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Aristoteles und die „klassische Theorie des Lachens“
ОглавлениеAngesichts der außerordentlichen Vielfältigkeit dieser römischen Spekulationen über das Lachen und seine Ursachen ist es erstaunlich, dass so viele zeitgenössische Studien im Singular von „der klassischen Theorie des Lachens“ sprechen. Diese Theorie ist auf das Engste mit Aristoteles verbunden, der immer noch seinen Schlagschatten auf moderne Untersuchungen des Lachens wirft – der erste systematische Analytiker des gesamten Themas, wie es oft heißt, der zwar nicht als Erster,22 aber dafür nachhaltig zwei Hauptmerkmale beschrieb: Erstens, der Mensch lacht als einziges Lebewesen, das Lachen ist eine seiner spezifischen Eigenschaften, er kann also als das Tier bezeichnet werden, das lacht. Zweitens, das Lachen ist im Wesentlichen ein Verlachen beziehungsweise ein Ausdruck der Überlegenheit über oder der Verachtung für die Zielscheibe des Lachens. Wissenschaftler späterer Epochen folgten nur zu häufig der Annahme, das antike Denken über das Lachen sei nur einer einzigen Tradition verpflichtet gewesen, jener von Aristoteles und seinen Schülern. Zu diesen Zöglingen des sogenannten Peripatos, der von Aristoteles gegründeten Schule,23 gehörten auch die berühmten Kandidaten Theophrast und Demetrios von Phaleron.24
Beschränkt sich also die antike Analyse des Lachens auf eine Reihe von Anmerkungen zu Aristoteles?25 Bevor wir uns weiter mit römischen Schriftstellern und ihren Äußerungen zum Thema beschäftigen, sollten wir uns kritisch und etwas detaillierter Aristoteles’ Beitrag zu den Theorien vom und über das Lachen ansehen und hinterfragen, wie systematisch und klar diese eigentlich waren. Dabei werden auch einige der Behauptungen zur Sprache kommen, die sich um das vielleicht |45|berühmteste „verlorene Werk“ der Antike ranken: um das zweite Buch von Aristoteles’ Poetik, das einst auf seine Analyse der Tragödie mit ihren berühmten Elementen von Läuterung („katharsis“), Mitleid und Furcht gefolgt sei und in dem er sich, wie gemeinhin vermutet, der Komödie angenommen hat.
Ich behaupte nicht, dass Aristoteles’ Werk über das Lachen keinen Einfluss auf römische Denkansätze gehabt hätte. Römische Schriftsteller, die sich mit Wissenschaft, Rhetorik und Kultur beschäftigten, waren zweifelsohne ihren aristotelischen Vorgängern verpflichtet und bezogen sich auf sie. So zitiert Plinius, wie schon erwähnt, Theophrast als einen seiner Gewährsmänner für seine Naturalis Historia und scheint einige aristotelische Beobachtungen wiederzugeben, wenn er über die Rolle des Zwerchfells beim Lachen spricht. Aber die übliche Vorstellung, Aristoteles’ Werk – sofern wir es rekonstruieren können – habe eine systematische und theoretische Sicht geliefert, welche als „die klassische Theorie über das Lachen“ zu bezeichnen sei, ist, vorsichtig ausgedrückt, eine drastische Überzeichnung oder, offener gesagt, schlichtweg falsch. Die Wahrheit ist, dass viele „klassische“ Bemerkungen von Aristoteles, so fesselnd und klug sie im Einzelfall sein mögen, wenig mehr als Nebenbemerkungen und keineswegs Bestandteile einer entwickelten Theorie sind. Nicht einmal dem verlorenen zweiten Buch der Poetik – was auch immer es über die Natur, Gründe und Ethik des Lachens in der Komödie zu sagen hatte – ist daher selbst bei optimistischer Sichtweise eine solch zentrale Bedeutung zuzuschreiben.
