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Luther

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Den Theologen wird Jochen Klepper nie verleugnen können. Kurt Ihlenfeld wird sich später erinnern: »In den Gesprächen des kleinen Kreises von jungen Breslauer Theologen, zu dem wir beide gehörten, und der sich gerne im Café Vogel in der Ohlauer Straße ein Stelldichein gab, ist von lutherischer Theologie oft die Rede gewesen – und wir befanden uns in einer merkwürdigen Übereinstimmung hinsichtlich dessen, was wir an Luther erkannt und gewonnen zu haben meinten. Es war in dem vielen Abgeleiteten, womit die Theologie sonst belastet war, die Erfahrung eines Tief-Ursprünglichen ... Wir waren ja zugleich empfänglich für das dichterische Wort, wir sogen den Honig der Wahrheit aus einer Erkenntnis, die sich uns von woanders her erschloss als aus der Wissenschaft allein. Luther selber sprach zu uns über die Jahrhunderte hinweg als ein Lebendiger. Luthers deus absconditus [Der verborgene Gott, Anmerkung des Verfassers], sein pecca fortiter [sündige tapfer] ebenso wie die Formel des simul justus simul peccator [zugleich gerecht und Sünder] waren uns Chiffren eines ungeheuren Lebens unter dem göttlichen Geheimnis. Es gab Momente in unseren Gesprächen, in denen diese Chiffren den Charakter von Geheimzeichen unserer Freundschaft gewannen.« Wenn Kurt Ihlenfeld hier von Freundschaft spricht, dann sicher nicht im Sinn einer herzlichen, unverbrüchlichen, von nichts getrübten Männerfreundschaft durch dick und dünn. Dafür waren Jochen Klepper und er bei allen gemeinsamen Interessen und bei ihrer gemeinsamen künstlerisch-literarischen Mission und Vision dann doch zu unterschiedlich. Sondern: »Das uns einigende Vertrauen hatte sicher seinen tiefsten Grund in jener theologischen Gemeinsamkeit unseres Luthererlebnisses.«47 Nach einem intensiven Jahr enger Zusammenarbeit trennen sich die Wege vorerst, Kurt Ihlenfeld wird ordiniert und im Oktober 1928 auf eine Pfarrstelle im niederschlesischen Waldenburg48 berufen. Die Verbindung zwischen ihm und Jochen Klepper bleibt bestehen, weniger auf persönlicher Ebene, aber im Rahmen des Eckart-Kreises und der publizistischen Arbeit am Eckart (Ihlenfeld wird 1933 Herausgeber der Zeitschrift).

Ihlenfelds Stelle im Evangelischen Presseverband bleibt einige Monate vakant, bis im Herbst 1929 ein Nachfolger kommt. Der neue Kollege Jochen Kleppers heißt Kurt Meschke und ist ebenfalls Pfarrer. Wie erlebt er die neue Arbeitsstelle und seinen Mitstreiter? »Wir waren jeder auf seine Weise Randsiedler der Kirche, die wir uns unter den schützenden Fittichen von Pastor Schwarz um den gelben Tisch im Hinterzimmer Schweidnitzer Stadtgraben 29 zusammenfanden, abgeschirmt gegen die fremde Obrigkeit der Prälaten durch das Wohlwollen unseres Direktors, der darauf vertraute, dass wir uns in Freiheit entfalteten zum besseren Nutzen der Kirche. Regelmäßig, ehe er zum Essen ging, tauchte Jochen Klepper auf. Ich hatte die Aufgaben des Vormittags beendet: Durchsicht der Tagespresse, Arbeit am Gemeindeblatt, Zusammenstellung der kirchlichen Pressemitteilungen. Es fehlte noch Kleppers Rundfunkkritik. Die bekam ich jetzt, alles nach Wunsch kurz, konkret, einiges angerührt, anderes pointiert. Er hatte zu Hause beim Schreiben oder wenn er seinen phantastischen Finanzierungsapparat, in Original-, Erst- und Mehrdrucke abgestuft, routiniert-kontrollierend handhabte, immer ganz leise das Radio laufen und machte sich kurze Notizen, wenn irgendetwas wichtig erschien.«49

Jochen Kleppers Arbeitsweise hat zu diesem Zeitpunkt nur noch wenig von der eines angestellten Redakteurs. Er ist beruflich da angelangt, wo er seit Jahren hin wollte: Er fühlt sich als freier Journalist und Autor und lebt auch so. Es gelingt ihm, dieses Dasein fast sieben Jahre lang aufrecht zu erhalten. Aber er bezahlt dafür einen hohen Preis. »Im ganz freien Beruf ist kein Sonntag, weil einen immer der Gedanke treibt, jeder Tag, den du nicht arbeitest, ist später ein Tag ohne Geld; ein hässlicher und unfrommer Gedanke«, wird er nach einigen Jahren in der Tretmühle seinem Tagebuch klagen.50 Den »ersehnten Feierabend« und den dringend nötigen Ausgleich für die Schreibtischarbeit muss er sich erkämpfen, Disziplin ist dabei das Schlüsselwort. »Für meine viele Arbeit schaffe ich mir einen schönen äußeren Rahmen«, berichtet er an Rudolf Hermann. »Meine Tage sind ganz fest eingeteilt: Schreiben, eine Stunde Schwimmen, neun Stunden Schlaf.«51

Das 1897 errichtete Breslauer Stadtbad an der Zwingerstraße ist nur einen Katzensprung vom EPS-Büro entfernt. Seine Architektur und Ausstattung, die arkadengleichen Rundgänge, die teilverglaste Kuppel über der Schwimmhalle, die Mosaiken und Skulpturen sprechen Jochen Kleppers ästhetisches Empfinden an. Das war es Kurt Meschkes Beobachtung zufolge aber nicht allein. »Täglich ging er in die Schwimmhalle. Dort aß er auch zu Mittag in den kühlen, vom Wasser umflossenen Räumen. Er erzählte von dem Kind François Marie Arouet, das mit Schwimmhäuten zwischen den Fingern geboren war. Das Leben im Wasser war sein Element in dieser Zeit, auch sein tieferes theologisches. Die Gedichte von Petrus, von den Fischen, von der Taube bezeugen das, Meditationen über das Wasser des Lebens.«52 Meschke muss es wissen – er ist regelmäßiger Abnehmer von Jochen Kleppers Gedichten, »für 50,– M geschrieben, für 20,– M verkauft und für 5,– M überlassen«53 für den Abdruck im Gemeindeblatt Unsere Kirche.

Jochen Klepper

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