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|36|Kapitel 2
Fragen des Lachens, in der Antike und heute Theorie versus Theorien
ОглавлениеMarcus Tullius Cicero, Roms bekanntester Redner und zugleich einer seiner hintersinnigsten Witzemacher, war ebenfalls an der Natur des Lachens interessiert. „Was ist es?“, fragte er, „Was ruft es hervor? Warum betrifft es so viele verschiedene Körperteile auf einmal? Warum können wir es nicht kontrollieren?“ Aber er wusste selbst, dass Antworten stets in die Irre führen, und gestand seine Ahnungslosigkeit gern ein. „Es ist keine Schande“, erklärte er in seiner Abhandlung De Oratore (Über den Redner) etwa im Jahr 50 v. Chr., „über etwas nicht Bescheid zu wissen, das nicht einmal selbsternannte Experten wirklich verstehen.“1
Er war nicht der einzige, dem es so ging. Einige Jahrhunderte später gab Galen, eifriger Verfasser medizinischer Schriften und unter anderem Leibarzt der Kaiser Mark Aurel und Commodus, seine Ratlosigkeit hinsichtlich der physiologischen Ursache des Lachens zu. In seinem Essay Über unerklärliche Bewegungen glaubte er zwar, für andere unwillentliche Körperreaktionen eine Erklärung bieten zu können. Vorstellungskraft zum Beispiel könnte erklären, weshalb ein Mann beim Anblick seines Geliebten oder schon beim Gedanken an ihn eine Erektion bekomme. Aber dem Lachen, war er bereit zuzugeben, kam er nicht bei.2
|37|Über gut 2000 Jahre hat Lachen verblüfft und fasziniert. Ehrgeiziges Theoretisieren und einfallsreiches Spekulieren über seine Natur und seine Gründe gingen einher mit freimütigen Bekenntnissen zur Unmöglichkeit, es zu enträtseln. Über die Nachfrage „Was lachst du?“/„Quid rides?“ hinaus, die anlässlich der verschiedensten Formen von Gelächter gestellt wird, bleibt Lachen ein Phänomen, das nach Erklärungen verlangt, sich jedoch jeder Erläuterung zu widersetzen scheint. Je ehrgeiziger die Theorien werden, desto größer scheint das Lachen über all diejenigen zu sein, die es kontrollieren, systematisieren und erklären wollen.
Das „Lachtum“ des antiken Rom zu untersuchen, schließt Überlegungen dazu ein, wann, warum und wie die Römer lachten, aber auch wie sie sich das Lachen erklärten und was sie – zumindest jene, die Muße hatten, zu grübeln und zu schreiben – über seine mögliche Ursache dachten. Daher befasst sich dieses Kapitel mit zahlreichen römischen Lachtheorien und mit einigen Quellen zur römischen Ideengeschichte. Wo haben Römer nachgeschlagen, wenn sie wissen wollten, warum sie lachten? Fing mit Aristoteles, vor allem mit seiner Abhandlung über die Komödie im zweiten verlorenen Teil seiner Poetik, tatsächlich das Nachdenken über dieses Thema an? Gab es überhaupt so etwas wie „die klassische Theorie über das Lachen“, wie seither häufig behauptet wurde?
Des Weiteren wird es um moderne Theorien über das Lachen gehen, auch um ihre Verwandtschaft mit antiken Vorläufern aufzuzeigen, hat doch praktisch jeder moderne soziologische oder psychologische Ansatz, abgesehen von den Neurowissenschaften, einen Vorfahren in der griechisch-römischen Welt. Weitere fundamentale Fragen tauchen dabei auf: Welche Mittel stehen uns zur Verfügung, um uns das Lachen jetzt oder früher, hier, in Europa oder andernorts zu erklären. Welchen weiteren kulturellen Absichten dienen Theorien über das Lachen? Wenn wir uns zum Beispiel fragen, ob Hunde lachen, worum geht es dann bei dieser Frage? Doch wohl kaum um Hunde.
Eine erste Kostprobe römischer Spekulationen über das Lachen in all seinen Formen liefern Theorien und Beobachtungen, die in der Naturalis Historia, einer umfangreichen Enzyklopädie von Gaius Plinius |38|Secundus (Plinius dem Älteren), einem unermüdlichen Universalgelehrten, verstreut sind.