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Saturnalischer Spaß

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Zwei weitere Aspekte von Bachtins Ansatz sind für meine Untersuchung besonders relevant. Beim Ersten handelt es sich um seine Rekonstruktion des römischen Festes der Saturnalia als antiken Vorgänger des Karnevals und somit als wesentlich für das „Lachtum“ des antiken Rom. Diese eher fadenscheinige Behauptung ist eine seiner irreführendsten und verdient mehr Widerspruch, als bisher geäußert wurde.

Die Saturnalia waren ein religiöses Fest in Rom, das den Gott Saturn feierte und während einiger Tage im Dezember stattfand.44 Es umfasste öffentliche und häusliche Feierlichkeiten und ist eines der am wenigsten verstandenen, jedoch mit größter Selbstverständlichkeit verhandelten römischen Rituale – was zum Teil an der Annahme liegt, dass es dabei irgendwie um den römischen Ursprung unseres Weihnachten ginge – mit Feierlichkeiten und Geschenken um Mittwinter – und zum Teil, weil die Saturnalia als volkstümliches Rollentauschritual verstanden wurden, das die gesamte westliche Karnevalstradition begründe, mit einer zeitweise kopfstehenden Welt, voller volkstümlichem Lachen und Derbheiten unter der Gürtellinie. Diese Sichtweise auf das römische Fest geht nicht allein auf Bachtin zurück. So lassen sich annähernd ähnliche Ansätze in James Frazers The Golden Bough (Der Goldene Zweig) oder bei Nietzsche finden,45 und vermutlich haben viele moderne Spezialisten für antike Rituale Rabelais und |92|seine Welt niemals gelesen. Dennoch sickerte genug durch, dass Bachtins Ansatz direkten oder indirekten, in jedem Fall aber starken Einfluss ausübte. „Idee und Wesen des Karnevals waren für alle Beteiligten unmittelbar spürbar. Deutlicher und bewusster als irgendwo sonst offenbarten sie sich in den römischen Saturnalien …“, schrieb Bachtin, weiter sprach er vom Rollentausch, der „Krönung und Absetzung eines Narren“, und erwähnte die „römischen Traditionen der Lachfreiheit“ während des Festes, wovon er noch „ferne Anklänge“ bei späteren Karnevalszeremonien zu entdecken glaubte.46

Und häufig beschreiben Altertumswissenschaftler das Fest mit noch stärkeren karnevalesken Begriffen, indem sie „Saturnalische Literatur“ heranziehen. So wird gemeinhin behauptet, eine ganze Reihe von Verkehrungen sozialer Rollen habe die Saturnalia begleitet: Dass Sklaven von ihren Herren beim Abendessen bedient worden seien, dass jeder, vom Sklaven bis zum Clown, durch das Los zum Zeremonienmeister oder „König“ des Festes bestimmt werden konnte, dass die freie Bevölkerung den „pilleus“ getragen habe, die Kopfbedeckung ehemaliger Sklaven, und dass Sklaven während des Festes sogar die Führung des Haushaltes übernommen hätten. Mehr noch, die Saturnalia seien Anlass zu der Art von „ausufernden Fressorgien und noch exzessiveren Saufgelagen“ gewesen, die wir mit Karneval verbinden, und ein Freibrief zum kontrollierten Glücksspiel, zum Feiern, zur allgemeinen freien Meinungsäußerung und eben zum Lachen.47 Vor diesem Hintergrund wurden alle wohlbekannten literarischen Beschreibungen des anarchischen saturnalischen Treibens gesehen: etwa Senecas freimütige und satirische Parodie auf die Vergötterung des Kaisers Claudius, die Apocolocyntosis, von der es häufig heißt, sie sei für die Saturnalia 54 n. Chr. geschrieben worden,48 oder die schlaue Charakterstudie über Horaz, die sein Sklave Davus entwarf, als er anlässlich der Saturnalia die Gelegenheit bekam, die Unarten seines Herrn in einem Gedicht herauszustellen und vorzutragen,49 bis hin zum Kosmos der römischen Komödie, in der – vorübergehende – Siege schlauer Sklaven über ihre dümmlichen Herren Lachen hervorrufen |93|und wie Reminiszenzen an die – vorübergehend – verkehrte Welt des saturnalischen Karnevals erscheinen.50

