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3. Gebrochene Linie

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Jochen Klepper verabschiedet sich nicht über Nacht von der Theologie, und er nimmt auch nicht von heute auf morgen die neue Identität als Journalist und Schriftsteller an. Faktisch sieht es so aus, als habe er einen klaren Strich gezogen, doch wie’s in seinem Innern aussieht – das ist aus den erhaltenen schriftlichen Zeugnissen nur schwer abzuleiten. Die fast zeitgleich verfassten Briefe an den Studienfreund Harald Poelchau einerseits, an Rudolf Hermann andererseits sprechen eine zu unterschiedliche Sprache. Nur dem Freund hat er einen Blick in die Karten erlaubt, nur ihm hat er seine inneren Konflikte offenbart. Alles wird er ihm aber auch nicht gesagt haben; manches muss er mit sich selbst abmachen. Dem theologischen Lehrer und seiner Gattin schreibt er zwar regelmäßig und zum Teil ausführlich, aber was er da schreibt, beschränkt sich im Wesentlichen auf seine äußeren Lebensumstände (»Darf ich in der Freude über meinen neuen Besitz, die Schreibmaschine, Ihnen einen Brief in Maschinenschrift schreiben?«), auf Pläne und Wünsche, auf seinen Gesundheitszustand und darauf, wie dieser seine Schaffenskraft beeinflusst. Was Jochen Klepper im Innersten antreibt oder auch hindert, davon findet sich in seinen Briefen an Rudolf und Millie Hermann so gut wie nichts. Er informiert sie pflichtschuldig, so hat es den Anschein, und vielleicht ist genau das ein Schlüssel zum Verständnis seines Innenlebens und seines Verhaltens: seine preußische Auffassung von Pflicht und Verpflichtungen, von Schuld nicht so sehr im Sinn von aktiv schuldig werden (auch das spielt für ihn eine bedeutende Rolle, nämlich in seinem lutherisch geprägten theologischen Denken), sondern Schuld im Sinn von verpflichtet sein und bleiben.

In den Tagebüchern von 1932 an wird das eine prominente Rolle spielen: Was glaubt Jochen Klepper wem schuldig zu sein? Was den Eltern und Geschwistern, was der Frau an seiner Seite, was dem Staat, was seiner Kirche, was sich selbst? Wie versucht er diesen Verpflichtungen gerecht zu werden, wie löst er sie ein, und wie geht er mit der oft empfundenen eigenen Unzulänglichkeit um? In den Jahren nach Ende des Studiums ist sich Jochen Klepper dessen noch nicht so bewusst. Er gibt sich jedenfalls nicht pausenlos Rechenschaft darüber. Trotzdem scheint das Denk- und Handlungsmuster schon hier und da auf.

Die Verpflichtung gegenüber den Eltern fordert ihn zu Beginn des Jahres 1927 ganz praktisch. Georg Klepper hat einen Schlaganfall erlitten, der Sohn ist zur Stelle und sieht sich vor die einmalige Herausforderung gestellt, den Vater auf der Kanzel zu vertreten. Am 30. Januar 1927, am vierten Sonntag nach Epiphanias, hält Jochen Klepper seine erste und einzige Gemeindepredigt in der heimischen Kirche in Beuthen. Er spricht über die Stillung des Sturms, und diese Erfahrung wird ihm noch zehn Jahre später eine Erwähnung im Tagebuch wert sein. Die »Wunde meines gescheiterten Theologiestudiums«27 schmerzt mehr, als er es sich selbst und anderen lange Zeit eingesteht. Und insgeheim trauert er auch dem Pfarramt und dem Kanzelerlebnis nach. Bis in seine lebhaften (mal beglückenden, oft erschreckenden) Träume hinein verfolgt ihn diese versandete Lebensspur: »Heute nacht habe ich geträumt, ich hätte in einer Kirche gepredigt, und es war ein unbeschreibliches Gefühl von Glück und Stärke, von Erfüllung. ... Aber ich kann es nicht leugnen: ich sehne mich nach Predigen«, wird er gut sechs Jahre später seinem Tagebuch anvertrauen.28 Nach außen hin beschreitet er entschlossen den neu eingeschlagenen Weg.

Jochen Klepper

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