Читать книгу Später Aufbruch - Martin Ressagg - Страница 11

Der Nachspeis’-Skandal

Оглавление

Trotz der bereits geschilderten Situation, welche im Unternehmen meines ehemaligen Arbeitgebers herrschte, wird so mancher unter euch noch immer nicht so ganz verstehen, wie man froh sein kann, einen ordentlich dotierten Job zu verlieren, den man noch dazu mit viel Freude ausgeübt hat. Daher habe ich mich entschlossen, zum allgemeinen besseren Verständnis in diesem Buch einige Episoden zu schildern, welche man kaum zu glauben vermag, welche aber genau so passiert sind. Beispielsweise fällt mir soeben jenes kuriose Erlebnis ein, welches ich nach einem Betriebsausflug samt Besuch der Messe in Verona hatte. Solche Ausflüge waren für die Mitarbeiter üblicherweise eine recht willkommene Abwechslung. Meist hatte die Chefin Migräne oder musste auf den Dackel aufpassen, also war der Chef alleine mit seinen Leuten unterwegs und üblicherweise locker und gut gelaunt. Bisweilen aber war die Chefin überraschenderweise doch dabei und nützte die Situation selbstverständlich, um irgendwelche Skandale zu entdecken.


Am Sonntagnachmittag waren wir aus Italien zurückgekehrt. Ich muss vorausschicken, dass ich freitagmorgens meine Geldbörse im Auto meiner Frau vergessen und mir daher einen »Fuffy« (50er) von Frank ausgeliehen hatte. Nun war es Montagnachmittag. Ganz unvermittelt rief mich der Chef zu sich. »Nehmen Sie doch Platz, wie hat Ihnen denn der Messebesuch gefallen, sollen wir an unserem Stand für nächstes Jahr etwas ändern?« Ich war mit dem Stand bezüglich Größe und Ausstattung eigentlich sehr zufrieden gewesen, das teilte ich dem Chef auch mit. »Ach ja, das muss ich Ihnen jetzt auch noch sagen: Sie haben sich am Freitagabend ja um halb elf noch eine Nachspeise bestellt.« Ich stutzte. »Also, das geht so nicht, alle anderen sind so bescheiden und beenden das Essen ganz normal – nur Sie müssen da wieder eine Ausnahme machen und sich um diese Zeit als Einziger noch eine Nachspeise bestellen.« Ich war baff. Natürlich wies ich jetzt darauf hin, dass drei bis vier Kollegen zur gleichen Zeit jeweils einen Aperol oder einen Rotwein bestellt hatten, Getränke, die, wie ich mich erinnern konnte, zumindest jenen Betrag gekostet haben mochten, welcher für meine Panna Cotta angefallen war. »Darum geht es ja gar nicht, Sie hätten sich ja noch drei Gläser Wein bestellen können, da hätte sich niemand etwas dabei gedacht – aber nein, Sie bestellen sich ausgerechnet eine Nachspeise.« Meine Verblüffung kannte kein Ende. »Und am Sonntag, bei unserer Rast in Wielsbruck, da haben Sie sich wieder als Einziger eine Mehlspeise bestellt.« Ich musste das korrigieren – ich war etwas früher als alle anderen mit dem Essen fertig geworden und wollte mir kurz die Füße vertreten. Dabei hatte ich eine Konditorei entdeckt und mir dort von meinem eigenen Geld eine Nachspeise gekauft, den letzten Bissen hatte ich beim Einsteigen in den Bus vertilgt. »So geht das nicht! Wenn Sie in einer Konditorei etwas Süßes sehen, dann müssen Sie doch zu mir kommen und mich darüber informieren, vielleicht hätten ja auch andere Kollegen noch eine Nachspeise gewollt. Das ist jetzt ganz egal, um wessen Geld Sie das gekauft haben.« Sapperlot! Aber okay, jetzt wusste ich auch das. Der Chef war aber noch immer nicht fertig: »Und Sie haben ja auch Ihre Geldbörse vergessen, nicht? Also, das wirft auf Sie als erwachsenen Mann und als Großvater kein gutes Licht. In einem solchen Fall können Sie doch jederzeit zu mir kommen und mir das vertraulich sagen, ich helfe Ihnen dann doch gerne aus, aber das brauchen doch die Kollegen nicht mitzubekommen.« Seit diesem Tag weiß ich, dass es für einen jungen Großvater absolut unschicklich ist, seine Geldbörse zu vergessen. Hatte es bei früheren Ausflügen mit der Chefin noch »echte« Skandale um betrunkene Lehrmädchen gegeben (die mit dem Rauswurf eines Kollegen endeten), so war diesmal der unsägliche »Nachspeisen-Skandal« das Highlight der Saison. Das Traurigste an dieser Geschichte war aber wohl, dass ein an sich selbstbewusster Unternehmensgründer sich vor einem Mitarbeiter zum Kasperl machte, weil die Chefin aufgrund ihres permanenten psychischen Ausnahmezustandes stets danach strebte, irgendein Fehlverhalten von Mitarbeitern entdecken und korrigieren zu müssen.

Später Aufbruch

Подняться наверх