Читать книгу Das Lachen im alten Rom - Mary Beard - Страница 19
Unterschiedlich lachen
ОглавлениеEin anderer Aspekt beim Erlernen des Lachens liegt in den kulturellen Unterschieden hinsichtlich der Objektwahl, des Stils und der Rhetorik des Lachens. Was immer die allgemeinen physiologischen Voraussetzungen sein mögen, die Menschen lernen in unterschiedlichen Gemeinschaften oder verschiedenen Teilen der Welt, über unterschiedliche Dinge zu unterschiedlichen Gelegenheiten und in verschiedenen Zusammenhängen zu lachen. Jeder, der im Ausland schon mal versucht hat, sein Publikum zum Lachen zu bringen, wird dies bestätigen. Aber es ist auch interessant, wie Menschen lachen und welche Gesten sie dabei machen. Tatsächlich gehört es zu unseren Erwartungen und Stereotypen von fremden Kulturen, dass Menschen dort anders lachen. Selbst die spitzfindigsten Theoretiker liefern über diese ethnischen Unterschiede gelegentlich Nullachtfünfzehn-Ansichten. Für Nietzsche war |66|etwa Hobbes’ Gegnerschaft gegen das Lachen „typisch englisch“: „jenem Philosophen zum Trotz, der als echter Engländer dem Lachen bei allen denkenden Köpfen eine üble Nachrede zu schaffen suchte.“77
Das klassische anthropologische Beispiel dafür, dass Menschen unterschiedlich lachen, sind die Pygmäen im Ituri-Regenwald (heute Demokratische Republik Kongo). Wie Mary Douglas beschreibt, lachen die Pygmäen nicht nur schneller – verglichen mit anderen eher strengen und würdevollen Völkern –, sondern sie lachen auch auf andere Art und Weise: „Sie liegen auf dem Boden und strampeln mit ihren Beinen in der Luft, keuchend und zitternd vor Lachkrämpfen.“78 Uns mag das als extravagante und inszenierte Vorstellung vorkommen, aber die Pygmäen haben die Gebräuche ihrer Kultur so verinnerlicht, dass es für sie ganz natürlich ist.
Doch ganz so einfach ist das nicht. Diese Beschreibung der Pygmäen wirft weitere knifflige Fragen über die Natur und die Kultur des Lachens auf und hat wiederum mit einigen literarischen, diskursiven und verwandten Themen zu tun, von denen bereits die Rede war. Das Lachen der Pygmäen und ihre Lachkrämpfe dienen Wissenschaftlern, die Lachen in seinen unterschiedlichen Formen erforschen, gern als Beispiel für kulturelle Diversität. Aber was ist der Beleg dafür? Soweit ich sehe, stammt die Information aus einer einzigen Quelle – einem Bestseller des Anthropologen Colin Turnbull mit dem Titel The Forest People (dt. Molimo. Drei Jahre bei den Pygmäen). Der Bericht ist von Turnbulls romantischer Sicht auf die Pygmäen als glückliches, offenes und freundliches Volk geprägt, das eine idyllische Existenz im Einklang mit ihrer exotischen Regenwald-Umgebung führe – ganz im Gegensatz, wie er in einem späteren Buch betont, zu den unfreundlichen, grimmigen Bergvölkern Zentral-Ugandas. Ausuferndes Gelächter sei nur eines der Symptome für den fröhlichen Lebensstil der Pygmäen, wie Turnbull schreibt: „Wenn Pygmäen lachen, ist es schwierig, sich nicht anstecken zu lassen, sie halten sich aneinander fest, als müssten sie sich stützen, schlagen sich auf die Seite, schnippen mit den Fingern und durchleben alle möglichen Formen von Krämpfen. Wenn ihnen |67|jemand besonders komisch vorkommt, kugeln sie sich sogar auf dem Boden.“ Turnbull war „subjektiv, voreingenommen und naiv“ und mit großer Wahrscheinlichkeit kein zuverlässiger Zeuge für die Kultur der Pygmäen, wobei seine Unzuverlässigkeit vermutlich nicht mehr exakt zu bemessen ist. Die weitaus interessantere Frage ist aber, weshalb sein Bericht über das Lachen der Pygmäen so oft kolportiert wurde, sogar von Wissenschaftlern wie Douglas, die sich sonst kaum mit einer Anthropologie à la Turnbull abgeben.79
Ohne Zweifel werden auch die Rationalsten unter uns traurig sein, dieses glückliche, farbenfrohe Bild der kleinen Pygmäen, die mit ihren Beinen in der Luft strampeln, aufgeben zu müssen, ganz gleich, welche Bedenken wir bezüglich Turnbulls ethnografischer Beobachtungsgabe haben – der vom Strampeln allerdings gar nichts verlauten lässt. Doch hier sind noch weitere Faktoren am Werk: Denn das Verhalten der Pygmäen, wie es wieder und wieder kolportiert worden ist, hat kaum mehr etwas mit der wirklichen Bevölkerung des Ituri-Regenwaldes und noch weniger mit den Gründen für ihr besonderes Lachen oder mit seinen Folgen zu tun. Sie sind ein literarisches Klischee geworden, ein Symbol – innerhalb unserer nachrangigen Überlegungen über das Lachen –, das praktischerweise für den extremen Fall eines fremden Volkes mit einem andersartigen Lachen steht. Auf unserer kulturellen Bewertungsskala stehen die Pygmäen am einen Ende, am anderen der ebenso häufig herangezogene Lord Chesterfield mit seiner perfekten Kontrolle oder Unterdrückung.80 Nietzsches Meinung, dass alle Engländer am Lord-Chesterfield-Ende zu verorten seien, zeigt, wie stark solche Skalen kulturell bedingt sind. Die Frage, wie die Pygmäen Turnbulls Art zu lachen beschrieben hätten, drängt sich wahrlich auf.