Читать книгу Jochen Klepper - Markus Baum - Страница 16

Krank

Оглавление

Jochen Klepper leidet zwar nicht mehr unter Asthma wie noch in der Schulzeit, dafür plagen ihn aber heftige, oft lang anhaltende Kopfschmerzattacken. Dazu kommt: Er schläft schlecht bis gar nicht. Zunächst versucht sich Jochen Klepper mit Kaffee und Zigaretten (!) selbst zu therapieren. Schließlich geht er doch zum Arzt. Der verordnet gegen die Schlafstörungen Luminal, ein Barbiturat. Das Schlafmittel ist seit 1912 im Handel. Das Problem: Über längere Zeit in hoher Dosierung genommen macht es abhängig. Außerdem kann es Kopfschmerzen eher noch verstärken. Zu den heute bekannten häufigen Nebenwirkungen gehören Mattigkeit, Benommenheit, eingeschränktes Urteilsvermögen und Verwirrtheit.

Jochen Klepper nimmt das Medikament über längere Zeit, obwohl es nicht wirklich hilft. Im Gegenteil. Die Kommilitonen nehmen auch deshalb Rücksicht auf ihn (»All seine Arbeiten waren einem kranken Körper abgerungen ... Wir spürten, wie sehr er litt«24) und sehen ihm manches nach, was ihnen absonderlich oder überspannt vorkommt. Die körperlichen Beschwerden sind eine Sache, die psychischen Probleme eine andere. Sein Ehrgeiz, sein Lerneifer und sein fürsorgliches Mitdenken für die Familie haben längst neurotische Züge angenommen. Im Juli 1924 sieht er sich außer Gefecht gesetzt. Kuriert sich wochenlang in Beuthen. Der Arzt empfiehlt ihm, das Studium abzubrechen und den Gedanken an einen geistigen Beruf aufzugeben. »Gärtner oder Keramiker« soll er werden, so der sicher gut gemeinte Rat. Aber das geht natürlich gar nicht. Jochen Klepper rappelt sich wieder auf und macht trotz inzwischen eingestandener »unleugbarer Angst vor der Zukunft« weiter mit dem Studium wie mit dem Schreiben. Er nimmt sogar seine Lizenziatenarbeit in Angriff (es geht um die pietistischen Theologen Gottfried Arnold und August Hermann Francke). Bis zum nächsten Zusammenbruch.

Im September 1925 schickt ihn die Breslauer Studentenhilfe zur Kur nach Bad Saarow. Er verbringt dort einige Wochen im Haus der Deutschen Christlichen Studentenvereinigung. Dem Sekretär der DCSV und Hausvater, Pastor Hermann Schlingensiepen, vertraut er an, was ihm gegenwärtig am meisten zu schaffen macht: die Situation in Beuthen. Die Eltern sind in einen beklemmenden finanziellen Engpass geraten. Jochen Klepper sieht sich genötigt, 14 000 Mark aufzutreiben, um der Familie zu helfen. Für einen Studenten eine horrende Summe (die Kaufkraft damals entspricht einem Betrag von ca. 55 000 Euro). Und Schlingensiepen bietet tatsächlich an, ihm das Geld zu leihen, zur unendlichen Erleichterung, aber auch zur Beschämung Kleppers. Es wird einige Jahre dauern, bis er den Kredit zurückzahlen kann.

Eine Sorge weniger, aber damit ist noch lange nicht alles gut. Auch wenn er das anderen und vielleicht auch sich selber gern einreden will. Er verliert allmählich den Boden unter den Füßen. Seine Kommilitonin Ilse Jonas bekommt mit, dass er halluziniert. Fraglos eine der schweren Nebenwirkungen des Luminals: »›Heute traf ich ...‹ – und dann folgte der Bericht von einer Begegnung mit einer Berühmtheit der Vergangenheit. Wie dankbar war er, wenn ich ihn ganz ernst nahm«, wird sie rückblickend berichten.25 Und Katharina »Käthe« Staritz, eine weitere Studiengefährtin, wird ihm Jahre später spiegeln, dass er sich 1925/26 in einer beängstigenden Verfassung befunden haben muss, verweist auf »kranke, wirre, verzweifelte Dinge, die gefährlich klingen«.26 Er selbst wird sich nicht daran erinnern. Zu dem Zeitpunkt, als diese »verzweifelten Dinge« passieren, nimmt er sie aber schon an sich selbst wahr. In hellen Phasen kann er auch korrekt deuten, was er da an sich beobachtet.

In den Briefen an Professor Hermann, den wohlwollenden Mentor, spart er das meiste davon aus, schildert lieber die Fortschritte (»Über die Frische, mit der ich jetzt arbeite, bin ich sehr froh«), und was ihm schon wieder gelingt, und wie er hofft, die anstehenden Herausforderungen zu bewältigen – von zu Hause, von Beuthen aus. Nach dem Wintersemester 1925/26 teilt er Rudolf Hermann mit, dass er nicht mehr regulär am Vorlesungsbetrieb teilnehmen kann, »da es mir gesundheitlich gar nicht gut geht und ich es wohl vermeiden muss, gerade den anstrengenden Sommer in Breslau zu verleben«.

Jochen Klepper

Подняться наверх