Читать книгу Das Lachen im alten Rom - Mary Beard - Страница 26
Narrative des Wechsels
ОглавлениеDas zweite Problem mit Bachtins Ansatz – ebenfalls von Thomas aufgegriffen – reicht viel weiter. Es geht um die Machart und den Status eines solchen historischen Berichts über das Lachen. Welche Art |95|von Geschichte erzählen wir denn, wenn wir uns an der „Geschichte des Lachens“ versuchen? Wovon handelt sie eigentlich?
Wie sehr wir auch Bachtins Darstellung im Detail kritisieren, von seiner Interpretation eines antiken Festes bis hin zu seiner Lesart von Rabelais, so teilt er doch ein grundlegendes Prinzip mit Thomas und vielen anderen Wissenschaftlern oder hat es ihnen vererbt: Nämlich die Idee, dass es möglich ist – und nicht nur interessant, wie Herzen in seinem berühmten Ausspruch meinte –, eine diachrone Geschichte des Lachens als soziales Phänomen zu schreiben. Die Logik dahinter ist bestechend: Wenn Lachen sich hinsichtlich seiner Praxis, Sitten und Gegenstände je nach Kontext, Ort und Epoche unterscheidet, dann folgt daraus, dass Lachen notwendigerweise veränderlich ist. Wenn es sich aber wandeln kann, dann sollten wir wiederum in der Lage sein, eine Entwicklungsgeschichte zu schreiben, welche seine Veränderungen nachzeichnet und sie sogar zu erläutern versucht.
Schon möglich. Nur ist der Prozess in Theorie wie Praxis viel schwieriger, als eine solch simple Logik vermuten lässt. Denn der Versuch, eine diachrone Geschichte zu schreiben, wirft noch einmal – und zwar in zugespitzter Form – alle jene Fragen nach der Beziehung zwischen Lachen und kulturellem Diskurs auf, die ich bereits angesprochen habe.60 Um es möglichst einfach zu fassen: Was ändert sich denn über die Zeiten? Geht es um die Praxis des Lachens, wie man es gesehen und gehört hat? Oder die Regeln, Sitten und Debatten, in die es eingebettet war? Oder ein bisschen was von beidem? Wenn ja, wie können wir zwischen beiden Aspekten unterscheiden?
Sicher können wir zum Beispiel nicht davon ausgehen, dass Lachen in einer Epoche, in der es strenger reguliert war als in anderen, auch stärker zurückgehalten wurde. Es ist sehr gut denkbar, dass raues Gelächter angesichts neuer Verbote genauso lauthals erklang wie zuvor, wenn auch aus strategischen Gründen vielleicht an anderen Orten. Ein Kritiker hat jüngst Großbritannien im 18. Jahrhundert zutreffend als eine „unhöfliche Welt, die viel über Höflichkeit sprach“61, bezeichnet. Auch das Verhalten des unglücklichen Chesterfield-Sohnes mag |96|mehr oder weniger unberührt von den rigiden väterlichen Vorschriften gegen „vernehmbares Lachen“ geblieben sein. Wurde dessen Rat doch schon bei der Veröffentlichung in gewissen Kreisen als Skurrilität gewertet und entsprach auf keinen Fall der vorherrschenden Meinung, wie heute gern behauptet wird.62 Auch deutet Thomas in seinem Vortrag wiederholt gerade dort auf Kontinuitäten hin, wo er eigentlich drastische Veränderungen zeigen möchte. Die Feste der Narrenherrschaft mit ihrer rauen Burleske verblassten nach und nach im Laufe des 17. Jahrhunderts – mal abgesehen von kleinen Gemeinden, wo sie bis zum 19. Jahrhundert fortlebten, wie Thomas einräumt. Krasse Formen des Lächerlichen erfuhren eine Mäßigung, aber „unter dem gemeinen Volk schlugen diese neuen Sitten langsamer Wurzeln … derbe Musik und Charivari lebte auf den Dörfern weiter.“ Witze wurden im 17. Jahrhundert im Allgemeinen etwas delikater, wobei „die Feinfühligkeit der Mittelklasse einige Zeit brauchte, um sich durchzusetzen … Witzbücher wurden oft erst im frühen 19. Jahrhundert bereinigt.“63
Dennoch können wir nicht ignorieren, dass auf die Dauer neue Regeln und Sitten durchaus einen größeren Einfluss darauf hatten, wo, wann und worüber gelacht wurde. Alternativ könnten wir auch annehmen, dass manche der neuen Gebräuche veränderte „menschliche Gefühlswelten“ in der Praxis des Lachens reflektieren. Immerhin lachen wir heutzutage nicht mehr über betrogene Ehemänner, die Thomas noch als zentrales Beispiel für die Tudorzeit angibt – oder doch? Diese Probleme sind knifflig genug, doch sind sie erst der Anfang der faszinierenden methodischen und heuristischen Dilemmas bei der Geschichte des Lachens. So könnten wir zum Beispiel vermuten, dass die Regeln des Vaters das Lachen von Chesterfield Junior veränderten, auch wenn es nach außen hin anscheinend das gleiche blieb. Denn Lachen trotz eines Verbots ist immer anders als ein erlaubtes Lachen. Wir können ebenfalls argumentieren, dass der Versuch, die Praxis des Lachens vom Diskurs über das Lachen zu trennen, wenig hilfreich und sogar irreführend ist. „Lachen“ als Untersuchungsgegenstand setzt sich zwingend aus der körperlichen Reaktion und den Fragen, |97|Erklärungen und Sitten, die im Zusammenhang mit dem Lachen verhandelt wurden, zusammen. Oder schieben wir das alles nur vor, um unsere Unfähigkeit zu entschuldigen, das Lachen der vergangenen Zeiten zu hören und seine sich verändernden Register wahrzunehmen, worum es Thomas offenbar ging?