Dieses Buch ist Gegenstand einiger größerer Auseinandersetzungen in den Altertumswissenschaften gewesen und stark mystifiziert worden. Einige Einzelgänger behaupteten, es habe nie existiert,26 weitaus mehr waren ganz aus dem Häuschen über den Verlust und debattierten darüber, wie sein Inhalt zu rekonstruieren wäre. Seine bekannteste Rolle spielte es in einem modernen Bestseller: Umberto Ecos schlaue Fantasie Der Namen der Rose setzte die Zerstörung dieses flüchtigen Textes noch einmal in Szene. Auf dem Höhepunkt der Kriminalgeschichte, die sich mit der „befreienden, antitotalitären“ Macht |46|des Lachens als Waffe gegen repressive Autoritäten befasst, wird das allerletzte Exemplar von Aristoteles’ wertvoller Abhandlung, das sich in einem von Morden heimgesuchten Kloster befindet, buchstäblich von einem lachfeindlichen Bibliothekar verschlungen – kurz bevor der ganze Laden in Flammen aufgeht.27
Ecos Roman verhandelt nicht nur die Gegnerschaft der kirchlichen Autoritäten im Mittelalter gegen das Lachen, sondern auch die von vielen Kulturhistorikern in Antike und Mittelalter genährte Überzeugung, das zweite Buch der Poetik wäre das Bindeglied zur „klassischen Sicht über das Lachen“ gewesen. So hat etwa Quentin Skinner, bei dem Versuch zu erklären, weshalb antike griechische Statuen so selten lächeln, einst angemerkt: „Es ist merkwürdig, dass antiken Griechen das Phänomen, das wir gutmütiges Lachen nennen würden, offenbar völlig fremd war. Es ist furchtbar, dass Aristoteles’ Abhandlung über die Komödie verloren ist, denn er hätte das sicherlich erklärt.“28
Andere haben zu belegen versucht, dass der Verlust nicht ganz so vollständig sei wie gemeinhin angenommen. Hinweise darauf, was die Schrift enthalten habe, ließen sich aus anderen Werken des Aristoteles entnehmen. In den 1980er Jahren unternahm Richard Janko den noch radikaleren und gewagten Versuch, eine ältere Idee wiederzubeleben, dass nämlich eine kurze Schrift, die als Tractatus Coislinianus bekannt und in einer Handschrift aus dem zehnten Jahrhundert in Paris erhalten ist, nichts anderes als eine grobe Zusammenfassung des zweiten Buchs der Poetik darstellt. Wenn dem so wäre, hätte die Poetik tatsächlich sowohl eine literarische Analyse der Komödie als auch eine Diskussion über die Ursachen des (komischen) Lachens dargestellt, wobei diese Ursachen von Worten bis zu Handlungen reichten – wie plumpe Tanzeinlagen oder, „wenn jemand die Macht zu wählen hat, sich das Wichtigste aber aus den Händen gleiten lässt und das Wertloseste ergreift.“29
Diese Idee hat nie viele Anhänger gefunden. Die meisten halten den Tractatus für ein zusammengemixtes, mittelmäßiges Machwerk von vielleicht byzantinischem Ursprung, das bestenfalls einige Spuren von aristotelischem Gedankengut aus dritter Hand enthält.30 Doch bleibt |47|die grundlegende Frage, ob das verlorene Buch wirklich den Schlüssel zur antiken Analyse der Komödie beinhaltete und ob, wie Skinner schreibt, es wirklich erklärt hätte, was wir über griechisches Lachen und seine Theorien wissen wollen. Es gibt keinen einzigen eindeutigen Hinweis darauf, doch einiges, was dagegen spricht. Michael Silk, der mehr