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Ein langgezogenes Pfeifen, dann ein nervöses Schnattern und wieder ein Pfeifen ließen ihn zum wiederholten Male den Kopf in den Nacken legen und den Himmel nach den Greifvögeln absuchen. Dieser war stahlblau und keine Wolke oder gar Kondensstreifen eines Flugzeuges störten diesen reinen und erhabenen Anblick. Eine große innere Ruhe durchzog seinen Körper. Der Kies des Pfades knirschte in schöner Regelmäßigkeit unter seinen Sohlen, der Atem ging ruhig und nur diese majestätischen Vögel, die ihn nun schon seit einiger Zeit begleiteten, verursachten kleine Unterbrechungen auf seinem Weg. Wie lange er schon ging und die Gleichmäßigkeit der Schritte, des Atmens und der Gedanken genoss, konnte er nicht mehr sagen, es war einfach herrlich befreiend.

Ein kräftiger Stoß an seine Schulter ließ ihn herumfahren, die Faust geballt und schon in Richtung des vermeintlichen Angreifers beschleunigt, erreichte noch rechtzeitig ein akustischer Reiz sein Gehirn und verhinderte eine blutige Nase, Streit und all das unnötige Zeug. „Randy, bist Du verrückt, hast Du geträumt oder hast Du irgendwas genommen? Du stehst hier mit offenem Mund am Fenster und glotzt, als ob Dir jemand Deine erste Legoeisenbahn weggenommen hat! Man fragt nach dem Maestro. Du weißt schon.“ Aus einem seiner liebsten Tagträume gerissen, straffte er seinen Körper, setzte das Ich-habe-alles-im-Griff-Grinsen auf und ging in das Esszimmer der durchaus geschmackvollen Villa.

Randy meinten ihn Einige nennen zu müssen, weil er auch zeitweise in L. A. gekocht hatte – wenn man seinen Erzählungen glaubte - und wiederum Andere daraus schlossen, dass er dort in Promikreisen unterwegs gewesen war. Er konnte seinen Spitznamen ebenso wenig leiden wie seinen Richtigen, aber ihm war noch kein Wunschname eingefallen, um sich eine besserklingende Vornamensverpackung zuzulegen. Bei den Gerüchten seines Umgangs in L.A. hatte er selbst etwas nachgeholfen und daher wenig gegen die mäandernden Ausschmückungen. Es hob den Preis und eben darum ging es – unter anderem. Was jetzt erwartet wurde, war die Geschichte hinter den einzelnen Gängen, die soeben in den Mägen der Gäste verschwunden waren. Je nach Laune und den ersten Reaktionen verschaffte er den Gästen durch seine Erzählungen weitere imaginäre Geschmackserfahrungen und Wohlbefinden oder auch Unbehagen, sollte er die Entstehungsgeschichte oder die Herkunft der Zutaten in Gegenden verlegen, die diese Klientel ungern bei Tag betreten würde oder allein vor lauter Mitleid meiden würde. Die nackte Wahrheit taugte selten für die eine oder andere Variante, also musste er jeweils sehr, sehr schnell improvisieren. Und wer will bei dem Preis schon die Wahrheit wissen?

Er betrat den geschmackvoll eingerichteten Raum und die Gäste seines Auftraggebers wurden zu seinem Publikum. Der übliche, meist peinlich vorgetragene Dank der Gastgeber an die Küche, die gesamte Crew und schlussendlich an ihn selbst, ließ ihm Zeit sein Publikum zu taxieren. Die Papierform kannte er schon durch die Lobpreisungen seiner Auftraggeber, jetzt galt es diese mit der Realität - seiner Realität - abzugleichen. Wer war der übliche Zotenreißer, wo saß die schon angetrunkene Gattin, der man nicht zu offensiv zulächeln sollte, wer verstand wirklich etwas vom Kochen und hinter wem lauerte der nächste Auftrag. Also, wie immer langsam einsteigen, die Geschichte und die Zutaten mussten irgendwie synchronisiert werden und es durfte alles sein, nur nicht annähernd gewöhnlich. Das war die Herausforderung.

Er war gerade dabei, die Entstehung des Rezeptes in eine abenteuerliche, ausgeschmückte Räuberpistole zu verpacken, als er ein Gesicht wiedererkannte. Diese außerordentlich hübsche junge Frau, leicht verdeckt von einem ebenfalls gut aussehenden, aber knapp zehn Jahre älteren Mann mit Clark Kent-Brille, war die gleiche, die zumindest zur Hälfte für seine verspätete Anreise verantwortlich war. Hatte er ihr seinen richtigen Beruf oder nennen wir es Beschäftigung genannt oder hatte er die Regisseuren-Nummer oder eventuell gar nichts erzählt? Es war ein schöner, sehr lustiger Abend und deshalb hatte er ja auch dort verschlafen. Er musste pokern und vermied lediglich die lange Vorrede, wie schwierig es ist, in Gütersloh diese Wurzel oder jene Kraut oder den wahnsinnig frischen Sankt Petersfisch zu finden. Zutaten, die man innerhalb von vier Stunden in gerade einmal drei unterschiedlichen Läden besorgt, taugen nicht zur Legendenbildung. Er hoffte, dass sie den vorletzten Abend und die darauffolgende Nacht ebenfalls genossen hatte und ihm jetzt die Show nicht verdarb.

Das Gegenteil der Wirklichkeit

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