Der beste Vergleich, den ich kenne – und er mag uns helfen, die Gefahren und den Lohn von einer Geschichte des Lachens wahrzunehmen –, ist die Geschichte von Geschlecht und Sexualität. Wir können wichtige Veränderungen in den Diskursen über Sex feststellen, wie auch bei den Maßnahmen, mit denen sexuelles Verhalten kontrolliert werden sollte. Aber es bleibt unklar, inwiefern diese Änderungen auch etwas mit dem zu tun hatten, was die Leute tatsächlich im Bett veranstalteten oder mit wem und welches Vergnügen sie dabei empfanden. Restriktives Reden korreliert nicht zwangsläufig mit restriktivem Handeln – kann es aber. Und es ist natürlich ebenfalls nur zu bekannt, dass Geschichten, die wir über das sexuelle Verhalten unserer Vorfahren erzählen, so gut wie immer stark aufgeladen und ideologisch, oft ebenso ein Urteil über uns selbst wie eine Untersuchung der Vergangenheit sind; mal feiern wir unsere Toleranz, mal beklagen wir unsere Prüderie.
Dies gilt alles auch für die Geschichte des Lachens, die stets demselben Muster folgt, ganz gleich, um welche Epoche oder welche Kultur es geht. Auf der einen Seite finden wir Kommentatoren und Kritiker, die sich auf die extremen Fälle agelastischer Humorlosigkeit in der Vergangenheit oder auf einige solche Momente konzentrieren und sich im Grunde über sie lustig machen. Dieser Tendenz verdanken Lord Chesterfield und das viktorianische Klischee des „we are not amused“ ihren Ruhm.64 Agelasten können tatsächlich, wie auch die Römer fanden, äußerst lächerlich sein. Auf der anderen Seite stehen die umfassenden Entwicklungsgeschichten von einem „Zivilisationsprozess“, wie sie bei Thomas oder mit einigen bezeichnenden Nuancen auch bei Bachtin zu finden sind.
Diachrone Geschichten des Lachens erzählen regelmäßig von der Zähmung des Rohen, Derben, Grausamen oder Lustvollen. Gelegentlich |98|blicken sie nostalgisch auf eine Zeit zurück, in der Lachen ehrlicher und bodenständiger gewesen sei.65 Oder sie heben stolz das wachsende Feingefühl hervor, dank dessen die Grobheit früherer Formen des Lachens nun verbannt sei und unschuldige Opfer nicht mehr der Lächerlichkeit preisgegeben würden. Soweit ich es überblicke, gibt es in der Welt keine einzige Kultur, die von sich behauptet, ungehobelter und derber zu lachen als ihre Vorfahren. Bodenständigkeit ist stets eine retrospektive Beschreibung. Die moderne Geschichte des Lachens ist also immer mit einem Urteil über den sozialen und kulturellen Fortschritt verbunden, wobei er mal als positiv oder mal als negativ verbucht wird.66
Nahezu dasselbe galt auch im antiken Rom. Zugegebenermaßen gibt es keine antiken erzählenden Berichte über die Geschichte des römischen Lachens. Aber der Kontrast zwischen dem kontrollierten, gebildeten oder milden Lachen von heute und dem bodenständigen, angstfreien und rohen Lachen von damals ist eine verblüffende Konstante in römischen Texten. Die Details unterscheiden sich von Autor zu Autor, die genaue Argumentation und Moral einiger Stellen ist schwer zu verstehen, um nicht zu sagen äußerst strittig, und die Vorstellung von einer chronologischen Entwicklung hängt manchmal in komplizierter und widersprüchlicher Weise mit Ideen über ausländischen Einfluss zusammen. Aber die grundsätzliche Botschaft der antiken Autoren ist klar: Wenn man nur weit genug in die römische Vergangenheit zurückgeht, findet man eine Kultur des aufsässigen, spielerischen Lachens, die – ob nun gut oder schlecht – verlorengegangen ist oder gerade verloren geht.
