Читать книгу Das Gegenteil der Wirklichkeit - Marcel Karrasch - Страница 16
14
ОглавлениеAls Randolf Metzger die Augen öffnete, musste er sich erst orientieren, wo er sich befand. Die Situation war nicht ungewöhnlich für ihn, da er ja oft unterwegs war und sich oft morgens erst einmal zurechtfinden musste. Der Blick zur Zimmerdecke verriet ihm schnell, dass er in seinen eigenen vier Wänden war, da ihn eine selbstgemalte Sonne, die mit einem Auge zwinkert, anlachte. Was ihm der starre Blick nach oben nicht verriet, war, dass er neben seinen noch weitere Atemgeräusche vernahm. Rechts neben ihm lag ein dunkler Haarschopf, aus dessen ihm abgewandter Seite ein stilles und gleichmäßiges Geräusch hörbar war.
Als es gestern klingelte, hatte er noch keinen rechten Plan für den Abend und seine hilfsbereite Nachbarin, die ihm auch den Postkasten leerte, stand vor der Tür, lächelte ihn an und erkundigte sich bei der Übergabe eines ansehnlichen Stapels Post nach seinen Befinden und ob er nun ein paar Tage länger als gewohnt in der Stadt sei. Von dem Empfinden beflügelt, sich für die vielen einseitigen Dienstleistungen, die er bisher empfangen hatte, zu revanchieren, fragte Metzger, ob er sie gelegentlich als Gegenleistung einmal einladen dürfe. Gewohnt an die floskelhafte Kommunikation, die er aus seinem beruflichen Umfeld kannte und solche Einladungen lediglich als Höflich- oder Nettigkeiten gewertet wurden, war er doch sehr überrascht, als Frau Bieler schlagfertig antwortete, dass sie die Einladung gern annehme, sie sich allerdings noch schnell umkleiden müsse und man dann ja „wieterschnörre chönt“. Ihm gefiel das lustige Schweizerdeutsch seiner schlagfertigen Nachbarin und überlegte, welche Form der Einladung die nette Frau sich nun vorstellte. Ein Abendessen in der Qualität, die er bevorzugte, konnte er sich mitten in Zürich nicht leisten. Aus seinen Notreserven an Lebensmitteln konnte er nichts Adäquates zaubern, was die andauernde Hilfsbereitschaft eventuell gefährdet hätte. Als er nochmals abwog, ob eine Dose Thunfisch, das halbe Kilo Standardpasta und die paar eingefrorenen Kräuter doch reichen würden, klingelte das Telefon und Frau Bieler fragte, ob neunzehn Uhr passen würde und sie ein gute Bar für den Start kenne, falls sie ihn mit ihrer Spontanität überrascht hätte. Er sagte: „Das ist ein guter Plan!“
OK, er hatte innerhalb von ein paar Minuten jegliche Selbstbestimmung aus der Hand gegeben. Frau Bieler war wahrscheinlich ein wenig älter als er, eventuell auch schon über vierzig. Was für ein Etablissement würde sie vorschlagen? Fing es ab vierzig schon an, dass es ein wenig plüschig wurde oder ging man eher in die Beitz um die Ecke? Er überlegte welchen Kontervorschlag er unterbreiten könnte, schließlich ist er ja der Einladende. Die Rimini Bar schien ihm angebracht, da sie eine gewisse raue Herzlichkeit besaß, aber gute Drinks zu, für Schweizer Verhältnisse, erträglichen Preisen bot. Dazu konnte man auch ein ordentliches Club Sandwich essen.
Sie schlug die Bar Corazon vor und es wurde ihm ein wenig unangenehm. Er kannte die Bar zwar nicht, aber der Name lies der Phantasie einen gewissen Raum, den er für heute und mit der Nachbarin nicht auszufüllen gedachte.
Die Bar war klasse. Als sie eintraten und er die lange rechtwinklige Theke sah, die Ecke schön rund geschwungen, ging sein Herz auf. Der Name der Bar hatte ihn damit schon einmal persönlich berührt. Judith, so wurde sie vom Barkeeper begrüßt, dirigierte ihn an die kurze Seite der Bartheke, was seiner persönlichen Vorliebe ebenfalls entsprach. Diese Wahl gestatte es, dem Barmixer schön auf die Finger zu schauen, um zu lernen, aber auch ein wenig auf die hygienischen Verhältnisse zu achten. Zum Start immer einen Klassiker, Daiquiri, einen trockenen Martini oder einen Whiskey Sour, da konnte im Normalfall nichts schiefgehen.
Eine Bewegung neben ihm im Bett riss ihn aus seinen Erinnerungsfetzen des gestrigen Abends. War doch etwas schiefgegangen?