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|9|Kapitel 1
Lachen in Rom – eine Einführung
Dios Kichern und das Lachen des Gnathos Kolosseum, 192 n. Chr.
ОглавлениеEin junger Senator saß 192 n. Chr. in der vordersten Reihe des Kolosseums in Rom und konnte sich bei dem, was er sah, kaum das Lachen verkneifen. Ein guter Augenblick, um beim Lachen erwischt zu werden, war das allerdings nicht. Kaiser Commodus höchst selbst richtete die Spiele vermutlich für eine riesige Menge von annähernd 50.000 Menschen aus. Die Senatoren hatten wie üblich direkt an der Brüstung von den vordersten Sitzen aus die beste Sicht, während Frauen und Sklaven sich ganz hinten drängten, hoch oben, von wo aus die blutigen Kämpfe 30 Meter weiter unten kaum zu erkennen waren. Möglicherweise hatte sich allerdings gerade an diesem Tag mancher entschieden, fernzubleiben, war doch das Gerücht umgegangen, der Kaiser – gleichermaßen Hauptdarsteller wie Veranstalter – hätte vor, sich als Herkules zu verkleiden und tödliche Pfeile in die Menge zu schießen. Vielleicht war dies also eine jener Gelegenheiten, bei der es sicherer war, als Sklave oder Frau auf den hinteren Plätzen zu sitzen.1
Ob reich oder arm, ängstlich oder furchtlos, die Zuschauer brauchten Sitzfleisch. Die Spiele dauerten von morgens bis abends, 14 Tage lang. Die Sitze waren hart, und wer Geld und Verstand beisammen hatte, wird für Sitzkissen und Verpflegung gesorgt haben. Der Kaiser, |10|der als Gladiator, als Jäger bei Tierhatzen oder im Gewand eines Gottes auftrat, erwartete Applaus. Am ersten Tag tötete er rund 100 Bären, „indem er Speere von der Balustrade schleuderte, die rund um die Arena verlief“ – „eine Zurschaustellung eher von Treffsicherheit als von Mut“, wie ein Augenzeuge spitz bemerkte.2 An anderen Tagen ließ er die Tiere zwar zu sich in die Arena bringen, wo sie jedoch sicherheitshalber mit Netzen in Schach gehalten wurden. Nach dem Mittagessen wollte Commodus diesen Tierjagden einige Schaukämpfe mit Gladiatoren folgen lassen, bei denen er natürlich immer siegen würde, bevor die richtigen Kämpfer auftreten sollten, um die Menge zu unterhalten.
Während einer dieser Vorstellungen, die wenige Monate vor Commodus’ Ermordung am 31. Dezember 192 n. Chr. stattfand, wäre unser junger Senator fast in Lachen ausgebrochen, schaffte es jedoch, die verräterischen Anzeichen von Heiterkeit auf seinem Gesicht zu verstecken, indem er Lorbeerblätter aus seinem Kranz zupfte und eifrig darauf herumzukauen begann. Das zumindest ist seine Version von der Geschichte.3 Besagter Senator war der Historiker Cassius Dio, dessen ursprünglich aus Bithynien (heute Türkei) stammende Familie in der Politik der römischen Kaiserzeit über Generationen mitgemischt hat.4 Cassius Dio selbst machte im beginnenden dritten Jahrhundert politisch Karriere. Etwa 205 wurde er während der Regierungszeit des Kaisers Septimius Severus zum ersten Mal Konsul und 229 als Amtskollege des Kaisers Severus Alexander zum zweiten Mal. Neben anderen Ämtern war er Statthalter der Provinzen Afrika, Dalmatien und Pannonien. Besser bekannt ist er jedoch als Autor einer 80-bändigen Geschichte Roms in griechischer Sprache, die mit der mythischen Ankunft des Äneas in Italien beginnt und bis in seine eigene Zeit im dritten Jahrhundert reicht, somit also mehr als 1000 Jahre abdeckt. Einem der letzten Bände seiner Geschichte ist die Anekdote vom camouflierten Gelächter entnommen. Wie Dio selbst erklärt, benötigte er für dieses Werk, mit dessen Recherche und Niederschrift er in den späten 190ern begonnen hatte, über 20 Jahre. Ein Drittel davon ist im Original |11|erhalten, der Rest (einschließlich der Ereignisse von 192) ist nur aus mehr oder weniger zuverlässigen mittelalterlichen Zusammenfassungen und Exzerpten bekannt.5
Der Anlass für Cassius Dios halb ersticktes Lachen war ein denkwürdiger Moment kaiserlicher Schauspielkunst. Nachdem er über die Androhungen des Kaisers, herkulische Gewalt gegen die Zuschauer anzuwenden, berichtet hat, kommt Cassius Dio auf Commodus’ Attacke gegen die besonders gefährdeten Senatoren in der ersten Reihe zu sprechen:
Er gab aber auch noch etwas anderes in dieser Art zum Besten, das gegen uns, die Senatoren, gerichtet war und aus dem wir schließen konnten, dass bald unsere eigenen Köpfe rollen würden. Er tötete nämlich einen Strauß, schnitt ihm den Kopf ab und kam damit direkt vor unsere Sitzplätze. In der linken Hand hielt er den Kopf, in der rechten das bluttriefende Schwert.
