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Krise

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Offener ist Jochen Klepper gegenüber seinem Mitstudenten und Freund Harald Poelchau, Pfarrerssohn wie er selber. Ihm schreibt er ab März 1926 regelmäßig, berichtet von »angsterregenden Träumen«, »Hysterie«, »Halluzinationen«. Ihm vertraut er auch halbfertige Gedanken an, ihm gewährt er einen Blick in seine inneren Abgründe. Selbst das Unsagbare, Namenlose aus der »schweren letzten Schülerzeit« deutet er in den Briefen zumindest an. Harald Poelchau verdankt er den entscheidenden Anstoß: Er soll nach der äußeren endlich auch die innere Abhängigkeit von Erich Fromm überwinden, soll die letzten Fäden kappen. Und Jochen Klepper kappt. Zieht einen Schlussstrich unter die düsteren Seiten der Vergangenheit, sicherheitshalber auch unter seine künstlerischen Versuche bis dahin. Den größten Teil seiner frühen Gedichte und Geschichten vernichtet er. Tabula Rasa. Nur eine Handvoll Arbeiten entgeht der Zerstörungswut. Und gerade das scheinbar so aussagekräftige Stück mit dem Titel »Der eigentliche Mensch«, das die Zeiten überdauert hat, ist mit allergrößter Vorsicht zu genießen. Jochen Klepper hat das Manuskript im März 1926 niedergeschrieben, auf dem Höhepunkt seiner Persönlichkeitskrise. Was immer er darin an homoerotischen Begegnungen und verfänglichen Situationen schildert, wie eindeutig und verräterisch auch die Benennung der handelnden Personen zu sein scheint und was er dort alles an Stichworten liefert (Transvestitismus, Masochismus, Selbstmordgedanken) – es lässt sich eben nicht klar auseinander sortieren: Was ist Fiktion, was symbolisch überhöht, was gestaltet, was Zitat? Was ist Ausdruck untergründiger Sehnsüchte oder schlimmster Albträume, aber eben nicht Wirklichkeit, gottlob nicht? Was ist nur in der Luminal-Dämmerwelt geschehen, im nur für Jochen Klepper erstaunlich und erschreckend realen Reich der Einbildungen, und was hat er tatsächlich erlebt, überprüfbar und für andere nachvollziehbar?

Zweifelsfrei fest steht nur das eine: Diese Krise ist tatsächlich eine psychische Krise im Sinn der klinischen Definition. Verengte Wahrnehmung, eingeschränkte Handlungsmöglichkeiten, zeitlich begrenzt, von bedrohlichem, zerstörerischem Charakter. Aber andererseits auch geeignet, einen Menschen über sich selbst hinaus wachsen und gestärkt aus der Krise hervorgehen zu lassen.

Gestärkt heißt in Jochen Kleppers Fall: desillusioniert, mit veränderten Prioritäten. Er verordnet sich einen strengen Tagesablauf. Seine theologische Abschlussarbeit will er noch zu Ende bringen. Ein paar Stunden Quellenstudium am Tag müssen also sein, ansonsten gönnt er sich viel Schlaf und viel Kunst, beratschlagt sich mit seinem Bruder Erhard, der mittlerweile als Zeichner und Maler in Berlin sein Glück versucht, liest Märchen, schreibt wieder, dichtet, plant. Aber nicht für eine Karriere als Theologe. Pfarrer kann er ohnehin nicht werden; das Feld der praktischen Theologie hat er nur ein Semester lang beackert, das ist zu wenig. Stattdessen sieht er seinen Platz so klar wie noch nie in der schreibenden Zunft und im Kulturbetrieb. Harald Poelchau lässt er das schon früh wissen. Wenn er den theologischen Abschluss weiterhin anstrebt, dann vor allem den Eltern zuliebe, und natürlich würde sich das akademische Kürzel »Lic.« vor dem Namen grundsätzlich gut machen.

Professor Hermann schreibt er so etwas nicht. Ihm versichert er noch am 2. November 1926, dass er die Lizentiatenarbeit trotz aller Verzögerungen zu Ende bringen will. Aber da ist er schon exmatrikuliert. Am 6. November stellt ihm die Breslauer Universität das Abgangszeugnis aus. Ab sofort ist der Rekonvaleszent Jochen Klepper auf Arbeitssuche.

Jochen Klepper

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