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Beim AMS

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Anfang Juni hatte ich meinen ersten Termin beim AMS. Ich betrat dieses Gebäude zum ersten Mal in meinem Leben. Mein Termin war für 10 Uhr 15 angesetzt, ich begab mich in den dritten Stock. Nachdem die angegebene Zimmertür auch um 10 Uhr 20 noch verschlossen blieb, wagte ich ein zaghaftes Klopfen. Nichts. Ich bemerkte einen Herrn, der – geschäftig mit dem Handy telefonierend – den kurzen Flur auf und ab ging. Als er, wieder einige Minuten später, sein Gespräch beendet hatte, sprach ich ihn an, ob er der für mich zuständige Berater sei. »Nein«, meinte er kurz, er habe im nämlichen Raum bereits um zehn Uhr seinen Termin gehabt, aber es sei niemand drin. Der Flur mündete in ein kleines Rondell, an dessen gegenüberliegender Seite sich bereits seit einiger Zeit eine aparte Brünette mittleren Alters mit einer Kaffeetasse in der Hand herumdrückte, dann wieder hinter einer Tür verschwand und schließlich – es war etwa 10 Uhr 30 – um das Rondell herum zum besagten Raum kam. Der Herr begab sich flugs zur Eingangstür, ich ebenso. »Wer sind denn Sie?«, fragte mich die Dame. Ich nannte meinen Namen und bemerkte, dass ich um 10 Uhr 15 meinen Termin bei ihr gehabt hätte. »Ja, da müssen S’ aber jetzt warten, weil es kann ja immer nur einer zu mir herein.« Nun ja, darauf würde ich mich als Klient des AMS wohl einstellen müssen, schließlich war ich ja bald nicht mehr in der Rolle des Beitragszahlers, sondern in jener des Bittstellers. Nach etwa zehn weiteren Minuten beschloss ich, mir beim nahen Supermarkt eine Zeitung zu besorgen, das dumpfe Herumsitzen war ich ja noch nicht so gewohnt. Knapp fünf Minuten später war ich wieder vor Ort, konnte aber durch die Scheibe aus Strukturglas nicht erkennen, ob mein Vorgänger noch in der Besprechung war. So nahm ich Platz und begann zu lesen. Es war kurz vor elf, als ich neuerlich zaghaft klopfte. Diesmal wurde ich hineingebeten. Die Dame war noch intensiv mit ihrem Computer beschäftigt. »Ich habe schon nach Ihnen gesehen, aber Sie waren ja nicht mehr da«, sprach sie und warf mir einen strafenden Blick zu. Aus dem Drucker fuhr mit leisem Summen ein Zettel, den die Beraterin akkurat faltete, in ein Kuvert steckte und in einen Nebenraum brachte. Dann nahm sie wieder Platz. »Bitte, was kann ich für Sie tun?«, meinte sie, während sie ca. 30 cm vor sich auf ihren Schreibtisch starrte. Ich erklärte kurz, dass ich in etwa zweieinhalb Monaten arbeitslos werden sollte und ich mich daher bereits vormerken lassen wolle. »Ja, aber dann haben Sie ja noch eine Arbeit, was tun Sie denn dann schon hier?« Sie wies mich dann auf die Möglichkeit hin, dass ich mich jederzeit elektronisch beim AMS als Arbeit suchend anmelden könne, und wollte mich nach etwa zwei Minuten tunlichst loswerden. Nun erwies ich mich aber als etwas hartnäckig: »Wäre es denn vorstellbar, dass ich auch eine Umschulung in Anspruch nehmen könnte?« »Warum wollen Sie sich denn umschulen lassen?« Ich erklärte, dass ich nicht die allerhöchste Zuversicht hätte, mit meiner derzeitigen Qualifikation eine adäquate Anstellung zu finden. Die heutige Arbeitswelt biete Nicht-Akademikern solche Jobs eigentlich nicht mehr an. Außerdem sei es in meiner Jugend ein Traum von mir gewesen, mich als Lehrer ausbilden zu lassen. Aufgrund verschiedenster (vor allem finanzieller) Hindernisse war das seinerzeit jedoch nicht möglich gewesen, so hätte ich schließlich in der Privatwirtschaft zu arbeiten begonnen. »Aha, Sie wollen also studieren. Ja, wenn Sie studieren wollen, dann ist das Ihre Sache. Sie melden uns einfach, wann Sie mit Ihrem Studium beginnen, und wir stellen dann die Zahlungen ein.« Die Beraterin hatte die ganze Zeit über auf ihren »Fixpunkt« am Schreibtisch geblickt. Ich konnte dort weder ein Insekt erkennen noch hatte sie ihr Handy vor sich liegen. Weshalb sie es trotzdem vermied, mich auch nur einen Augenblick lang anzusehen, ist mir bis heute nicht klar.

Eine ehemalige Arbeitskollegin aus längst vergangenen Tagen hatte sich – nachdem meine vorvorletzte Firma insolvent geworden war – beim AMS beworben. Seit mittlerweile 19 Jahren ist sie in einer anderen Bezirksstelle als Beraterin tätig und genießt demonstrativ jene Bonifikationen, welche die Unternehmen der öffentlichen Hand ihren Mitarbeitern ermöglichen (zusätzliche Urlaubstage, Gesundheitstage samt Übernahme von Hotelkosten, Fortbildungen während der Arbeitszeit usw.). Spontan erkundigte ich mich, ob nicht etwa beim AMS ein Platz als Berater frei wäre – schließlich stieg in jenen Tagen die Arbeitslosigkeit dramatisch an. Die Brünette starrte weiter vor sich auf den Tisch. »Aber wenn Sie bei uns arbeiten möchten, da müssen Sie zuerst einmal für

20 Wochen nach Linz zur Einschulung!«, warnte sie mich. Wenn die Dame glaubte, mich damit nachhaltig erschreckt zu haben, so täuschte sie sich gewaltig. Dass jemand, der in den letzten Jahren förmlich am Schreibtisch angekettet war, eine bezahlte Schulungsmaßnahme während der Dienstzeit als willkommene Abwechslung betrachten könnte, war ihr wohl nicht bewusst. Ich solle einfach eine Bewerbung an jene E-Mail-Adresse schicken, welche ich auf der Homepage fände. Nun wurde ich aber nochmals lästig: Ich wollte wissen, wer die eingehenden Bewerbungen verwaltet, damit ich meine Bewerbung etwas gezielter und mit persönlicher Anrede einbringen könne – sogleich hatte ich ein Zettelchen mit der Mailadresse der betreffenden Frau Magister in Händen.

Als ich mich verabschiedete, streckte ich meiner Beraterin die Hand entgegen. Diese Geste schien sie sehr zu überraschen – es kostete sie offenbar etwas Überwindung, sich per Handschlag von mir zu verabschieden. Das war also meine erste, wenig erquickliche Erfahrung mit unserem AMS.

Später Aufbruch

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