Читать книгу Das Lachen im alten Rom - Mary Beard - Страница 18
Natur oder Kultur?
ОглавлениеInzwischen dürfte hoffentlich klar geworden sein, dass dieselben Faktoren Lachen seit 2000 Jahren einerseits zu einer faszinierenden und fesselnden Materie für die Forschung machen, andererseits zu einer kniffligen und manchmal unlösbaren Aufgabe. Eine der schwierigsten Fragen ist jene, ob Lachen überhaupt als einheitliches Phänomen zu betrachten ist. Sollten wir überhaupt nach einer Theorie Ausschau halten, welche die Urgründe für das Lachen liefert, sei es verursacht durch ein herzhaftes Kitzelns, einen guten Witz oder einen verrückten Kaiser samt Straußenkopf in der Arena – ganz zu schweigen von den feineren Nuancen, die häufig menschlicher Kommunikation zugrunde liegen, sie akzentuieren oder bereichern? Bei eingehenderer Betrachtung dürfte sich zeigen, dass dies sehr verschiedene Signale mit unterschiedlichen Gründen und Effekten sind. Und doch fühlt sich Lachen trotz all der unterschiedlichen Auslöser stets sehr ähnlich an, sowohl für den Lachenden als auch für das Publikum.71 Abgesehen davon ist es häufig schwierig, einzelne Lachtypen klar zu unterscheiden: Das Lachen aus Höflichkeit kann unmerklich in etwas viel Rebellischeres übergehen; die meisten von uns wären in Dios Position nicht so sicher gewesen, ob sie nun aus Nervosität oder wegen der lächerlichen Aufmachung des Kaisers lachten; und wenn jemand gekitzelt wird, lachen Zuschauer häufig mit, obwohl sie gar nicht gekitzelt werden.
Noch entscheidender ist jedoch die Frage, ob Lachen nun ein „natürliches“ oder ein „kulturelles“ Phänomen ist – oder inwiefern sich Lachen einem derart schlichten Dualismus entzieht. Mary Douglas bringt |63|es auf den Punkt: „Lachen ist ein einzigartiger körperlicher Ausbruch, der immer als Kommunikation verstanden wird.“ Ihm wird, anders als dem Niesen oder Furzen, immer eine Bedeutung unterstellt. Ein Unterschied, den Plinius bei seiner Beobachtung des Lachens übersah, als er Crassus, „der niemals lachte“, Pomponius zuordnete, „der niemals rülpste“. Tatsächlich lässt sich beides nicht einmal in seiner Umkehrung über einen Kamm scheren: So drückt sich noch im „Nichtlachen“ etwas aus, was beim „Nichtrülpsen“ nur selten der Fall ist.72
Diese Verortung des Lachens zwischen Natur und Kultur beeinflusst erheblich unsere Versuche, zu verstehen, wie Lachen generell in der menschlichen Gesellschaft funktioniert und inwieweit es bewusst und willentlich erfolgt. „Ich musste einfach lachen“, sagen wir oft. Stimmt das? Sicher, manches Gelächter scheint wirklich unkontrollierbar zu sein und fühlt sich auch so an – nicht nur das herausgekitzelte. Ob nun Cassius Dio in der Arena auf seinem Lorbeerblatt herumkaut oder eine BBC-Nachrichtensprecherin vor laufender Kamera losprustet, manchmal bricht Gelächter einfach aus, ob wir wollen oder nicht, gänzlich unabhängig von unserer bewussten Entscheidung oder Kontrolle. Solche Zwischenfälle sind wahrscheinlich im Sinne von Douglas die eindeutigsten Fälle von „körperlichem Ausbruch“, der zugleich als Kommunikation verstanden wird. Wie unwillentlich diese Ausbrüche auch geschehen, der Beobachter oder Zuhörer wird sich stets fragen, worüber der Betroffene gelacht hat und was seine Botschaft dabei war.