als die meisten unternommen hat, um sich der aristotelischen Deutungshoheit über das antike Lachen zu widersetzen, brachte es auf den Punkt, als er fragte: Warum sind „diese aristotelischen Perlen der Weisheit über die Komödie“ überhaupt verloren gegangen und „von der gesamten späteren Antike ignoriert“ worden? So verwirrend das sein mag, Silks ist folgender Überzeugung: „… alles oder fast alles, was Aristoteles tatsächlich zu diesem Thema gesagt hat, war oberflächlich – der Tractatus Coislinianus mag dies widerspiegeln –, und solche Perlen, die ignoriert hätten werden können, gab es überhaupt nicht.“31
Wer kann das mit Sicherheit wissen? Aristoteles so summarisch abzutun, mag ungerecht sein. Aber es ist schwer, der Annahme zu widerstehen, dass gerade der Verlust des zweiten Buchs der Poetik, wenn es denn überhaupt existiert hat, zu seinem Ruhm in der Moderne beigetragen hat und seine Bedeutung für die Antike stark überbewertet wurde. Wir haben es hier mit einer mächtigen Kombination von unserem eigenen emotionalen Verhältnis zu solch faszinierenden, uns entschlüpften Büchern und der Annehmlichkeit zu tun, in Abwesenheit gesicherter Quellen die aristotelische Sicht der Dinge nach eigenem Belieben rekonstruieren zu können. Es mag tatsächlich sein, wie Silk wiederum mutmaßt, dass die „Theorie der Komödie“ dem Erfindungseifer moderner Aristoteliker mehr als dem Sammelsurium aus Beobachtungen und Aperçus, die Aristoteles selbst lieferte, verdankt. Die einzig gesicherte Wahrheit bleibt jedoch, dass sie verloren sind.32
Konzentrieren wir uns auf überlieferte Bemerkungen von Aristoteles zum Lachen, erhalten wir tatsächlich, abweichend von gängigen Annahmen, eher ein Sammelsurium. Denn sie beinhalten zahlreiche Vorstellungen über das Lachen, aber nichts, was im Entferntesten an |48|eine Theorie des Lachens erinnert – im Sinne eines kohärenten Erklärungsmodels, einer bestimmten Methodologie oder eines Werkzeugkastens zur Untersuchung des betreffenden Themas. Aristoteles hat gewiss machtvolle und systematische Theorien zu anderen Themen entwickelt, aber im Falle des Lachens gibt es dafür kein Anzeichen.33 Seine ausführlichste Besprechung des Themas füllt einige moderne Druckseiten in der Nikomachischen Ethik, wo er wie so häufig den goldenen Mittelweg zwischen zwei Extremen vorschlägt. So sei gewandt oder witzig zu sein („eutrapelos“) zwar eine erstrebenswerte Charaktereigenschaft für einen freien Mann („eleutheros“ – für Aristoteles jemand, der frei geboren und vermögend ist), zu viel Gewitzel zeichne aber einen Narren aus („bōmolochos“ – eigentlich jemand, der an den Altären lauert und sich durch Witzereißen eine Mahlzeit zu erschmeicheln versucht, wie wir es bei Gnatho schon kennengelernt haben), zu wenig Witz dagegen den Bauerntölpel („agroikos“).34 Die beiden Hauptbestandteile dessen, was als „klassische Theorie des Lachens“ bekannt geworden ist, finden sich jedoch nicht auf diesen Seiten.
