Читать книгу Später Aufbruch - Martin Ressagg - Страница 13
Der ORF-Skandal
ОглавлениеEtwa 2003 hatte bei uns in der Firma eine Buchhalterin zu arbeiten begonnen, nennen wir sie Adele. Schon sehr bald stellte sich heraus, dass Adele ein irrsinniges Talent hatte, bei den Chefleuten Ansehen zu erlangen. Jede kleinste Kleinigkeit aus den Reihen der Mitarbeiter landete schnurstracks bei der Chefin. Diese hatte dann noch die Möglichkeit, die Angelegenheit auf ihre Weise zu interpretieren und dem Chef fast täglich einen neuen Skandal zu präsentieren. Auch war Adele extrem lieb zum degenerierten »Firmenhund« Burgi, einer altersschwachen, kurzbeinigen Kreatur aus der Kategorie Rauhaardackel, welche in ihren besseren Tagen als Jagdhund den Chef auf seinen ausgedehnten Wanderungen hatte begleiten dürfen. Nun aber lag Burgi den ganzen Tag unter irgendwelchen Schreibtischen herum und war wohl mehr eine Belastung für das ganze Team. Hier konnte sich Adele in besonderer Weise profilieren – oftmals ging sie tagsüber mit Burgi auf den Hof, damit diese ihre Geschäfte erledigen konnte. Und ging einmal ein Gacki oder ein Lulu auf den Teppich, so war sich Adele auch nicht zu schade, dieses zu entfernen (eine Aufgabe, die ansonsten gänzlich der Chefin zufiel).
Gemeinsam mit ihrer stets frustriert dreinblickenden Kollegin Suuus bildete Adele in diesen Tagen die Speerspitze des firmeninternen Geheimdienstes. Neben ihrer Arbeit in Buchhaltung und Personalwesen kamen die beiden Damen der Aufgabe des Skandalsuchens in perfekter Weise nach. Ein Beispiel: Eines Vormittags sollte der ORF in der Produktion Filmaufnahmen machen – die Bilder sollten der visuellen Bereicherung eines Beitrages dienen, den die Wirtschaftskammer gestaltete. Ich wusste von dieser Angelegenheit nichts. Die Chefin hatte Albrecht, unseren Qualitätsmanager, damit beauftragt, das Kamerateam zu empfangen und in die entsprechende Halle zu führen. Es begab sich jedoch, dass ich just an jenem Morgen ein Dokument im Personalbüro abzugeben hatte. Da ich als PR-Mann üblicherweise den Kontakt zum ORF hielt, bestürmten mich Adele und Suuus (die von der Aktion natürlich Wind bekommen hatten) mit der Frage, worum es bei diesen Dreharbeiten denn gehe. Ich musste die Damen enttäuschen, wusste ich doch wirklich von nichts. Minuten später rief mich unsere Empfangsdame an, es sei gerade ein Kamerateam des ORF eingetroffen und ich möge bitte in die Empfangshalle kommen, um die Herrschaften in Empfang zu nehmen. Nun war ich verunsichert. Hatte man etwa vergessen, mich zu informieren, dass ich in diesem Zusammenhang irgendwelche Maßnahmen zu treffen hatte? Kurzerhand rief ich die Chefin an (die Herren Bammer waren wie fast immer in wichtiger Mission außer Haus). »Das geht Sie aber nichts an, Albrecht kümmert sich schon darum«, kreischte die Chefin ins Telefon. »Und kommen Sie bitte jaaa nicht auf die Idee, in die Produktion zu gehen, das wollen wir nicht.« Okay, ich hatte verstanden. Es war die Art, einem Mitarbeiter zu signalisieren, dass er völlig überflüssig sei: Eine Aufgabe, von der das ganze Team annahm, sie würde in jemandes Verantwortungsbereich liegen, wurde einfach an einen (willfährigeren) Kollegen delegiert. Das wurde aber im Unternehmen nicht weiter kommuniziert, sodass man zwangsläufig davon erfahren sollte. Der krönende Schlusspunkt war dann der Auftrag, sich vom Geschehen nur ja fernzuhalten, weil es dafür ja geeignetere Kollegen gebe. Eins zu null für die Chefin.
Aber das Ganze war ja noch ausbaufähig. Einige Stunden später rief mich die Chefin zu sich. »Sagen Sie, wie kommen Sie eigentlich dazu, Adele wegen dieser Dreharbeiten auszufratscheln?« Na servass! Ich erklärte ganz schlüssig, dass ich gar niemand »ausfratscheln« hätte können, da ich ja bis zu diesem Morgen überhaupt nichts von irgendwelchen Dreharbeiten gewusst hätte. Ich sei rein zufällig in die Buchhaltung gegangen und die Damen seien mit Fragen auf mich zugekommen. »Aber die beiden haben mir das ganz anders erzählt. Wem soll ich denn jetzt glauben? Also, dass Sie rein zufällig in die Buchhaltung gekommen sind, das glaube ich Ihnen einfach nicht.« Zwei zu null für die Chefin, sie war ja in diesem Betrieb schließlich die Hüterin der Wahrheit.