Dabei sagte er kein Wort, grinsend jedoch nickte er uns mit seinem eigenen Kopf zu und machte so deutlich, dass er auch mit uns genau dasselbe tun würde. Und wer in diesem Moment über ihn gelacht hätte, wäre auf der Stelle mit dem Schwert einen Kopf kürzer gemacht worden – doch uns packte eher der Drang zu lachen als das Grausen. Die Sache wäre schlecht ausgegangen, wenn ich nicht selbst auf einigen Lorbeerblättern, die ich von meinem Kranz abgerissen hatte, herumgekaut hätte und auch die anderen, die in meiner Nähe saßen, dazu gebracht hätte, zu kauen, damit wir mit der Bewegung unseres Mundes die offensichtlichen Anzeichen von Lachen verhehlen konnten.6
Dieser flüchtige Eindruck vom gefährlichen Leben in der ersten Reihe römisch-kaiserzeitlicher Politik ist eine der wenigen Gelegenheiten, bei der römisches Lachen über beinahe 2000 Jahre hinweg zu uns herüberschallt. Wir kennen das Gefühl, das Cassius Dio beschreibt. |12|Fast empfinden wir, was er empfunden haben muss. Sein kurzer Bericht darüber, wie er verzweifelt versucht, sein Gelächter zu verbergen, spricht jedem aus dem Herzen, der sich schon einmal auf die Lippen, die Wangen oder die Knöchel gebissen hat, um zu verhindern, in einer völlig unangemessenen Situation in gefährliches oder peinliches Lachen auszubrechen und seine Gesichtszüge entgleisen zu lassen. Ersetzen Sie das Lorbeerblatt mit einem Kaugummi, und schon haben Sie einen der Momente, in denen die Römer dem Anschein nach genau so waren wie wir.
Man möchte sagen, Dio lief Gefahr, „loszukichern“ oder „aus der Rolle zu fallen“, wie wir es häufig beschreiben, wenn das Gebot der Diskretion, der Folgsamkeit oder der Höflichkeit mit einem hartnäckigen Lachen ringt, das sich einfach nicht unterdrücken lassen will. Doch Cassius Dio verwendet nicht das griechische Wort „kichlizein“, das oft als „kichern“ übersetzt wird und einen klaren erotischen Bezug hat, denn es bezeichnet an einer Stelle ausdrücklich das Lachen von Prostituierten.7 In Dios Sprache gibt es keine solchen Anspielungen auf einen geschlechtsspezifischen Aspekt des „Gekichers“ – also das Geräusch, das Angela Carter als den unschuldigen Ton bezeichnet hat, den Frauen als das einzige ihnen zur Verfügung stehende Mittel anwenden, um Männer zu erniedrigen.8 Was Dio zu unterdrücken versuchte, war „gelōs“ oder „gelan“, das gängige Wort für Gelächter in der griechischen Sprache von Homer bis zur Spätantike und darüber hinaus. Es ist auch die Wurzel einiger Fachbegriffe zum Lachen. Das Adjektiv „gelastisch“ findet zum Beispiel für Erkrankungen mit Lachzwang Anwendung, oder das Nomen „Agelast“ für jemanden, der niemals lacht – Wörter, die, wie ich fürchte, im Folgenden noch auftauchen werden.9
Eine Geschichte, welche die Entgleisungen des römischen Kaisers als einen Grund zum Lachen darstellt, ist natürlich eine ergiebige Quelle für uns. Cassius Dios Erzählung über Commodus’ Drohungen – so beängstigend wie lächerlich sie waren – legt nahe, das Lachen könnte eine Waffe für die Gegner römischer Autokratie und römischen |13|Machtmissbrauchs gewesen sein: Eine mögliche Form des Widerstands war sicher Gewalt, Verschwörung oder Rebellion, eine andere, die Machtinhaber nicht ernst zu nehmen.