Die Behauptung, der Mensch sei das einzige Tier, das lacht, entstammt einer Nebenbemerkung in Aristoteles’ Besprechung des menschlichen Körpers, genauer des Zwerchfells. In einer Art Zirkelschluss erläutert er: „… dass Menschen die einzigen sind, die für Kitzeln empfänglich sind, ist ihrer feinen Haut geschuldet und dem Umstand, dass sie die einzigen Lebewesen sind, die lachen.“ Darin ist kein Hinweis darauf enthalten, dass Lachen eine distinktive Eigenschaft des Menschen sei. Trotz der weitverbreiteten Annahme über diesen Bestandteil seiner „Theorie“ lautet seine Definition des Menschen nicht, er sei „das Tier, das lacht“.35
Die andere Behauptung, dass nämlich Lachen eine Form des Verlachens und eine Zurschaustellung von Überlegenheit sei, wirft kompliziertere Fragen auf. Sie gründet zum Teil auf einer Diskussion in der Nikomachischen Ethik, wo Aristoteles einige Formen des Witzereißens („skōmma“) als eine Art Schmähung oder Lästerung („loidorēma ti“) bezeichnet.36 Aber in ihrer bekannteren Form bezieht sich die |49|fragliche Ansicht auf zwei Stellen in unterschiedlichen Abhandlungen. So spricht Aristoteles im ersten, erhaltenen Buch der Poetik kurz und nebenbei von der Komödie: „Die Komödie aber ist, wie wir gesagt haben, die nachahmende Darstellung von schlechteren Menschen, als wir es sind, nicht jedoch über die Schlechtigkeit insgesamt geht es beim Lächerlichen, vielmehr ist dieses ein Teil des Hässlichen (‚tou aischrou‘). Das Lächerliche ist nämlich eine Art Fehler und eine Schändlichkeit (‚aischos‘), indes ohne Schmerz und nicht schädlich, wie die komische Maske (wörtl.: das lächerliche Gesicht, ‚geloion prosōpon‘) hässlich (‚aischron‘) und verzerrt ist, aber ohne Schmerz.“37 Dies wird oft zusammen mit einer anderen Stelle betrachtet, die aus Aristoteles’ Rhetorik stammt und wo er sich mit den verschiedenen möglichen Zuhörerschaften eines Redners deshalb auseinandersetzt, weil ein Redner, ohne seine Zuhörer zu kennen, diese niemals überzeugen wird. Die Jugend, erklärt Aristoteles, ist nervös, streitlustig und hochgradig prinzipientreu, auch „liebt sie das Lachen und deswegen auch die Gewandtheit (‚phileutrapeloi‘), denn Gewandtheit ist gebildete Überheblichkeit (‚pepaideumenē hybris‘).“38
Die exakte Übersetzung dieser Stellen ist nicht einfach, ebenso wenig wie zu verstehen, worum es Aristoteles an diesem Punkt genau ging. Was für eine Art von „Fehler“ („hamartēma“) soll das Lächerliche sein – moralisch oder physisch (Schande oder Hässlichkeit)? Von wessen Schmerz – beziehungsweise fehlendem Schmerz – spricht er? Welche Implikationen hat diese Besprechung des komischen Dramas für das Lachen jenseits der Bühne?39 Die andere Stelle aus der Rhetorik ist noch verwirrender, vor allem weil sie ein merkwürdiges Oxymoron, wahrscheinlich sogar einen Witz, bei dem Ausdruck „gebildete Überheblichkeit“ („pepaideumenē hybris“) beinhaltet. Wie oft betont wurde, kann „hybris“ (was „Exzess“, „Überheblichkeit“, „Verblendung“ bis hin zu „Gewalt“ und „Vergewaltigung“ bedeutet) eigentlich nicht „gebildet“ sein, aber schon allein das Wort „pepaideumenē“ ist vieldeutig, denn es steckt die Wurzel „paid-“ („pais“ – der Knabe, das Kind) darin, was den Ausdruck mit „Erziehung“, aber |50|auch „kindisch sein“ und „spielen“ verbindet.40 Was versucht Aristoteles über den Witz zu sagen, abgesehen davon, dass er hier selbst witzig ist?
