das Boardbistro und deutete ihm an, an einem Platz in der Ecke sich hinzusetzen. Er war so irritiert, dass sie ihn „Max“ genannt hatte, dass er kommentarlos den Anordnungen folgte. Seine üblichen Namen, die er flüchtigen Bekanntschaften nannte, bewegten sich zwischen Martin, Felix und Finn (so hieß sein Neffe).
Es blieb ihm nicht viel Zeit, weiter über seine Namenswahl nachzudenken. Monique kam mit zwei Kaffeebechern an den Tisch zurück. Sie hatte brünettes Haar, das sie in einem streng geflochtenen Zopf trug, ihre Augen waren im Kontrast dazu tiefblau. Ein Blau, in dem er sich gleich verlor und die Situation drohte ihm zu entgleiten. Da fing er sich noch:
„Also Monique, Du studierst Kunstgeschichte und jobbst nebenbei als Kontrolleurin. Muss ich sonst noch was wissen, bevor wir heiraten?“, ein Klassiker der immer zog, zumindest abends in Bars bei der richtigen Frau. „Du sagst Leuten nicht Deinen richtigen Namen, reist ohne Gepäck nach Italien und läufst vor irgendetwas davon. Muss ich sonst noch etwas wissen, bevor ich die Polizei rufe?“, antwortete ihm Monique mit einem süffisanten Grinsen im Gesicht, wenig beeindruckt von seinem Flirt. Touché, er hatte sie offensichtlich unterschätzt. „Höchstens, dass ich zwei Millionen erbeutet habe bei meinem Überfall und ich bereit bin, mit Dir zu teilen“, gab er mit zaghafter Stimme wenig überzeugend zurück. „Bleibt noch der falsche Name“, sprach Monique. „Die Menschen mögen ihn, sie verbinden keine schlechten Eigenschaften mit einem Maximilian“, log er ihr zurück und wollte am liebsten wieder zu seinem Sitzplatz verschwinden.
Ihr Gespräch wurde unterbrochen, als ein Kollege von Monique an den Tisch kam und sie zu einer Besprechung mitnahm. Er versicherte ihr, dass er hier warten würde und war gedanklich schon damit beschäftigt, einen galanten Rückzug vorzubereiten.
Er schaute aus dem Fenster und versuchte, der Fahrt etwas Sinnhaftes abzugewinnen, das leichte Vibrieren in seiner Hosentasche bemerkte er zunächst nicht. Nach einer kleinen Ewigkeit konnte er es endlich seinem Smartphone zuordnen und nahm das Gespräch an. Es war sein Bruder. Er befürchtete, dass es eines dieser bedeutungslosen Small-Talk-Gespräche würde, die sein Bruder tätigte, um sein schlechtes Gewissen zu beruhigen. Dementsprechend lustlos begann er das Telefonat. Als er nach fünf Minuten auflegte, hatte sich seine Situation geändert. Sein Bruder und er hatten für ihre Eltern und Großeltern und eine Reihe anderer Familienmitgliedern und Freunden ein Essen organisiert, ein Koch kam extra in die Villa Steinfeld, das Haus seines Bruders.
In seiner momentanen Gefühlsverfassung war sein erster Gedanke, einfach abzusagen oder sich Ausreden zu suchen, doch kamen seine Großeltern extra aus Frankreich, um den Abend mit ihnen zu verbringen. Er musste nach Frankfurt, das Treffen fand bereits am nächsten Tag statt. In dem Augenblick kehrte Monique zurück und als sie sich setzte, ließ Landweil ihr keine Zeit zum Verschnaufen.
„Was machst Du morgen Abend?“, fragte er, kaum saß sie. „Ich weiß nicht, vielleicht wandere ich nach Thailand aus, warum?“, gab sie zurück und war sichtlich noch in ihrem Spaßgespräch. „Du begleitest mich zu einem edlen Essen, wir kaufen Dir in Mailand ein Kleid für den Anlass“, entgegnete er mit einer Stimme, die er sonst nur in Meetings verwendete. „Aber Du bringst mich nachdem Essen nach Hause, Frank. Und Kleider kaufen lasse ich mir sonst auch nicht“, feuerte Monique und raubte ihm damit die Sprache.