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Stadt, Land, Fluss

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Stadt, Land, Fluss – ein Dreiklang, der die Kinder- und Jugendjahre von Jochen Klepper prägt. Anders als die wirtschaftlich brummende oberschlesische Industriestadt Beuthen mit ihren rund 60 000 Einwohnern ist Beuthen an der Oder um die Jahrhundertwende ein kleines, nur an Traditionen und Geschichte reiches Städtchen von etwas mehr als 3 000 Seelen. Im 17. Jahrhundert hatte dieses Beuthen an der Oder eine eigene protestantische Universität beherbergt – nach dem Stifter Freiherr Georg von Schönaich »Schönaichianum« genannt. Im Dreißigjährigen Krieg war die Stadt x-mal besetzt, geplündert und verheert worden – durch Kosaken, durch Lichtensteiner Dragoner, durch Kroaten, Sachsen, Schweden, Kaiserliche und wieder Schweden. Nach der Gegenreformation hat erst der Vertrag von Altranstädt 1707 Religionsfreiheit für die evangelischen Einwohner der Stadt gebracht. Die evangelische Kirche, in der Georg Klepper seit 1892 seinen Dienst versieht, steht seit 1744 auf dem Gelände des ehemaligen Schönaichianums. Und wovon leben die Beuthener? Von der Oder und dem Handel, den sie bringt und ermöglicht, vom Obst- und Ackerbau, neuerdings auch von der Braunkohle, die in der Umgebung im Tagebau gefördert wird.

1907 wird nach mehr als 260 Jahren wieder eine Brücke über die Oder geschlagen, eine elegante eiserne Bogenbrücke. Die Stadtväter lassen sich das Bauwerk 575 000 Mark kosten in der Hoffnung, es möge der Wirtschaft einen kräftigen Schub verleihen. Die feierliche Einweihung am 16. Juni 1907 ist das erste gesellschaftliche Großereignis, das der zu diesem Zeitpunkt vierjährige Jochen bewusst miterlebt. Ein Jahr später bekommen Beuthens Straßen Gasbeleuchtung – nach dem Eisenbahnanschluss und der Oderbrücke das dritte Zeichen für die Ankunft des Städtchens in der Moderne.

Das Land: Beuthen liegt in Niederschlesien, und Schlesien insgesamt ist ein kultiviertes Land im doppelten Sinn. Die Landschaft rechts und links der Oder ist über Jahrhunderte von Menschenhand gestaltet, umgestaltet, bebaut, bearbeitet worden. Spätestens seit dem 16. Jahrhundert ist Schlesien aber auch ein künstlerisch und literarisch fruchtbares Land. Martin Opitz, der in Beuthen am Schönaichianum studiert hat, gilt als »Vater der deutschen Dichtkunst«. Zusammen mit Andreas Gryphius, Johannes Scheffler und anderen hat er von Schlesien aus die deutschsprachige Barockdichtung geprägt. Einen vergleichbaren Stellenwert hat Joseph von Eichendorff für die Romantik, Gerhart Hauptmann für den Naturalismus. Nicht ohne Grund hat der Germanist und Volksliedforscher Rochus von Liliencron Schlesien als »Land der 666 Dichter« bezeichnet. Das wirkt sich natürlich auch auf den Schulunterricht aus und prägt sich dem kollektiven Bewusstsein der Schlesier ein – also auch der Familie Klepper.

Der Fluss: Die Oder ist nicht der längste und auch nicht der wasserreichste Strom in Mitteleuropa, aber sie hat ein paar markante Eigentümlichkeiten: Träge mäandert sie durch Schlesien und Pommern, anders als Rhein und Donau nicht über weite Strecken zwischen Gebirgszügen eingezwängt. Zwischen Breslau und der Mündung regulieren seit Mitte des 19. Jahrhunderts keine Stauwerke mehr ihren Lauf. Dafür sind die Ufer über Hunderte von Kilometern durch Buhnen gegliedert. Sommerliches Badevergnügen in den fast strömungsfreien Bereichen zwischen den Buhnen, dazu die Schifffahrt, der Handel und die Fischerei auf dem Fluss – die Oder bietet neugierigen Kindern und Heranwachsenden allerlei Aufregendes.

Die Kinderjahre verbringt Jochen Klepper mit seinen Geschwistern im »Sukkerschen Haus« in der Beuthener Bahnhofstraße. Dort hat der Vater eine ganze Etage im Hochparterre gemietet, mit direktem Zugang zum Garten über eine Veranda. Später, Georg Klepper ist inzwischen zum Oberpfarrer aufgerückt, lebt die Familie »ganz für sich alleine« in einem größeren Haus in der Finkenstraße – »es galt als einigermaßen herrschaftlich.«2

Jochen Klepper

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