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Der Fliegerbund-Skandal

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Unser Chef reiste in den Anfangsjahren des Jahrtausends oft und gerne zu seinen Händlern, Lieferanten und Kunden. Nachdem er bereits als junger Spund einen Hang zur Fliegerei entwickelt hatte, lag es auf der Hand, dass er Termine in einer Entfernung von hunderten Kilometern bevorzugt mit einer kleinen Propellermaschine anpeilte. Zu diesem Zwecke war er vor langer Zeit dem »Fliegerbund« beigetreten, einer Vereinigung, die gemeinsam mehrere Flugzeuge besitzt und an die Mitglieder verleiht. Wer nun einen Flug zu absolvieren hatte, suchte sich das geeignete Gerät aus und zahlte einen angemessenen Stundensatz plus Sprit. Das große Manko an dieser Regelung lag jedoch darin, dass man als Mitglied eines Vereins nicht das alleinige Diktat führen konnte, sondern immer in Abstimmung mit Gleichgestellten entschied. Dem Herrn Alfred Bammer dürfte dies wohl kaum geschmeckt haben. Oft berichtete er während der Mittagspause von den skandalösen Zuständen in diesem Verein, dass der abgehobene Vorstand die Wartungsarbeiten quasi unter der Hand an befreundete Unternehmen vergebe und dass diese nicht mit der entsprechenden Sorgfalt durchgeführt würden. Mit einem leitenden Vereinsmitglied kam es daraufhin zu einem tiefgreifenden Zerwürfnis. So schrieb dieser Diplomingenieur unserem Chef auf dessen Firmen-E-Mail. Sinngemäß teilte er unserem Herrn Bammer mit, er könne sich seinetwegen in seiner Firma aufführen wie ein Kaiser, im Verein aber habe er sich den Statuten und Beschlüssen der Gremien unterzuordnen. Vermutlich war es nur ein fataler Irrtum, dass der Herr DI dieses E-Mail in BCC (also für den Chef nicht sichtbar) auch an die offizielle Mailadresse der Firma sandte. So erlangte schließlich auch ich eine Kopie dieses Schreibens. Die geschilderten Charakterzüge waren uns Mitarbeitern leidvoll bekannt, nun konnten wir mit einiger Häme darüber schmunzeln, wie dem Chef hier ein Spiegel vorgehalten wurde.

Das Fass war damit übergelaufen. Im Verein stand die Neuwahl des Vorstandes an. Nun dürft ihr raten, wer sich für die Position des neuen Vereinsvorstandes berufen fühlte. An mich erging in diesem Zusammenhang der Auftrag, ein gediegenes »Propagandaschreiben« zu erstellen, in welchem die herrschenden Zustände kritisiert und eine strahlende Zukunft der Vereinigung unter der Ägide des Herrn Bammer angekündigt wurden. Als Bildmotiv für den Kopf der Aussendung wählte ich das Triebwerk einer Propellermachine vor strahlend blauem Himmel und kleine weiße Wolkenfetzen im Hintergrund, dies ließ ich abgesoftet verlaufen und in einen martialisch-revolutionären Text übergehen. Ich hätte nach Lektüre dieses Schreibens mit Sicherheit meinen Chef gewählt. Von diesem Rundbrief druckte ich etwa 160 Stück, die Kuvertierarbeit muss wohl die Chefin übernommen haben. Leider kam die Wahlpropaganda bei den Vereinsmitgliedern anscheinend nicht ganz so gut an. Obwohl alles Weitere reinste Geheimsache war und ich natürlich von offizieller Seite keinerlei Informationen mehr erhielt, erfuhr ich Folgendes: Der Vorstoß muss blamabel gescheitert sein. Bereits am nächsten Tag traten der Chef, unser Junior (welcher die Flugleidenschaft des Vaters zwangsläufig teilen musste) und unser Pilot, ein Freund des Chefs, aus dem Fliegerbund aus. Nun war aber wirklich Feuer am Dach: Wie lange würde die Firma wohl noch bestehen können, so gänzlich ohne Zugang zu einem Fluggerät? Alle Besuche mit dem Auto oder per Linienflug zu absolvieren und dabei nicht einen einzigen Kilometer zur Aufrechterhaltung der Pilotenlizenz zu erfliegen, das war eine höchst prekäre Situation. Die Stimmung war schlecht. Eine große und kostspielige Messe stand an. Zumindest war es nicht


