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Der Feuerwehr-Skandal
ОглавлениеDie Bammers legten immer extrem viel Wert darauf, dass die Mitarbeiter ein Maximum an Leistungsfähigkeit in die Firma einbrachten und keinerlei Energie für »Nebensächlichkeiten« verschwendeten. Deshalb hatten alle Angestellten in ihrem Dienstvertrag auch einen Passus, dem zufolge sie keinerlei entgeltliche Nebentätigkeit ausführen dürften, es sei denn, diese wäre von der Geschäftsleitung ausdrücklich genehmigt worden. Dass sich diese Regelung auch auf unentgeltliche Einsätze bezog, bekamen die Kollegen in verschiedenen Fällen zu spüren. So wurde beispielsweise unserem Allround-Manager Albrecht einmal Folgendes zum Verhängnis: Als engagiertes Mitglied einer Musikkapelle nahm er sich dereinst zwei oder drei Tage Urlaub, in denen er sich um die Organisation eines Festes und den Aufbau eines Bierzeltes kümmerte. Selbst während des Festes stand er fallweise persönlich am Tresen und ließ das Bier fließen. Natürlich wollte man am Beginn der darauffolgenden Woche wissen, wie denn der Urlaub gewesen sei. Albrecht berichtete frei von der Leber weg vom Fest und von seinem ehrenamtlichen Einsatz. Es dauerte nicht lange, da wurde er zum Chef gerufen. Wie er denn dazu komme, sich in seinem Urlaub derartigen Arbeitseinsätzen zu widmen, wurde er gefragt. Schließlich sei Urlaub in den einschlägigen Regelungen als »Erholungsurlaub« definiert, daher habe sich der Arbeitnehmer im Urlaub gefälligst zu erholen und nicht irgendwelchen freiwilligen Tätigkeiten nachzugehen. Man kann davon ausgehen, dass alle, die von diesem an sich geheim zu haltenden Gespräch erfuhren, sich fortan hüteten, über allfällige ehrenamtliche Tätigkeiten in der Firma zu sprechen.
Noch viel schlimmer erging es unserem Lehrling Christian. Christian hatte als Lehrling ohnehin keinen besonders guten Stand, zumal seine Mutter infolge von Scheidung Alleinerzieherin war – solche »desolaten Verhältnisse« waren von der Geschäftsleitung naturgemäß nicht sehr gerne gesehen. Christian war aber dennoch ein putzmunterer Kerl, der sich mit großem Enthusiasmus bei der Freiwilligen Feuerwehr engagierte. In der Gemeinde, in welcher die Firma Bammer ihre Betriebsstätte hat, wütete einst ein Jahrhunderthochwasser. Die Feuerwehr brauchte jeden Mann, natürlich fragte man auch Christian. Zumal zu diesem Zeitpunkt keine wirklich dringenden betrieblichen Erfordernisse dagegen standen, genehmigte ihm sein Abteilungsleiter einige Urlaubstage. Schon bald bemerkte die Chefin das Fehlen des Lehrbuben. Als sie schließlich erfuhr, dass Christian sich freigenommen hatte, um bei der Beseitigung der Hochwasserschäden zu helfen, sah sie darin DIE Chance für einen erstklassigen Skandal. Natürlich kann man einen Lehrling nicht ernsthaft mit Kündigung bedrohen, schon gar nicht wegen eines ehrenamtlichen Engagements. Nichtsdestotrotz ließ sie Christian spontan direkt vom Einsatzort in die Firma beordern. Ich als zufälliger Augenzeuge der darauffolgenden Besprechung habe heute noch ein Bild im Gedächtnis: Durch die Glastür des Besprechungsraumes sah ich die Chefin, wie sie Christian mit krankhaft stierendem Blick durch ihre massiven Brillengläser fixierte und wild gestikulierend auf ihn einredete. Christian selbst saß ihr mit gesenktem, hochrotem Kopf gegenüber und ließ die Tirade schweigend über sich ergehen. Wie ich später erfuhr, wurde Christian in diesen Minuten vor folgende Entscheidung gestellt: Wenn er seine Lehre in dieser Firma erfolgreich fortsetzen und abschließen wolle, so müsse er umgehend der Feuerwehr entsagen. Wenn ihm aber die Feuerwehr wichtiger als seine Lehre sei, dann brauche er sich in dieser Firma nicht mehr blicken zu lassen, ihm wurde also eine Selbstkündigung nahegelegt. Dies war das letzte Mal, dass ich Christian in der Firma sah.
Die Feuerwehr war in weiterer Folge auch ein Thema bei anderen Angestellten, die sich in dieser Organisation engagierten: Ein Verlassen des Arbeitsplatzes beim Erklingen der Sirene war ohnehin völlig tabu – die Firma braucht die Mitarbeiter schließlich permanent auf ihrem Platz. Falls aber jemand in der dienstfreien Zeit ausgerückt war, so hielt derjenige schön seinen Mund, um nur ja nicht in Verdacht zu geraten, die in der Firma ja so dringend benötigten Energien anderweitig vergeudet zu haben.
Im darauffolgenden Frühjahr war eine große Messe. Chef, Chefin und Junior waren daher persönlich nicht zugegen, als mitten am Vormittag in einer Wand der ehemaligen Lackierhalle nach Schweißarbeiten Lackreste zu brennen begannen. Die Mitarbeiter vor Ort reagierten rasch, innerhalb kürzester Zeit hörte man die Sirene. Und wieder vergingen eher Sekunden denn Minuten, schon war der erste Einsatzwagen eingetroffen. Die wackeren Männer orteten den schwelenden Brand zielsicher, entfernten Blechabdeckungen und waren des Feuers binnen weniger Minuten Herr. Zwei weitere Einsatzfahrzeuge standen inzwischen auf dem Firmengelände. Insgesamt sah ich gut und gern 20 Männer, die vermutlich spontan ihren Arbeitsplatz verlassen hatten, um die Firma Bammer vor gröberem Schaden zu bewahren. Nämlich genau jene Firma Bammer, welche ihren Mitarbeitern striktest untersagt hatte, beim Ertönen einer Sirene den Arbeitsplatz zu verlassen. Zu dieser Zeit war »Fremdschämen« noch kein gängiger Ausdruck, aber genau dieses Gefühl plagte mich am besagten Vormittag.
Man hält es kaum für möglich, aber eine Steigerung der Peinlichkeit war noch erreichbar: Nachdem Alfred Bammer von seinem Messeauftritt zurückgekehrt war, dürfte ihn doch in irgendeiner Weise sein Gewissen geplagt haben. Als er sich bei der Feuerwehr für den raschen und erfolgreichen Einsatz bedankte, überreichte er den namhaften Betrag von 1000 Euro als Spende. Die örtliche Feuerwehr wiederum revanchierte sich bei ihrem großzügigen Gönner mit einer protzigen Urkunde, für die ich eigentlich einen schönen Platz im Foyer hätte suchen sollen. In dieser speziellen Angelegenheit entschloss ich mich allerdings für einen stillen Boykott und »vergaß« so lange, diese Urkunde aufzuhängen, bis auch der Chef darauf vergessen hatte. Dafür schaue ich auch heute noch gerne in den Spiegel.