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a) Unternehmensgeldbuße gem. § 30 OWiG
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Ist eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit aus einem Unternehmen heraus oder im Interesse des Unternehmens begangen worden, so kann dies zur Verhängung einer Unternehmensgeldbuße gem. § 30 OWiG führen.220 § 30 OWiG ermöglicht die Festsetzung einer Geldbuße gegen juristische Personen oder Personenvereinigungen unter der Voraussetzung, dass deren Repräsentanten (Organe, Vorstände, Vertreter oder sonstige Leitungspersonen) eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit begangen haben, durch die entweder Pflichten des Verbandes (Unternehmens) verletzt worden sind oder die zu dessen Bereicherung geführt haben oder führen sollten. § 30 OWiG umschreibt keinen eigenen Ordnungswidrigkeitentatbestand, sondern knüpft die Folge einer Geldbuße an eine Straftat oder Ordnungswidrigkeit, die sog. Anknüpfungstat, des Vertreters einer juristischen Person. Die Anknüpfungstat kann nicht nur eine beliebige Straftat oder Ordnungswidrigkeit sein (durch die wie gesagt allerdings betriebsbezogene Pflichten verletzt wurden oder das Unternehmen bereichert wurde oder werden sollte), sondern auch eine Aufsichtspflichtverletzung gem. § 130 OWiG, die damit die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße auch dann ermöglicht, wenn die (nicht verhinderte) betriebsbezogene Zuwiderhandlung unterhalb der Organ- oder Vertreterebene begangen worden ist. Die Aufsichtspflichtverletzung selbst muss allerdings der Betriebsinhaber oder ein Vertreter i.S.v. § 9 OWiG begangen haben. Betriebliche Aufsichtspflichtverletzungen können auch dann vorliegen, wenn Korruptionsstraftaten im Unternehmen nicht unterbunden bzw. verhindert werden. Das mangelnde strafrechtliche Risikomanagement, mithin ein unzureichendes Compliance Management des Unternehmens wird damit regelmäßig zu einem Problem i.S.d. §§ 30, 130 OWiG.221
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Die Höhe der Geldbuße hängt davon ab, ob als Anknüpfungstat eine Straftat oder eine Ordnungswidrigkeit vorliegt (§ 30 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1, 2 OWiG). Bei vorsätzlichen Straftaten beträgt die Unternehmensgeldbuße bis zu 10 Mio. EUR, bei fahrlässigen Straftaten „lediglich“ bis zu 5 Mio. EUR. Bei Ordnungswidrigkeiten bestimmt sich das Höchstmaß der Geldbuße grundsätzlich nach dem für die Ordnungswidrigkeit angedrohten Höchstmaß (§ 30 Abs. 2 Satz 2 OWiG), ist also regelmäßig deutlich geringer. Zu beachten ist allerdings, dass zahlreiche Vorschriften des Nebenstrafrechts Ordnungswidrigkeitentatbestände enthalten, die mit ganz erheblichen Bußgeldrahmen ausgestattet sind. So können beispielsweise bestimmte Ordnungswidrigkeiten nach dem Bundesdatenschutzgesetz gem. § 43 Abs. 3 BDSG mit einer Geldbuße von bis zu 300.000,00 EUR pro Fall geahndet werden. Für die Bemessung der Höhe der Geldbuße im Falle einer Aufsichtspflichtverletzung i.S.v. § 130 OWiG gilt zunächst § 130 Abs. 3 Satz 1 OWiG (§ 30 Abs. 2 Satz 2 OWiG). Die Geldbuße beträgt demnach bis zu einer Mio. EUR. Nach § 17 Abs. 2 OWiG kann fahrlässiges Handeln im Höchstmaß nur mit der Hälfte des angedrohten Höchstbetrages der Geldbuße geahndet werden, also mit 500.000,00 EUR.
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§ 30 Abs. 3 OWiG erklärt darüber hinaus die Regelung des § 17 Abs. 4 OWiG, die sog. Mehrerlösabschöpfung, für entsprechend anwendbar. Danach soll die Geldbuße den wirtschaftlichen Vorteil übersteigen, den das Unternehmen aus der Tat gezogen hat. Zu diesem Zweck darf das gesetzliche Höchstmaß der Geldbuße gem. § 17 Abs. 4 Satz 2 OWiG sogar überschritten werden. Aus diesen gesetzlichen Vorgaben folgt, dass der wirtschaftliche Vorteil, welcher dem Unternehmen aus der Tat zugeflossen ist, rechnerisch die unterste Grenze der Geldbuße darstellt (sog. „Abschöpfungsanteil“). Der Begriff des wirtschaftlichen Vorteils bezeichnet dabei die erzielten Erlöse, aber auch mittelbare Vorteile wie Marktvorteile. Zusätzlich ist der Abschöpfungsteil der Geldbuße um den sog. „Ahndungsteil“ zu erhöhen. Zumessungsgrundlage ist hierbei analog § 17 Abs. 3 OWiG die Bedeutung der Straftat, also Gewicht und Ausmaß der Pflichtverletzung, deren Häufigkeit, die Schwere des Schadens und die Auswirkungen des Verstoßes.
