Читать книгу Das Gegenteil der Wirklichkeit - Marcel Karrasch - Страница 14

12

Оглавление

Genießen: Metzger wollte den ersten Tag in seiner eigenen Wohnung ruhig angehen und sich einfach selbst etwas gönnen. Hatte er sich die letzten Tage bemüht, anderen Menschen das Genusstheater gekonnt aufzuführen, sollte er heute selbst sein eigener Gast und Gastgeber zugleich sein. Allein der Gedanke, das „Genusstheater“ als solches einmal für sich durchgängig zu definieren, erfüllte ihn mit einer solch großen Vorfreude, dass er dies schon als Genuss empfand. Die Autosuggestion, sich schöne Dinge vorzustellen und dann ein wenig die damit verbundenen Gefühle zu imaginieren, war immer wieder eine schöne Erfahrung. Er erinnerte sich an eine interessante Abhandlung über die mentale Vorbereitung erfolgreicher Wettkampfsportler vor großen Herausforderungen, die sich zwar nicht den Sieg an sich vorstellen, aber die erfolgreiche Aneinanderreihung der wichtigen Abläufe. Die Konzentration im Startblock, der Start, die ersten Meter in noch geduckter Haltung, das Aufrichten und so weiter und so weiter bis hin zur Staffelübergabe. Wie er selbst wusste, bei Team-Wettbewerben wie im richtigen Leben die eigentliche Herausforderung. Was jedoch – so die Wissenschaft – mit der richtigen Einstellung wesentlich seltener zum Desaster führte.

Diese Theorie, dass allein die positive Vorstellung von Abläufen zum Erfolg führen konnte, zeichnete ihm ein breites Grinsen auf sein von den letzten Tagen etwas müdes Gesicht. Konnte er sich für den Abend ein nettes Erlebnis herbeikonstruieren?

Doch vor das mentale Genießen hatte die Realität die noch unaufgeräumt hinterlassene Wohnung gesetzt. Er war vor rund drei Wochen quasi zu einer Tournee aufgebrochen, hatte sechs Aufträge in unterschiedlichen Städten abgearbeitet und jetzt musste Auftrag Nummer sieben erledigt werden. Ohne Messer und Gewürze. Er wirbelte eine gute Stunde durch die Wohnung, begrüßte beim Wegräumen lauthals seine sieben Sachen und knüpfte wieder bei der Imagination für seinen persönlichen Abend an. Er malte sich ein für diese Jahreszeit optimales Abendessen aus. Zu sich selbst war er deutlich ehrlicher und reduzierte die Abfolge auf das Wesentliche, ohne das übliche Chichi, das die manchmal hohen Preise zu rechtfertigen versuchte. Für die warme Jahreszeit schien ein Tintenfisch-Carpaccio mit einem leicht fruchtigen Dressing ein idealer Start. Und wenn er schon auf der Fischlinie war, wäre ein Seeteufel ein gelungener Hauptgang, über dessen Zubereitung er noch ein wenig nachdachte. Erfolgreiche Autosuggestion setzte ein hohes Maß an Wissen um die gewünschten „Bilder“ und auch Erfahrung voraus. War der erste Gedanke eher kindlich nach dem Motto gestrickt, „Ich muss mir nur vorstellen, wie ich die Millionen ausgebe, dann muss ich nur noch Lotto spielen und schon klappt es!“, nahm er sein Vorhaben nun ernst. Kreativität hinsichtlich des Machbaren, der Zutaten und Zeitplanung. Den dritten Teil hatte er in den letzten Tagen oft übersprungen und zu stark auf die ersten beiden Teile gesetzt, um den dritten Teil durch noch mehr Mut und Improvisation zu ersetzen. Hätte er die letzten Aufträge mit besserer Vorbereitung etwa mehr genießen können? Er wollte es auf jeden Fall das nächste Mal versuchen. Er verfing sich in seinen philosophischen Gedanken und steckte plötzlich fest. Die letzten Tage hatten Metzger offensichtlich zugesetzt. Ihm gingen mathematische Gleichungen bezüglich perfekter Imagination durch den Kopf und er verlor darüber den Faden zu seinem eigentlichen Vorhaben. Die Aufträge der letzten Tage flogen rückwärts durch seine Gedanken. Erst servieren und dann die Zutaten beschaffen, danach Fische ausnehmen – alles drehte sich im Kreis. Als Metzger wieder in der Realität ankam, saß er auf seinem lehnenfreien Hocker in der Küche. Seine Augen blieben am Kühlschrank haften. Seine Hoffnung beruhte darauf, dass noch kaltes Bier darin lagerte. Metzger stand auf und öffnete vorsichtig die Kühlschranktür, als ob er mit zu schnellem Öffnen ein Bier verschrecken könnte. Es langweilte sich tatsächlich noch ein einsames Feldschlösschen im obersten Fach. Das war eindeutig zu wenig, um es sich gemütlich zu machen. Er musste doch nochmals das eigene Nest verlassen. Sollte er sich noch verabreden?

Als das Telefon klingelte, beschloss er, jedes halbwegs gute Angebot anzunehmen sich durch die Stadt treiben zu lassen.

Das Gegenteil der Wirklichkeit

Подняться наверх