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Frank Landweil erschrak, als er seinen Namen hörte. „Franky“ nannten ihn nur Freunde aus seiner Schul- oder Studienzeit. Er hatte bis auf zwei, mit denen er in einem sporadischen E-Mail-Kontakt stand, keine Bekannten mehr aus diesen Lebensabschnitten. Zumindest keine, die aus seinem direkten Studienumfeld stammten. Mit gutem Grund. Die beiden Männer standen am Ende des Wagons und er erkannte nicht, wer ihn da rief. Er hätte am liebsten ein einfaches „Nein, Sie müssen mich verwechseln!“ entgegnet, aber dafür was es schon zu spät. Einer der beiden hatte sich in Bewegung gesetzt und kam auf ihn zu.

„Na klar! Franky Hanky Landweil, das bist doch Du!“, rief der Fremde, der ihm langsam bekannter vorkam.

„Julius Steltzer?“, fragte Landweil den großgeratenen mit einem jugendlichen, etwas peinlich aussehenden Kapuzenpullover bekleideten Mann.

„Ja sicher, ich bin Julez. Wir waren im gleichen Leistungskurs gewesen damals. Mensch, das ist ja ewig her. Was machst du so? Warum bist du so schick unterwegs?“

Landweil war vom gesamten Auftritt Julius Steltzers beschämt. Schlimmer noch, er war angewidert. Ein Mann Mitte 30, der sich selbst noch mit „Julez“ vorstellte und in einem Kapuzenpullover durch das Land fuhr, war für ihn das Sinnbild einer gescheiterten Persönlichkeit. Von dem Kommentar, dass er so schick sei, mal ganz abgesehen.

„Nach dem Abitur bin ich direkt an die Universität und habe BWL und Staatswissenschaften studiert, dann wurde ich abgeworben. Ich bin jetzt beim BND. Du verstehst, dass ich Dir nicht viel mehr dazu sagen kann. Was machst du?“, fragte er und war interessiert, ob „Julez“ eher arbeitslos oder hipper Lehrer war. Als Quereinsteiger natürlich.

„Ahh der Landweil, immer noch der alte Streber! Ich bin erstmal ein bisschen durch die Welt gereist – Thailand, Vietnam, Kambodscha, die ganze Ecke da. Wollte erstmal zu mir finden und dann schauen, was ich mache. Hab dann angefangen Komplementärmedizin zu studieren, aber wieder abgebrochen. Gerade bin ich an einem jungen Start-Up beteiligt. Wir wollen Becher aus recyclebaren Rohstoffen herstellen. Alles so auf dem ökologisch bewussten Weg, Du verstehst?“

Landweil verstand und nickte mit dem anerkennendsten Gesicht, das er schaffte aufzulegen. Julius Steltzer verabschiedete sich dankbarerweise gleich darauf mit den üblichen Sprüchen, dass man in Kontakt bleiben sollte und lief in den nächsten Wagon. Seinen Partner ließ er unvorgestellt.

Die Begegnung mit Julius Steltzer brachte Frank Landweil dazu, dass er sich innerlich begann zu echauffieren. Wie konnte man mit 19 Jahren sich erstmal selber finden müssen? Welche Hippie-Eltern erzählen ihren Kindern diesen Schwachsinn? Und dann Komplementärmedizin? Natürlich abgebrochen, aber das ist ja auch nicht so wichtig, wenn man sich selbst finden muss – gehört wahrscheinlich zum Prozess dazu. Ein Start-Up mit recyclebaren Bechern? Das war kein bisschen neu. In ihm baute sich eine Wut auf, dass er irgendwann laut schnaubte und mit dem Kopf schüttelte. Eine junge Dame in Bahnuniform kam zu seinem Tisch und fragte, ob sein Kaffee nicht schmeckte.

Als er wieder an seinem Sitzplatz angekommen war, fiel ihm seine Lüge ein, dass er beim BND arbeitete und er musste schmunzeln. Man konnte den Leuten alles erzählen und sie glaubten es, wenn man nur alt genug war und authentisch aussah. Wobei Authentizität auch nichts anderes war, als der Vorstellung zu entsprechen. Es interessiert den Menschen nicht mehr, was der andere macht, sondern viel mehr, was er selber tut und wie es bei anderen ankommt. Wahrscheinlich war das unangenehme Treffen deshalb so schnell vorbei gewesen, er hatte ja schließlich seine Anerkennung Kund getan. In ihm breitete sich wieder das wohlige Gefühl aus, das er neuerdings immer wieder bekam, wenn er besonders ehrlich war oder stark gelogen hatte.

Just in dem Moment als das wohlige Gefühl vollständig seinen Körper übernommen hatte, machte der Zug eine abrupte Vollbremsung und sie kamen wenig später zum Stehen.

Das Gegenteil der Wirklichkeit

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