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Beim Evangelischen Presseverband
ОглавлениеDie Stelle in Breslau bedeutet nach zwei Jahren wieder Abschied vom familiären Lazarett in Beuthen. Jochen Klepper mietet sich eine Wohnung in Kleinburg in der Kurfürstenstraße. Noch kurz vor dem Jahrhundertwechsel eine luftige, auf dem Boden zweier ehemaliger Landgüter neu angelegte Villensiedlung im Süden Breslaus, ist Kleinburg mittlerweile von der Großstadt geschluckt worden. Aber es lässt sich immer noch gut leben, die Bebauung ist nicht zu dicht, der Südpark mit seinem Grün und seinem Gondelsee verspricht Erholung, und die Straßenbahn bewältigt die zweieinhalb Kilometer bis ins Herz der Stadt in wenigen Minuten.
Der Evangelische Presseverband für Schlesien (EPS), 1914 gegründet, unterhält seit 1919 eine Geschäftsstelle. Der Verband residiert in einem vierstöckigen Bürgerhaus am Schweidnitzer Stadtgraben Nr. 29, mit Postkartenblick auf die Liebichshöhe. Jochen Kleppers Arbeitsplatz wird freilich ein eher bescheiden eingerichteter, nicht sehr heller Büroraum zum Innenhof des Gebäudetraktes hin. Den großen Arbeitstisch dort teilt er sich mit zwei Kollegen. Da ist einmal der gelernte Buchhändler Rudolf Mirbt, Sohn eines Kirchenhistorikers und leidenschaftlicher Förderer der Laienspielarbeit, der bei Jochen Kleppers Einstieg gerade die 30 überschritten hat. Und da ist vom Winter 1927 an Kurt Ihlenfeld, zwei Jahre älter als Klepper und Theologe wie dieser – mit dem Unterschied, dass Ihlenfeld gerade sein zweites theologisches Examen hinter sich gebracht hat.
Das Hauptorgan des EPS ist das mittlerweile wöchentlich erscheinende Gemeindeblatt Unsere Kirche mit der ansehnlichen Auflage von 42 000 Exemplaren. Außerdem gibt der Presseverband volksmissionarische Traktate heraus, speist die schlesischen Zeitungen mit Nachrichten aus dem kirchlichen Leben und die Gemeindeblätter anderer Landeskirchen mit spezifisch Schlesischem. Mit all dem bekommt Jochen Klepper nun zu tun; vom Mai 1927 an erscheinen in »Unsere Kirche« fast im Wochentakt literarische, biografische, kirchengeschichtliche Beiträge aus seiner Feder.
Als Geschäftsführer und Generaldirektor des Evangelischen Presseverbandes fungiert seit 1919 Pfarrer Walter Schwarz, Jahrgang 1886, ein tatkräftiger Mann. Ihm ist Jochen Klepper von nun an verantwortlich. Der »unermüdliche, großzügige und ideenreiche Initiator des ganzen Unternehmens« (so urteilt Kurt Ihlenfeld über ihn) lässt seiner Kreativabteilung viel Freiraum, fordert sie andererseits aber auch. Jochen Klepper zum Beispiel zieht er heran zur Redaktion seiner »volksaufklärenden« Flugblätter eher erbaulichen, tröstenden und mahnenden Inhalts. Jochen Kleppers Anteil an der Erstellung dieser Traktate ist wohl eher handwerklicher als inhaltlicher Natur. Stil und Anspruch sind grundverschieden von allem, was er zeitgleich schreibt, aber er wird nun mal als Schriftleiter der Blätter genannt. Rita Thalmann wird später abfällig urteilen: »... passt sich willig dem einfältig-konservativen Frömmigkeitsstil kirchlicher Kreise an, der in diesen Flugblättern zum Ausdruck kommt«.32 Aber was hätte Jochen Klepper machen sollen? Dagegen aufbegehren, kaum dass er die Stelle angetreten hat? Ein Tagebucheintrag zehn Jahre später verrät, dass Jochen Klepper mit Walter Schwarz nicht unbedingt auf einer Linie war. Er spricht von »meinem ersten von mir sehr abgelehnten und nicht verstandenen Chef«.33 Aber immerhin: Chef. Kurt Ihlenfeld bescheinigt Walter Schwarz, er habe zu seinen Redakteuren »die denkbar kollegialsten Beziehungen« gepflegt: »Wir drei – Mirbt, Klepper und ich – gaben ihm mit unserer so gar nicht behördenfrommen Naivität unserer Arbeitsweise gewiss manche Nuss zu knacken. Er hielt den Schild über uns, wenn Beschwerden kamen. Diese konnten ja nicht ausbleiben, und wir machten zu dritt an unserem Arbeitstisch oder auch zu viert, im winzigen Studio des Direktors, unserem Herzen darüber Luft.«34
Die Aufgabenteilung hat sich innerhalb weniger Monate fast von selbst ergeben. Rudolf Mirbt kümmert sich von Fachs wegen um den Buchhandel, außerdem übernimmt er die Geschäftsführung der »Schlesischen Arbeitsgemeinschaft für evangelische Volksbildung« und ist in dieser Eigenschaft viel unterwegs im Land. Sein zweiter Wirkungsort ist das Volkshochschulheim der Schlesischen Landeskirche in Klein-Silsterwitz, 35 Kilometer südwestlich von Breslau, und später in Kamenz in der Oberlausitz. Kurt Ihlenfeld betreut verantwortlich die Gemeindezeitschrift Unsere Kirche und den Volkskalender. Und vor Jochen Klepper hat sich schon nach wenigen Wochen im EPS ein gänzlich neues Arbeitsfeld aufgetan: die Rundfunkkritik.