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Lehrer und Mentoren

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In Breslau gerät Jochen Klepper an die beiden Lehrer, die sein Denken wie auch sein späteres Schaffen prägen werden: Rudolf Hermann und Ernst Lohmeyer. Der Neutestamentler Ernst Lohmeyer ist bereits seit 1920 in Breslau, er hat den Lehrstuhl von Rudolf Bultmann übernommen. Für einen Professor ist er mit 33 Jahren noch recht jung. In ihm findet Jochen Klepper einen, der mindestens so sehr an Dichtkunst interessiert ist wie er selbst, aber eben schon wesentlich weiter in seiner eigenen Auseinandersetzung mit dem dichterischen Schaffen als der Student. Ernst Lohmeyer ist beeinflusst von dem mystisch-pessimistischen Dichter Stefan George und dem so genannten »George-Kreis«. Das Besondere an seinem theologischen Zugang zu den Evangelien ist Lohmeyers Überzeugung, dass man die Worte und Gleichnisse Jesu als »Sprachereignisse« ernst nehmen muss. Dasselbe schreibt er auch den Hymnen und Bekenntnisformeln der ersten Christen zu. Ihre sprachliche Gestalt und Kraft hält er nicht für nebensächlich, sondern für wesentlich und theologisch bedeutsam. Lohmeyers Seminare sind ihrerseits »Sprachereignisse«. Für Jochen Klepper mit seiner dichterischen Ader dürfte das äußerst reizvoll gewesen sein. Der Professor versucht sich auch schon mal an einer Übertragung biblischer Texte ins Deutsche nach antiken (althebräischen, altgriechischen) poetischen Regeln. Die in dieser Hinsicht kreativsten Vorlesungsreihen Lohmeyers werden erst drei, vier Jahre später kommen. Aber zu der Zeit, als Jochen Klepper nach Breslau kommt, beschäftigt sich Ernst Lohmeyer in seiner Freizeit gerade mit ganz grundlegenden Überlegungen zur Dichtkunst. Sie fließen 1924 in eine programmatische Abhandlung über »Dichtung und Weltanschauung« für die schlesische Kultur- und Theaterzeitschrift Der Ostwart ein. Und bis dahin ist Jochen Klepper längst regelmäßig zu Gast bei dem Professor und seiner Frau Melie. Schwer vorstellbar, dass Ernst Lohmeyer mit dem literarisch ambitionierten Studenten bei diesen Gelegenheiten nicht auch darüber ins Gespräch kommt.

Der Theologe und Religionsphilosoph Rudolf Hermann ist zeitgleich mit Jochen Klepper nach Breslau gekommen und hat dort seine erste Professur angetreten. Außerdem wird er Inspektor des Konviktes, und schon deshalb hat er viel mit den Studierenden zu tun. Hermann ist mit seinen 36 Jahren ebenfalls noch recht nah dran an der Generation seiner Studenten und neuerdings auch Studentinnen. Die Evangelisch-theologische Fakultät hat sich als einer der letzten Fachbereiche der Breslauer Universität für Frauen geöffnet; noch haben die angehenden Theologinnen aber in der Evangelischen Kirche der Altpreußischen Union keine Aussicht auf Anstellung als Pfarrerinnen. Sie können nur »Gemeindebeamtinnen« werden. Insofern hält sich der Andrang in Grenzen.

Die Begegnung mit Rudolf Hermann ist für Jochen Klepper eine Offenbarung. Inwiefern? Nun, es ist die Art und Weise, wie er predigt. Und das ist schon erstaunlich angesichts der Tatsache, dass Hermann nie ein Gemeindepfarramt inne hatte, dass er folglich auch keine Routine im Predigen hat. Das Ausarbeiten der Andachten und Predigten geht ihm nicht leicht von der Hand. Und trotzdem: Er macht auf den geübten Predigthörer Jochen Klepper einen überwältigenden Eindruck. Seine gedankliche Wucht ist selbst mit über achtzig Jahren Abstand aus den (nicht völlig ausformulierten) Predigtmanuskripten17 heraus zu ahnen. Wie viel mehr muss sie Jochen Klepper gepackt haben. Dessen Vorbild in Sachen Predigt war bis dahin eindeutig Georg Klepper, der Vater. Nun löst ihn Rudolf Hermann in dieser Rolle ab. Zehn Jahre später wird Jochen Klepper in seinem Tagebuch notieren: »Seit ich Professor Hermann in den Andachten im Johanneum hörte, war keine Predigt mehr.«18

Das allein kann es freilich nicht gewesen sein. Jochen Klepper hört in Breslau Vorlesungen bei sechzehn verschiedenen Dozenten und Professoren, aber bei keinem belegt er so viele Seminare wie bei Rudolf Hermann. »Grundfragen der Religionspsychologie«, »Ethik«, »Anselm: Cur deus homo«, »Schleiermachers Theologie«, »Religionsphilosophie der Gegenwart« – das beschäftigt ihn jeweils ein Semester lang. Und besonders nachhaltig wirkt Hermanns Seminar »Gedanken aus Luthers Schriftauslegung für Theologie und Leben« auf ihn und viele seiner Kommilitonen. Hermann vermittelt ihnen Luthers bleibendes Vermächtnis, Luthers reformatorische Prinzipien und Errungenschaften. Jochen Kleppers Studienfreund Harald Poelchau attestiert Hermann ein »strenges Ethos« und »leidenschaftlichen Ernst, der keine Phrase duldete ... Zugleich ging er mit liebevollem Interesse auf jeden einzelnen ein.«19

Von vielen Professoren hat Jochen Klepper in Breslau profitiert, aber wenn er später im Leben »mein Lehrer« sagt, dann bezieht sich das in aller Regel auf Rudolf Hermann. An dessen Meinung liegt ihm viel, ihn informiert er, seinen Rat sucht und bekommt er auch nach der Studienzeit durch einen regelmäßigen Briefwechsel.

Jochen Kleppers Fächerkanon in Breslau ist recht umfassend; neben den theologischen Pflichtseminaren interessiert er sich wie schon in Erlangen für Kriminalpsychologie und -psychiatrie, für Psychologie ganz allgemein und für Philosophie. Er belegt aber auch Vorlesungen über Anthropologie (»Die Stammesgeschichte des Menschen«) und Rhetorik (»Übungen in deutscher Aussprache und Vortrag«). Ein beachtliches Pensum hat er sich da auferlegt. Und das hat vermutlich auch wirtschaftliche Gründe.

Jochen Klepper

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