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Bei der Höhe der Gewinnabschöpfung findet Berücksichtigung, so etwa in der causa Siemens, wenn ausländische Behörden, wie etwa die US-amerikanische Börsenaufsicht SEC, das US-Justizministerium Department of Justice (DOJ) oder die britische Finanzaufsicht Financial Conduct Authority (FCA), wegen des gleichen Sachverhalts bereits eine vergleichbare Maßnahme durchgeführt haben oder eine solche noch zu erwarten ist. Dadurch soll ausgeschlossen werden, dass derselbe Gewinn von den beteiligten Behörden mehrfach abgeschöpft wird. Auf exemplarische Fälle der Verhängung von Verbandsgeldbußen wurde bereits in der Einleitung zu diesem Kapitel hingewiesen.
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Da die Geldbußen gem. § 30 OWiG häufig existenzbedrohende Ausmaße annehmen, haben die betroffenen Unternehmen teilweise bewusst versucht, sich diesen Konsequenzen durch eine gesellschaftsrechtliche Umgestaltung zu entziehen oder unterlagen innerhalb der langen Dauer solcher Verfahren einschneidenden gesellschaftsrechtlichen Veränderungen. Insofern stellte sich rechtlich die Frage der Sanktionierung des Gesamtrechtsnachfolgers des betroffenen Unternehmens. Nach der älteren Rechtsprechung des BGH war die Bußgeldhaftung des Rechtsnachfolgers nur möglich, wenn zwischen der früheren und der neuen Gesellschaft nach wirtschaftlicher Betrachtungsweise eine sog. „Nahezu-Identität“ bestand.222 Diese Rechtsprechung führte allerdings dazu, dass Unternehmen sich einer gegen sie verhängten (Kartell-)Geldbuße entziehen konnten, indem sie eine Form der Umstrukturierung oder Veräußerung des Unternehmens wählten, die die Annahme einer „Nahezu-Identität“ im Sinne der Rechtsprechung ausschloss. Mit Urteil vom 5.3.2015 hat sich dann jedoch der EuGH gegen die Rechtsprechung des BGH gewandt und entschieden, dass die (im Rahmen einer Verschmelzung) aufnehmende Gesellschaft grundsätzlich für Rechtsverstöße der aufgenommenen Gesellschaft haftet.223 Da dies aber mit dem deutschen Schuldprinzip („nulla poena sine culpa“) nicht vereinbar erscheint, hat der BGH für Altfälle klargestellt, dass eine solche Auslegung des § 30 OWiG contra legem nicht zulässig sei.224 Für Neufälle hat der Gesetzgeber im Jahre 2013 eine ausdrückliche Regelung in § 30 Abs. 2a OWiG geschaffen, nach der im Falle der Gesamtrechtsnachfolge die Geldbuße gegen den oder die Rechtsnachfolger festgesetzt werden kann.225
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In der Verfolgungspraxis führen die erheblichen Unternehmensgeldbußen teilweise zu profiskalischen Begehrlichkeiten auch in der Strafjustiz mit der Folge, dass das eigentliche Strafverfahren gegen die persönlich Verantwortlichen nur noch mit geringem Engagement geführt wird und die Straftat (oder Ordnungswidrigkeit) letztlich nur noch als „Aufhänger“ für die beabsichtigte Unternehmensgeldbuße dient. Regelmäßig werden die Verfahren gegen die Unternehmen als Drittbeteiligte abgetrennt und vorgezogen, häufig werden die Verfahren wegen der Anknüpfungstaten dann sogar aus Gründen der „Prozessökonomie“ gem. § 153a StPO bzw. § 47 OWiG eingestellt. Die Verhängung einer Unternehmensgeldbuße, das eigentliche Ziel, bleibt in solchen Fällen im selbstständigen Verfahren gem. § 444 Abs. 3 StPO weiterhin möglich.226