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e) Aufsichtsrat
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Der Aufsichtsrat hat sowohl personell als auch organisatorisch für einen leistungsfähigen Vorstand zu sorgen und gem. § 111 Abs. 1 AktG dessen Geschäftsführung zu überwachen. Neben dieser Überwachungsfunktion obliegen dem Aufsichtsrat aber in bestimmtem Umfang auch echte Geschäftsleitungspflichten. Dies ist etwa die Vertretung der Gesellschaft gegenüber den Vorstandsmitgliedern bei allen Rechtsgeschäften sowie Rechtsstreitigkeiten jeder Art (§§ 112, 87 Abs. 1, 89 Abs. 1 AktG) bspw. in Fragen der in der jüngeren Vergangenheit umstrittenen Themen der Festsetzung der Vorstandsvergütung bzw. der Prämiengewährung (§ 87 AktG) sowie die Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern. Darüber hinaus trifft den Aufsichtsrat die Pflicht zur Prüfung insbesondere von Jahresabschluss, Lagebericht, Konzernabschluss und Konzernlagebericht (§ 171 AktG) sowie die Pflicht zur Mitwirkung an der Feststellung des Jahresabschlusses (§ 172 AktG). Insoweit treffen Vorstand und Aufsichtsrat für die Aufstellung und Feststellung des Jahresabschlusses gemeinsame Pflichten mit dem Ergebnis, dass insoweit auch eine beiderseitige strafrechtliche Verantwortlichkeit etwa hinsichtlich des Tatbestandes der unrichtigen Darstellung gem. § 331 HGB bzw. § 400 AktG in Betracht kommt. Adressat der Strafvorschriften der §§ 331 HGB, 400 AktG, der unrichtigen Darstellung der Verhältnisse der Kapitalgesellschaft, sind ausdrücklich die Mitglieder des vertretungsberechtigten Organs sowie des Aufsichtsrats einer Kapitalgesellschaft.
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Aufgrund der den Aufsichtsrat kraft seiner Organstellung treffenden allgemeinen Verhaltenspflichten, namentlich Loyalitäts-, Verschwiegenheits- und Wahrheitspflichten, bestehen auch hier originäre strafrechtliche Verantwortlichkeiten wie etwa im Falle der Verletzung der Geheimhaltungspflicht gem. § 404 AktG.
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Eine eigenständige strafrechtliche Verantwortlichkeit des Aufsichtsrates besteht auch und insbesondere, soweit der Aufsichtsrat in Ausübung seiner Geschäftsführungskompetenzen unternehmerische Entscheidungen trifft, so etwa in den Bereichen der Festsetzung der Vorstandsvergütung bzw. der Prämiengewährung (§ 87 AktG) sowie bei der Entscheidung über die Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegenüber Vorstandsmitgliedern. In diesem Fall richten sich die Anforderungen an den Aufsichtsrat nach § 116 Satz 1 i.V.m. § 93 Abs. 1 AktG und orientieren sich mithin wie beim Vorstand an der Sorgfalt eines ordentlichen und gewissenhaften Geschäftsleiters. Der Bundesgerichtshof hat dies in der sog. „Mannesmann“-Entscheidung am Beispiel von Vergütungsentscheidungen unter Bezugnahme auf §§ 93 Abs. 1, 116 Satz 1 AktG ausdrücklich entschieden.190 Da der Aufsichtsrat insoweit wie ein Vorstand handelt, verpflichtet der BGH ihn in diesem Sonderbereich damit auch auf das für Geschäftsleiter bei ihren Entscheidungen geltende Pflichtenprogramm. Gleiches gilt für den in der Praxis enorm relevanten Bereich der Pflicht des Aufsichtsrates zur Prüfung und Geltendmachung von Schadensersatzansprüchen gegen Vorstandsmitglieder. Bei Bestehen von dahingehenden Anhaltspunkten hat der Aufsichtsrat ein potenziell haftungsrelevantes Verhalten des Vorstandes aufzuklären bzw. fachkundig aufklären zu lassen. Ergibt sich hierbei ein Schadensersatzanspruch, ist der Aufsichtsrat verpflichtet, diesen geltend zu machen, es sei denn, es stehen – ausnahmsweise – übergeordnete Gründe des Unternehmenswohls einer Geltendmachung entgegen. Das vorsätzliche Unterlassen der Geltendmachung bestehender Ansprüche kann daher eine unmittelbare strafrechtliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder nach sich ziehen.191 Daraus resultiert für Aufsichtsräte insbesondere im Bereich der Untreue gem. § 266 StGB eine nicht unbeträchtliche Steigerung des originären strafrechtlichen Haftungsrisikos.
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Umstritten ist jedoch die Frage, inwieweit dem Aufsichtsrat eine Garantenstellung für die Ordnungsmäßigkeit der Geschäftsführung durch den Vorstand zukommt, er also für strafrechtlich relevante (Fehl-)Entscheidungen des Vorstandes zur Verantwortung gezogen werden kann. Da der Aufsichtsrat im Rahmen seiner überwachenden Tätigkeit keinen eigenen unternehmerischen Entscheidungsprozess durchführt, ist er jedenfalls grundsätzlich auch kein Garant für die Ordnungsmäßigkeit des unternehmerischen Handelns des Vorstandes schlechthin und kann dies auch mangels umfassender Entscheidungs- und Beurteilungsgrundlagen nicht sein. Der Aufsichtsrat ist aber Garant für die Verhinderung von gesellschaftsschädlichen Handlungen des Vorstandes, die ihm im Rahmen seiner Überwachungstätigkeit bekannt werden.192 Erfährt der Aufsichtsrat – beispielsweise aus dem Bericht des Wirtschaftsprüfers über die Prüfung des Jahresabschlusses –, dass das Risikomanagement der Gesellschaft mangelhaft ist oder das Risikofrüherkennungssystem ineffektiv, so hat er bei dem Vorstand auf Abhilfe zu drängen. Verschließt sich der Aufsichtsrat diesen Erkenntnissen und bleibt er untätig, so verstößt er gegen seine Garantenpflicht, was beim Hinzutreten der weiteren Tatbestandsmerkmale, so etwa eines Schadenseintrittes, wiederum den Vorwurf der Untreue gem. § 266 StGB nach sich ziehen kann.193 Nichts anderes gilt grundsätzlich auch für die Unterhaltung eines Compliance-Management-Systems. Wird ein solches nicht unterhalten oder besitzt das betriebene System gravierende Mängel, so ist der Aufsichtsrat zum Handeln gegenüber dem Vorstand verpflichtet. Bleibt er untätig oder unterlässt er es, die Einrichtung bzw. Verbesserung des Compliance-Management-Systems zu bewirken, und kommt es hierdurch zu einem unmittelbaren Vermögensnachteil für die Gesellschaft oder etwa auch einem Schadenseintritt, hinsichtlich dessen Abwendung eine Fahrlässigkeitsstrafbarkeit besteht, so kann auch dies eine strafrechtliche Haftung der Aufsichtsratsmitglieder auslösen.