Der Vorfall ist nicht das einzige Beispiel in Dios Römischer Geschichte, in dem Lachen bei der Auseinandersetzung zwischen den römischen Machthabern und denen, die unter ihnen zu leiden hatten, eine Rolle spielte. Es gibt eine andere, weniger bekannte Geschichte aus dem dritten Jahrhundert v. Chr., etwa 500 Jahre vor den Ereignissen im Kolosseum. Zu dieser Zeit expandierten die Römer und gerieten so auch mit der griechischen Stadt Tarent in Süditalien in Konflikt. Zu Beginn der Feindseligkeiten schickten die Römer Gesandte nach Tarent, die, wie es die Kleiderordnung verlangte, ihre Togen angelegt hatten, um mit dieser Aufmachung ihre Gegner zu beeindrucken. Als sie ankamen – das ist zumindest Dios Version, es gibt andere –, begannen die Tarentiner, über das Gewand der Römer zu lachen, und ein Mann schaffte es sogar, die sauberen römischen Kleider des Verhandlungsführers, Lucius Postumius Megellus, mit Kot zu besudeln. Die Einheimischen hatten ihren Spaß, aber die Ereignisse riefen auch eine vorhersehbare Antwort von Postumius hervor: „Lacht nur“, sagte er, „lacht, solange ihr noch könnt. Denn bald werdet ihr für eine lange Zeit heulen, wenn ihr diese Kleider mit eurem Blut reinwascht.“ Diese Drohung sollte sich bewahrheiten: Für den Sieg der Römer zahlten die Tarentiner nur allzu bald mit ihrem Blut.10
Was brachte die Tarentiner zum Lachen? Zum Teil handelte es sich wohl um ein Lachen des Hohns und der Verachtung. So fasste es nach Cassius Dio sicherlich Postumius auf, als seine Toga so schimpflich behandelt wurde. Aber Cassius Dio lässt auch erkennen, dass es die schiere Albernheit der offiziellen römischen Kleidung war, welche die Tarentiner in brüllendes Gelächter ausbrechen ließ. Jene Kombination von Lachen, Macht und Drohung hat dieser Vorfall mit der Geschichte im Kolosseum gemein. Der Macht wird begegnet, und sie wird spontan herausgefordert durch Lachen. Im Fall der Tarentiner kommt noch etwas dazu: ein klarer Hinweis darauf, dass die unhandliche und |14|hoffnungslos unpraktische römische Toga auf Nicht-Römer in der antiken Welt genauso lustig wirken mochte wie auf uns heute.
Dios unterdrücktes Lachen in der Arena stellt drei auch für dieses Buch wichtige Fragen. Erstens: Was brachte die Römer zum Lachen? Oder realistischer: Was brachte die männliche römische Elite zum Lachen? Wir haben nämlich keine Kenntnisse über das Lachen der Armen, der Bauern oder der Frauen – abgesehen von dem, was uns männliche Gewährsleute aus der städtischen Oberschicht berichten.11 Dabei war auf andere Weise oder über unterschiedliche Dinge zu lachen in der antiken Welt wie heute Ausdruck eines sozialen Unterschiedes. Zweitens: Welche Rolle spielte Lachen in der Kultur der römischen Oberschicht? Welche politischen, intellektuellen oder ideologischen Funktionen erfüllte es? Wie wurde es kontrolliert und überwacht? Und was sagt uns das über die Mechanismen in der römischen Gesellschaft? Drittens: Wieweit können wir überhaupt die römische Kultur des Lachens verstehen und an ihr teilhaben? Gibt es Aspekte, bei denen die Römer wirklich „genau so waren wie wir“? Oder werden moderne Historiker, die sich mit Lachen in Rom beschäftigen, immer wie ängstliche Gäste bei einer Party in der Fremde sein, die eifrig mitlachen, wenn es höflicherweise angezeigt zu sein scheint, jedoch niemals sicher sind, den Witz wirklich verstanden zu haben?
Das sind große Fragen, und ich hoffe, sie werden neue Einblicke in das soziale und kulturelle Leben im alten Rom geben sowie zu einigen Einsichten in der kulturübergreifenden Geschichte des menschlichen Lachens führen – und ich meine hier zuallererst das Lachen, nicht Humor, Witz, Gefühle, Satire, Epigramm oder Komödie, auch wenn all diese verwandten Themen im Folgenden zur Sprache kommen werden. Ein genauerer Blick auf Dios Beschreibung der Kolosseum-Szene zeigt, wie komplex, faszinierend und – manchmal unerwartet – aufschlussreich diese Fragen sein können. So einfach diese Erzählung von Dios Lachen zunächst scheinen mag, es steckt mehr in ihr als nur der autobiografische Bericht eines erfindungsreichen römischen jungen Mannes auf dem Feld tödlicher Machtpolitik im zweiten Jahrhundert, |15|dem es gelang, sein Lachen zu unterdrücken und seine Haut zu retten, indem er Lorbeerblätter kaute. Zum Beispiel ist die Strategie in Dios Erzählung wirklich Kauen, nicht – wie wir vielleicht erwarten würden – Beißen. Natürlich ist es verführerisch, die Geschichte so wiederzugeben, als entspräche sie unserer modernen Vorstellung von jemandem, der auf irgendetwas herumbeißt.12 Aber Dio macht klar, dass er sich gar nicht am Lachen hinderte, sondern vielmehr die Kaubewegung seiner Kiefer als geschickte Verstellung, ja als Alibi für die Regungen nutzte, die sein Lachen verursachte.