Was er alles nicht sagt, ist leichter festzumachen. Erstens ist an den genannten Stellen weniger von Verlachen die Rede als gemeinhin angenommen. Natürlich kann eine kreative Übersetzung aus seiner Definition von Witz eine „gebildete Schmähung“ machen, aber die berühmten Zeilen aus der Poetik – auch wenn sie das Lächerliche als eine Art Fehler bezeichnen und so an Verlachen denken lassen – schließen explizit den Schmerz als Bestandteil aus. Es geht also nicht um Spott.41
Zweitens: Auch wenn einige Ausdrücke an diesen Stellen auf das Lachen über etwas Lächerliches oder auf Kosten von jemandem hinweisen, so deutet Aristoteles gewiss nicht an, dies seien die einzigen Gründe für Lachen beziehungsweise seine einzige Funktion oder Tonart. Hätte er das behaupten wollen, wäre er ein schlechter Kenner griechischer Literatur und Kultur gewesen, wo sehr viel „gutmütiges Gelächter“ vorkommt, ganz im Gegensatz zu Skinners Behauptung, dieses sei den Griechen fremd gewesen.42 Und tatsächlich ordnet Aristoteles an einer anderen Stelle in der Rhetorik das Lachen und das Lächerliche in die Gruppe der „angenehmen Dinge“ ein. Was immer er damit genau gemeint hat, es lief für viele dem Konzept des Verlachens derart zuwider, dass etliche Herausgeber diese Stelle kurzerhand als spätere Ergänzung aus fremder Feder abgetan haben.43
Tatsächlich waren Aristoteles’ Vorstellungen über das Lachen aber nicht nur zahlreich, sondern zum Teil auch widersprüchlich. Ein Kommentar zu einem philosophischen Lesebuch aus dem sechsten Jahrhundert n. Chr. von Porphyrios (die Eisagoge) stellt sogar fest, Aristoteles habe in der Historia Animalium behauptet, der Mensch sei eben nicht das einzige Lebewesen, das lache, der Reiher lache auch. Egal wie es sich damit verhält – das Lachen des Reihers taucht in keinem seiner erhaltenen Texte auf –, Aristoteles nähert sich dem Thema von verschiedenen Blickwinkeln, und seine Ansichten können deswegen nicht auf eine einzige systematische „klassische Theorie vom Lachen“ reduziert oder zu einer solchen erhoben werden.44
|51|Auch ist unbedingt hervorzuheben, dass die Verbindung zwischen den verschiedenen aristotelischen und den späteren römischen Beiträgen über das Lachen weit weniger eng war als häufig angenommen. Römische Theoretiker bezogen sich nicht ausschließlich auf Aristoteles und seine unmittelbaren Schüler. Damit begegnen wir dem Problem verlorener Schriften in einer ganz anderen Dimension als im Falle des zweiten Teils der Poetik. Nahezu nichts ist von den Hauptwerken der Peripatetiker zwischen dem vierten und zweiten Jahrhundert v. Chr. erhalten, abgesehen von wenigen Sätzen und einigen umstrittenen Werktiteln. Deswegen ist es unmöglich festzustellen, ob aus diesen Werken nicht auch einzelne Behauptungen stammen, die wir in römischen Diskussionen finden. Aber die Anzeichen deuten doch darauf hin – beim Lachen wie bei vielen anderen Themen –, dass der römische Einfluss auf die Rezeption von früherem griechischen Denken erheblich war. Sogar der Hinweis, dass Lachen eine Eigentümlichkeit des Menschen sei, mag eine Erfindung römischer Autoren gewesen sein, die Aristoteles’ gelegentliche Beobachtung vom Menschen als dem einzigen Tier, das lache, weiterentwickelten, ohne allerdings dabei den Reiher zu beachten. Zumindest finden wir den Hinweis auf das Lachen als menschliche Eigentümlichkeit regelmäßig bei römischen Schriftstellern, aber niemals in der früheren erhaltenen Literatur.
Bei Porphyrius, der sein Werk im dritten Jahrhundert n. Chr. auf Griechisch verfasste, heißt es zum Beispiel: „Denn auch wenn der Mensch nicht immer lacht, wird er dennoch als lachendes Wesen bezeichnet, nicht weil er ständig lachte, sondern weil es seine Natur ist zu lachen. Dieses aber eignet ihm stets wie dem Pferd das Wiehern. Von diesen Eigenschaften sagt man, dass sie Haupteigenschaften seien, weil sie sich umkehren lassen: Denn wenn Pferd, dann Wiehern, und wenn Wiehern, dann Pferd.“ Oder, wie Porphyrius impliziert, wenn Mensch, dann Lachen, und wenn Lachen, dann Mensch.45 Aus offensichtlichen Gründen entstand aus diesem Gedankengang eine Kontroverse in der Theologie der frühen Christen: Denn wenn von Jesus bekannt wäre, dass er gelacht hat, was würde das für die entscheidende |52|Frage bezüglich seines Status – göttlich oder menschlich – bedeuten? An dieser Frage scheiden sich auch die fiktiven Mönche in Ecos Der Name der Rose: Hat Jesus gelacht oder nicht?46
