Читать книгу Das Gegenteil der Wirklichkeit - Marcel Karrasch - Страница 17
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ОглавлениеDer Zug war bereits eingefahren, als Frank Landweil das Gleis erreichte. Männer in Anzügen und Frauen in modischen Kleidern stiegen aus. Er hatte Probleme einzuordnen, zu welchem Anlass sie gekleidet waren. Er beobachtete nur das Szenario und lächelte bemüht den vorbeiziehenden Tross an. Er fühlte sich schäbig gekleidet im Vergleich zu den vorbeilaufenden Menschen, was natürlich eine Farce war, dennoch warf er sich schnell seinen Mantel über, um eine wenig Restwürde zu wahren.
Nach einer überdrehten Minute der Regungslosigkeit stieg er in den Zug ein und suchte seinen Platz. Auch hier hatte er wieder einen am Fenster von der Bahnschalter-Dame bekommen und er fand ihn schnell. Das nächste Déjà-Vu ereilte ihn und er nahm schnell Platz, bevor ihn auch die nächste Verzweiflungswelle erfassen konnte. Er stellte sich bildlich vor, wie eine Welle zwischen den Plätzen vorbeirollte und er meinte, gerade das Rauschen der nächsten zu vernehmen, als eine junge Dame sein Ticket sehen wollte. Erneut registrierte er erst jetzt, dass die bereits losgefahren waren. Die Kontrolleurin war Mitte Zwanzig und sah ausgesprochen gut aus. Frank Landweil gefiel sie. Seine nun schon längere Zeit andauernde Phase des Enthusiasmus erlaubte es ihm nonchalant einen kleinen Flirt einzuleiten.
„Entschuldigen Sie, ist Kontrolleurin nun der neue Stewardess-Beruf?“, ein peinlicher Versuch, zudem wackelte seine Stimme am Ende der Frage wie die eines Pubertierenden.
„Wie darf ich das verstehen?“, entgegnete die Frau wenig beeindruckt.
„Sie sind hübsch und jung, das sind doch ideale Voraussetzungen für eine Stewardess“, antwortete er und suchte gedanklich nach dem Idioten, der diese Sätze sprach.
„Oh, sehr freundlich von Ihnen. Aber nein, ich mache das nur als Nebenjob, ich studiere Kunstgeschichte“, gab sie zu seiner Verwunderung strahlend zurück.
„Bleiben Sie bis Mailand im Zug?“, fragte nun wieder der richtige Frank Landweil.
„Ja, dort habe ich zwei Stunden Aufenthalt bevor es wieder zurückgeht“, er verstand den Hinweis.
„Darf man Sie auf einen Kaffee einladen?“
„Ich habe in einer Stunde Pause, in Wagon Nummer 7 ist unser Boardbistro“, gab sie zurück, während sie schon den nächsten Fahrgast kontrollierte.
Er wurde noch euphorischer. Er hatte plötzlich wieder das Gefühl der absoluten Überlegenheit gegenüber der Situation. Er war in seinem Terrain unterwegs. Unbeschwerte Schmeicheleien gingen ihm flüssig von den Lippen. Mitte Zwanzig war dazu noch seine Zielgruppe. Er schaute wieder aus dem Fenster und sah, wie die Landschaft vorüberflog, unterbrochen von schwarzen Tunnelsequenzen. Er begann erneut von Siena zu träumen und schlief ein.
Er stand in einer kleinen Gasse vor einem Eiscafé, von dem er meinte, es aus seiner Kindheit zu kennen. Vor ihm eine Familie mit einem kleinen Jungen. Der Kleine bekam eine Kugel Erdbeereis in der Waffel und strahlte sein Eis an, wie es nur Kinder können. Dann dreht er sich ruckartig um, kippte das Eis zur Seite, sodass die Kugel zu Boden fiel. Er schaute ihn an und begann, ihm mit der spitzen Seite seiner Waffel in den Bauch zu stechen. Frank Landweil war überfordert mit der Situation, als der kleine Junge plötzlich mit einer bekannt klingenden weiblichen Stimme „Hey Sie!“ sagte.
Frank Landweil schreckte aus dem Traum und blickte in das lächelnde Gesicht der Kontrolleurin. Er blickte erschrocken auf seine Uhr. Es war eine halbe Stunde vergangen, er hatte nicht verschlafen.
„Ich mache schon ein wenig früher Pause und dachte mir, dass ich Sie abhole“, durchbrach sie die Stille. „Ich heiße übrigens Monique“, schob sie nach.
„Maximilian, freut mich“, entgegnete Landweil.
Es war nicht unüblich, dass er sich mit einem anderen Namen bei Frauen vorstellte, den Namen seines Vaters zu verwenden, hatte er jedoch noch nie gewagt.