üblich, den beteiligten Mitarbeitern irgendwelche Diäten oder Überstunden auszubezahlen, was die Kosten geringfügig senkte. Just in dieser finanziell bedrohlichen Situation flatterte uns eine Rechnung ins Haus: Für wohlfeile 170.000 Euro musste sich die Firma nun eine gebrauchte zweimotorige Cessna kaufen, um die zuvor genannten Bedrohungsbilder hintanzuhalten. Nachdem dieser »Notkauf« nicht geheim gehalten werden konnte, gab es etwas später in einem Meeting folgende Information: Man habe im Sinne der Flexibilität handeln müssen. Es gehe nicht an, dass in 1000 km Entfernung eine Maschine stillstehe und unser Chef müsse erst mühsam mit dem Auto dorthin fahren. Dann aber kam das Eingeständnis, dass Unterbringung, Wartung und Erhaltungskosten für dieses Gerät einen erheblichen Kostenfaktor für ein kleines Familienunternehmen darstellen und man danach trachte, eventuelle »Taxiflüge« für andere Unternehmen durchzuführen, um die Kosten etwas aufteilen zu können. Wenige Tage später stand ich mit einem fertigen Konzept beim Chef: Über die Wirtschaftskammer hätten wir Adressen von Unternehmen erhalten können, welche an dieser Art der Dienstleistung Interesse hätten haben können. Einen Textentwurf für die Aussendung hatte ich vorbereitet, einen Artikel für die »Domländische Wirtschaft« hatte ich ebenso entworfen. Nun zeigte sich aber eine gänzlich andere Situation: »Wir wollen ja nicht Lufttaxi für Hinz und Kunz spielen.« Wenn jemand Interesse daran habe, das Bammer’sche Fluggerät samt Crew zu buchen, so möge derjenige doch bittstellend auf uns zukommen (vorzugsweise natürlich befreundete Unternehmer). Wenn dann die Chemie stimmt und das Bordpersonal nicht gerade anderweitig verplant ist, dann würde man eine derartige Dienstleistung ja gerne durchführen. Ich habe in den darauffolgenden Jahren nicht bewusst erlebt, dass die Firma je als Luftfahrtunternehmen tätig geworden wäre. Dafür habe ich bisweilen Urlaubsfotos von den Perlen der Adria gesehen, die offenbar nicht auf dem Landweg oder per Linienflug erreicht worden waren. Weil in solchen Fällen aber der gute Wille für das Werk steht, wurde offenbar versucht, für viele tausend Liter Flugbenzin vom Finanzamt eine Rückerstattung geleisteter Abgaben zu erlangen, wie sie für Luftfahrtunternehmen anscheinend vorgesehen ist. Ob diesem Ansinnen letztlich stattgegeben wurde, entzieht sich meiner Kenntnis.

Eine ebenso bezeichnende Flugzeug-Episode wurde mir später von Frank berichtet: Ein großer deutscher Kunde war im Begriff, mehrere Maschinenausrüstungen im Wert von weit über 100.000 Euro zu bestellen. Die Endverhandlungen für diesen Auftrag wollte man mit dem Chef persönlich führen, die Außendienstmitarbeiter hatten ja nicht den entsprechenden Handlungsspielraum. Bei den Details wollte der Kunde einige Kleinteile im Wert von wenigen hundert Euro ohne zusätzliche Berechnung für sich heraushandeln. Unser Chef verfiel augenblicklich in eine gejammerte Elegie, das Geschäft sei unerbittlich hart, die Ausrüstungen ohnehin so kalkuliert, dass kein Cent mehr bleibe, kurzum, es sei daher schlicht unmöglich, auch noch diese Kleinteile im Preis zu integrieren. Dabei dürfte er so glaubhaft gewirkt haben, dass der Kunde nur mit Mühe die Tränen zurückhalten konnte und sofort einwilligte, diese Teile separat zu bezahlen. Die Tinte unter dem Kaufvertrag war noch feucht, als der Chef eine Bitte äußerte: Ob es wohl möglich sei, dass sein Begleiter während des im Anschluss geplanten Essens seinen Laptop in den Räumen des Kunden aufladen könne. Man sei nämlich mit dem PRIVAT-FLUGZEUG angereist und müsse für den Rückflug ausreichend Akku-Kapazität sicherstellen. Frank erlangte angesichts dieser plötzlichen Wohlstandskundgebung eine gesunde Gesichtsfarbe, der Chef aber merkte gar nicht, wie unglaubwürdig er von einer Sekunde auf die andere geworden war. Fingerspitzengefühl war also Herrn Bammers Sache nicht.

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