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Inflation

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Die Einschreibegebühren haben sich vom ersten zum zweiten Semester mehr als vervierfacht, zum Sommersemester 1923 musste Jochen Klepper noch einmal 16 mal mehr bezahlen, und die Gebühr fürs vierte Semester wird auf dem Höhepunkt der Hyperinflation fällig – schwindelerregende 264 Milliarden Mark. Erst am 20. November 1923 ist der Spuk vorbei, als nämlich die Rentenmark eingeführt wird – zum Kurs von einer Rentenmark für eine Billion Papiermark.

Die Familie Klepper ist unmittelbar betroffen. Die Inflation hat das väterliche Vermögen zum größten Teil aufgefressen. Oberpfarrer Georg Klepper ist damit zwar noch kein armer Mann – preußische Pfarrer sind seit 1909 per Pfarrerbesoldungsgesetz den Richtern gleich gestellt und werden entsprechend gut bezahlt. Aber gegenüber den sorglosen Zeiten vor der Inflation muss man sich nun deutlich einschränken. Und das beschäftigt die Familie doch sehr. Haushalten und sparsam wirtschaften ist bis dahin ja kein Thema gewesen. Haben die Kleppers bisher frag- und klaglos den Studenten unterstützt, so berichtet Jochen Klepper jetzt öfter von finanziellen Zwängen zu Hause. Er sorgt sich um die Familie, die Geschwister – vor allem um seinen jüngsten Bruder, das Kriegskind Wilhelm (*1915) alias »Billum«. Zu den Träumen, zu den Zielen des Zwanzigjährigen gesellt sich schon bald der innere Eindruck: Er will nicht nur, er muss auch bald auf eigene Beine kommen. Er hat nie vorgehabt, das Studium zu verbummeln, aber jetzt gerät er (oder er setzt sich) unwillkürlich unter Druck. Das fällt anfangs noch nicht so auf, den meisten Kommilitonen geht es ja nicht anders.

Dennoch, selbst in den wirtschaftlich engsten Zeiten heißt Studieren nicht nur Pauken. Die Studien- und Lebensgemeinschaft im Konvent und die theologische Fachschaft versteht auch zu feiern. Und dabei offenbart der sonst eher ernste, verbindliche Jochen Klepper Qualitäten, die ihm nicht jeder zutraut, und Züge, die nicht ins übliche Bild passen wollen: Theatralik etwa. Das ist der erste Eindruck, den zum Beispiel Ernst Lohmeyers Ehefrau Melie von ihm gewonnen hat. Anlass war eine Art Laienspiel bei einem Begegnungsabend der Fachschaft: »Eine Reihe langer Gasthaustische wurde als Szenarium aneinander gestellt, worauf sich die Saaltür öffnete und die Spieler sich feierlich hereinbewegten ... Alle hatten sich faltenreich in weiße Betttücher gehüllt. Die erste dieser verwunderlichen Gestalten war ein überaus schlanker Jüngling, sehr bleich, der in ekstatischer Weise und Lautstärke Worte in den Saal rief ... Es war etwas Prophetisches oder doch von religiösem Pathos Erfülltes. Ich konnte mich eines kleinen Gefühls der Belustigung nicht erwehren. So fragte ich leise: ›Um Gottes willen, wer ist denn der erste, der da so schreit?‹ und hörte: ›Das ist Jochen Klepper.‹«20

Melie Lohmeyer hat später reichlich Gelegenheit, diesen ersten Eindruck zu revidieren. Die Theologische Fakultät vermittelt finanziell klammen Studenten regelmäßig ein Mittagessen bei einer der Professorenfamilien, und im Fall von Jochen Klepper sind Ernst und Melie Lohmeyer die Gastgeber. Wie erlebt sie ihn dort: »Von einem kindlichen Zutrauen, feinsinnig, bescheiden, offen, sehr bewegt, in jeder Weise angenehm und von Ideen voll bis zum Rand.«21

Mit der Zeit wird die Professorengattin zur mütterlichen Freundin des Studenten. Ihr, nicht dem poetisch beschlagenen Ernst Lohmeyer, erzählt er von seinen literarischen Versuchen. Ihr erklärt er, wie seine Geschichten entstehen: »Er erzählte mir, er schreibe alle Gespräche des Tages am Abend ganz genau auf, einerlei mit wem er sie geführt habe, ob in einem Laden, ob mit einem Straßenbahnschaffner oder über einen Zaun, ob in der Universität mit Kameraden oder mit einem Professor oder mit einer Portiersfrau ...«. Beobachten und Eindrücke sammeln, Motive ergründen, irgendwann neu kombinieren. Melie Lohmeyer bekommt von Jochen Klepper zu ihrer eigenen Überraschung auch mal einen ganzen Stapel von Gedichten zur Begutachtung anvertraut. Sie studiert sie, findet sie aber »alle so unreif und unoriginell«, dass sie diese Jugendwerke im Papierkorb versenkt. Um später staunend von ihm zu erfahren, dass er die Gedichte, die er selbst für gelungen hält, an »etwa sechzig Zeitungen« schickt – »mitunter würde auch mal eines genommen. So müsse man anfangen«. Sie ist beeindruckt von der Energie, mit der er diesen Weg verfolgt. Zugleich bleibt ihr nicht verborgen, wie sehr Jochen Klepper an seiner Familie, speziell an seiner Mutter hängt. Sie erinnert sich an eine bezeichnende Episode: »Jochen war irgendwie und unvorhergesehen zu etwas Geld gekommen. Ich sehe ihn noch, wie er die Münzen in der Hand hielt und dann zärtlich und nachdenklich meinte: ›Vielleicht kann ich meiner Mutter dafür mal wieder etwas Puder und Schminke kaufen.‹«22

Es ist wohl kein Zufall, dass Jochen Klepper die Nähe und das Vertrauen von Melie Lohmeyer gesucht hat. (Auch Rudolf Hermanns Ehefrau Millie nimmt an seinem Werdegang Anteil, aber zu ihr hat er nie einen derart engen Kontakt.) Melie Lohmeyer geb. Seyberth, 1923 Mutter zweier kleiner Kinder (ein weiteres Kind war kurz nach der Geburt gestorben), ist eine selbstbewusste Frau mit eigenständiger, starker Persönlichkeit und darin auf Augenhöhe mit ihrem Mann. Sie führt eine »intensive, wenn auch immer hochkomplizierte Ehe«, so wird es ihre Tochter Gudrun später einschätzen.23 Damit hat sie manches gemeinsam mit Hedwig Klepper, das hat auch schon Brigitte Hacker ausgezeichnet, die Arztfrau aus Glogauer Zeiten, und auf ihre Weise passte auch Jochen Kleppers eigenwillige Erlanger Quartiergeberin Olly Budjuhn in dieses Raster. Der junge Mann sucht den Austausch mit Frauen, die ihm geistig mindestens ebenbürtig (und altersmäßig zumeist ein paar Jahre voraus) sind – und auch seiner Mutter das Wasser reichen können.

Jochen Klepper

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