Die Vorstellung von der Unkontrollierbarkeit des Lachens ist gleichwohl viel komplizierter, als diese einfachen Geschichtchen vermuten lassen. Uns sind bereits einige römische Beispiele begegnet, bei denen Lachen weisungsgemäß zurückgehalten wurde oder erklang. Und wir haben schon die Grauzone zwischen spontanem und nicht spontanem Lachen bemerkt. Sogar Dios Bericht ist, wie wir gesehen haben, hintergründiger, als er zunächst scheint. Tatsächlich ist das meiste Lachen auf dieser Welt vom Lachenden recht leicht zu kontrollieren. Sogar die Wirkungen des Kitzelns hängen stärker von den sozialen Umständen ab, als wir glauben. So kann man sich nicht selbst zum |64|Lachen bringen, indem man sich kitzelt – versuchen Sie’s! –, und wenn Kitzeln eher in boshafter Absicht als spielerisch geschieht, verursacht es kein Lachen. Davon abgesehen sind auch die angeblich kitzeligsten Körperstellen zu unterschiedlichen Zeiten und in unterschiedlichen Kulturen unterschiedlich definiert. Die Achseln sind mehr oder weniger universell, doch während wir darüber hinaus die Fußsohlen angeben würden, hatte ein Mitglied aus Aristoteles’ Schule – der für ein ausführliches wissenschaftliches Kompendium mit dem Titel Problemata verantwortlich ist – ganz andere Vorstellungen: Wir seien, so behauptet er, am kitzeligsten an den Lippen, weil diese sich nämlich in der Nähe des „Sinnesorgans“ befinden.73 Kitzeln löst also nicht, wie gemeinhin angenommen, einfach nur einen gänzlich spontanen Reflex aus.74
Nichtsdestotrotz ist der Mythos von der Unkontrollierbarkeit wesentlich für unsere Sicht auf das Lachen und seine soziale Regulation. Denn die lange Tradition des Beherrschens und Kontrollierens von Lachen, die bis auf die Antike selbst zurückgeht, stützt sich stets auf das Bild eines wilden, unbezähmbaren, möglicherweise gefährlichen Naturausbruchs, um die sorgsamen Regeln und häufig wiederholten Vorschriften, die so oft vorgeschlagen wurden, zu rechtfertigen. Es ist ein hübsches Paradoxon, dass die strengsten Mechanismen kultureller Kontrolle von dem mächtigen Mythos gestützt werden, Lachen sei eine unkontrollierbare, sich Bahn brechende Kraft, die den zivilisierten Körper verrenke und den vernünftigen Geist unterwandere.
In der Praxis schaffen es die meisten Menschen, die meiste Zeit mit zwei unvereinbaren Ansichten über das Lachen zu hantieren: den Mythos von seiner Unkontrollierbarkeit auf der einen Seite und die alltägliche Erfahrung einer erlernten, kulturell bedingten Reaktion auf der anderen. Jeder, der kleine Kinder großgezogen hat, wird sich an den Aufwand und die Zeit erinnern, die nötig waren, um ihnen die Grundregeln des Lachens beizubringen, worüber sie also lachen dürfen und worüber nicht: über Clowns ja, über Behinderte nein, über die Simpsons ja, über die dicke Frau im Bus nein. Und einige der harten Strafen, die Kinder über Ihresgleichen verhängen, haben mit dem |65|richtigen oder falschen Gebrauch von Lachen zu tun.75 Das ist auch ein Thema in der Literatur: In seinem fantastischen Prosagedicht Les Chants de Maldoror führt uns der Comte de Lautréamont unangenehm deutlich die Regeln des Lachens vor Augen oder zeigt auf, was es hieße, diese nicht verstehen zu können. Im ersten canto bemerkt die Hauptfigur, der elende, selbst kaum menschliche Misanthrop Maldoror, dass Leute lachen, und möchte es ihnen gleichtun, ohne die Bedeutung dieser Handlung zu begreifen. Also nimmt er in seinem Unverständnis ein Taschenmesser und schneidet sich Winkel in seinen Mund, um ein „Lachen“ zu machen, nur um zu merken, dass er sich nicht zum Lachen gebracht, sondern grauenhaft zugerichtet hat. Dies ist eine kluge Reflexion über unsere Fähigkeit, das Lachen zu lernen, wie über die Vorstellung, Lachen sei eine spezifisch menschliche Eigenschaft. Und wie immer bei solchen Geschichten bleibt in uns der nagende Zweifel zurück, ob Maldorors erster Instinkt vielleicht eher richtig als falsch gewesen ist: Ist Lachen vielleicht nicht mehr als ein metaphorisches Messer an unseren Lippen?76