Cicero etwa verlieh in einem Brief aus dem Jahr 46 v. Chr. seiner nostalgischen Vorliebe für den „ursprünglichen Witz“ Ausdruck, der jetzt derart durch ausländische Einflüsse überlagert sei, „dass sich so gut wie keine Spur mehr vom guten alten Humor“ wiederfinde. Nur bei seinem Freund Paetus, an den der Brief gerichtet ist und dem er schmeichelt, vermag er noch „eine Ähnlichkeit mit dem alten ursprünglichen Humor (‚festivitas‘) zu erkennen.“67
|99|Auch Livius und Horaz beziehen sich beide auf die rohe, kaustische Tradition des bäuerlichen lateinischen Witzereißens und auf die beleidigenden, aufsässigen und – zugegebenermaßen – ziemlich mysteriösen „Fescennischen Verse“, die „Fescennina licentia“, die sich, wie Horaz behauptet, bei den Bauern von früher („agricolae prisci“) großer Beliebtheit erfreuten.68 Tatsächlich ist Horaz’ berühmte Reise nach Brundisium in den Satiren (1, 5), wie Emily Gowers bemerkte, nicht nur als einfacher Bericht über eine wenig komfortable Reise in den Süden oder als pointierter Kommentar zur Politik im Jahr 30 v. Chr. zu verstehen, sondern auch als Reise in die Geschichte des römischen Lachens und der Satire: Die zentrale Episode führt uns nämlich zu den frühesten Wurzeln zurück und inszeniert ein komisches Duell zwischen zwei skurrilen, grotesken und witzereißenden Clowns, zwischen Sarmentus und Messius Cicirrus. Was hingegen Horaz selbst komisch findet, ist natürlich weit mehr auf der Höhe seiner Zeit und viel raffinierter. Der Dichter, betont Ellen Oliensis ganz zu recht, „legt großen Wert darauf, sich aufseiten des Publikums zu platzieren, weit oberhalb des satirischen Boxringes.“69
Die Vorstellung einer ursprünglichen italischen Tradition von Humor – „la causticité des vieux Latins“70 – war für moderne Wissenschaftler verführerisch. Sie wurde als wirkmächtiger Faktor bei der herausragenden Entwicklung der lateinischen Satire gesehen, und letzte Spuren des Geistes der „Fescinnina“ wurden an allen möglichen Orten ausgemacht, mal mit einigem Recht, mal auch überhaupt nicht.71 Aber ob diese römischen Rekonstruktionen von einer Verschiebung und Entwicklung des römischen Lachens, was immer wir darunter verstehen, eine historische Realität wiedergeben, ist ebenso schwer zu entwirren wie bei jeder anderen Geschichte des Lachens überall und zu jeder Zeit. Teilweise dürften sie zutreffen, teilweise wohl nicht. Doch wer vermag das zu unterscheiden?
Bei der späteren Untersuchung von Fallstudien werde ich nach Anzeichen historischen Wandels und nach Ansichten antiker Autoren zur Geschichte des römischen Lachens Ausschau halten. Aber wegen, |100|wie ich hoffe, inzwischen einleuchtender Gründe werde ich es nicht darauf anlegen, eine diachrone Geschichte darüber zu schreiben, wie sich Lachen in Rom über die Jahrhunderte hinweg veränderte. Zweifellos hat sich das römische „Lachtum“ zur Zeit der Lagerfeuer in den kleinen, frühen Siedlung am Tiber, etwa im siebten Jahrhundert v. Chr., auf alle möglichen Weisen von denen in der multikulturellen Metropole unter Augustus im ersten Jahrhundert unterschieden. Und ich bin ebenfalls sicher, dass die Kultur des Lachens im „heidnischen“ Reich völlig anders war als unter den christlichen Nachfolgern. Alles andere als sicher bin ich jedoch, dass wir diese Veränderungen zuverlässig beschreiben oder gar belegen könnten oder ob wir nur annähernd genügend Quellen haben, vor allem für die frühe Epoche, um es auch nur zu versuchen. Mein Ansatz ist deshalb weitgehend und vorsätzlich synchron, wobei ich mich zumeist auf die römische Welt vom zweiten Jahrhundert v. Chr. bis zum zweiten Jahrhundert n. Chr konzentriere.72
Doch zunächst müssen wir uns fragen, was genau mit der Kultur des römischen Lachens gemeint sein könnte, welche grundlegenden Koordinaten sie hat und inwieweit das römische vom griechischen Lachen zu unterscheiden ist.