Römische Überlegungen über das Lachen passen nur selten genau zu den aristotelischen, wie sie im Werk des Meisters überliefert sind. Zum Beispiel ist klar, dass Plinius’ Ansichten über das Kitzeln im weiteren Sinne aristotelisch sind, weil sie sich auf die Rolle des Zwerchfells beim Entstehen von Lachen konzentrieren. Aber genauso klar unterscheidet sich Plinius’ Darstellung von der Version über das Kitzeln im De partibus animalium. Plinius vermutet, eine direkte Stimulierung des Zwerchfells rufe das Lachen hervor, Aristoteles dagegen war der Meinung, es sei die beim Stimulieren entstehende Hitze, die das Lachen zur Folge habe. Plinius geht auch bei der Frage, wann Babys das erste Mal lachen, über Aristoteles hinaus: Plinius’ Babys lachen erst ab dem 40sten Tag, während es bei Aristoteles heißt, Babys lachten und weinten im Schlaf. Auch die Geschichte von Zoroaster, die unter anderem in iranischen Quellen zu finden ist, fand Plinius sicher andernorts. Zu behaupten, seine Variante käme direkt von einem verlorenen Peripatetiker und Schüler des Aristoteles, wäre ein reiner Glaubensakt.47
Vieles des bisher Gesagten gilt auch für Ciceros Überlegungen zum Lachen in De Oratore, die mit Sicherheit einiges Material aus aristotelischer Überlieferung enthalten. So hatte zum Beispiel schon Aristoteles die „Inkongruenz“ als Ursache des Lachens hervorgehoben.48 Aber die neuere Forschung zu diesem Werk hat weit weniger Spuren von Demetrios von Phaleron und seiner möglicherweise nie verfassten Abhandlung Über das Lächerliche gefunden, dafür weitaus mehr römische Elemente, Motive und Theorien als früher angenommen. Tatsächlich hat eine der Hauptunterscheidungen bei Cicero, die zwischen „cavillatio“ (Neckerei) und „dicacitas“ (beißender Witz, Stichelei), wenig mit dem zu tun, was wir in früheren griechischen Werken finden oder von ihnen rekonstruieren können. Nach Elaine Fantham sind dies „althergebrachte römische Begriffe“, und sie stellen eine „typisch römische Unterscheidung“ dar.49
|53|Vorerst gilt es festzuhalten: Es gibt keine „aristotelische Theorie des Lachens“, jedenfalls nicht im eigentlichen Sinne. Aristoteles hat alle möglichen Ideen über das Lachen hervorgebracht, sowie eine große Zahl von Spekulationen und Aperçus über unterschiedlichste Aspekte des Themas, vom Kitzeln über die Funktionsweise von Witzen, die Komödie, das Verlachen bis hin zur sozialen Rolle des Lachens und der Wichtigkeit des Spiels. Aber es gibt keinen Grund anzunehmen, dass Aristoteles eine systematische Theorie des Lachens entwickelt oder im Lachen auch nur ein einheitliches Phänomen und mögliches Forschungsfeld erkannt habe.
Zweitens: Wie einflussreich Aristoteles’ Ansichten auch immer waren – und sie waren einflussreich –, sie sind weder der Höhepunkt noch die Summe „aller klassischen Theorie über das Lachen“. In Griechenland wie in Rom sind verschiedene Ansichten über das Lachen entstanden, die mehr oder weniger stark fortgewirkt haben, und zwar in ganz unterschiedlichen Zusammenhängen, von den Philosophenschulen, wobei nicht nur die Peripatetiker etwas zum Lachen zu sagen hatten,50 bis zum kaiserlichen Speisesaal, von der Rhetorikklasse bis zur Kneipe oder zum Bordell. Um es kurz zu machen, vom Lachen war in der Antike viel und sehr unterschiedlich die Rede.
So ist es auch in unserer heutigen Welt. Und dorthin kehren wir nun zurück, um uns einem anderen Schatten zuzuwenden, der über neueren Lach-Studien hängt: den sogenannten drei Theorien über das Lachen. In gewisser Weise handelt es sich dabei um Geschwister „der einen klassischen Theorie“, und auch sie gilt es sanft zu entmachten, bevor wir fortfahren können.