Leider gibt es für diesen Protokarneval viel weniger antike Beweise als gemeinhin angenommen. Es ist wahr, dass die Römer die Saturnalia als verspielt beschrieben: So besitzen wir zweifelsfrei Belege für den spielerischen Charakter der Saturnalia, das Zurschaustellung von Freiheit und die Aufhebung der üblichen sozialen Regeln, im Sinne von – Togen runter, Spieltische raus.51 Aber einige der wichtigsten Aspekte des Bachtin’schen Karnevals – das übertriebene Essen und Trinken, die Betonung des Rollentausches, die derben Unflätigkeiten und sogar das Lachen – sind viel schwerer nachzuweisen. Die Quellen römischer Autoren, die wir bezüglich gesteigerter Rationen von Wein und von besonderen Speisen heranziehen können, beschränken sich nicht ausdrücklich auf die Saturnalia, und Essen und Trinken wird von den römischen Autoren auch nicht als exzessiv dargestellt.52 Und abgesehen vom alten Kaiser Claudius, der sich in der Apocolocyntosis selbst einscheißt53 – mag das nun ein Werk für die Saturnalia gewesen sein oder nicht –, gibt es wenig Hinweise auf karnevaleske Skatologie. Die meisten saturnalischen Witze kommen eher raffiniert, zumindest aber verbal daher, und sogar die Rolle des Lachens ist ziemlich untergeordnet. Tatsächlich dürfte die elitäre literarische Wortspielerei, die wir in Macrobius’ spätantiken Saturnalia finden, weder so untypisch noch so „spät“ sein wie häufig angenommen.54

Auch der angeblich so typisch karnevalistische Rollentausch bei den Saturnalia ist ein weitaus wackeligeres Gedankengebäude als gemeinhin behauptet. Tatsächlich gibt es eine Reihe von späten Belegen in der antiken Literatur über Sklaven, die von ihren Herren beim saturnalischen Abendessen bedient wurden.55 Doch auch hier verflüchtigt sich einiges bei genauerem Hinsehen: Die Ansicht zum Beispiel, Sklaven hätten während der Saturnalia den Haushalt geführt, resultiert aus einer recht eigenwilligen Interpretation eines einzigen Satzes von Seneca, und auch andere Stellen wurden mit viel Fantasie umgedeutet.56 Und – ob nun das Los gezinkt war oder nicht – der berühmteste |94|„Saturnalienkönig“, von dem wir sicher wissen, genau genommen sogar der einzige, dessen Namen wir kennen, ist kein anderer als Kaiser Nero.57

In Wahrheit liegt die Betonung bei den meisten antiken Textstellen nicht auf einem Vertauschen von Rollen, sondern auf der sozialen Gleichheit, die während des Festes geherrscht haben soll. Wie Bachtin selbst einräumte, betonen antike Berichte von den Saturnalia weniger die Umkehr sozialer Unterschiede, sondern sie heben die Rückkehr zu einer primitiven Welt hervor, in der solche Unterschiede überhaupt noch nicht existierten. Dazu passt der wiederholte Fingerzeig darauf, dass Herren und Sklaven sich gemeinsam zu Tisch legten und dass jedem erlaubt war, frei zu jedem anderen zu sprechen, über alle sozialen Grenzen hinweg. Es ist auch bezeichnend, dass die freien Römer mit den „pillei“ nicht die Kopfbedeckung von Sklaven, sondern von Freigelassenen trugen – einer Zwischenkategorie also, die soziale Unterschiede eher aufhob als umkehrte.58

Natürlich liefen die Saturnalia in Wirklichkeit ganz verschieden ab, und die Ansichten der Sklaven und der Armen, die wir nicht kennen, dürften wahrscheinlich von den uns überlieferten Ansichten der Reichen abgewichen sein. Doch die Schlussfolgerung lässt sich nur schwer von der Hand weisen, dass die Darstellung der Saturnalia als Karneval, wie Bachtin und andere sie lieferten, falsch oder sehr tendenziös war und dass es sich größtenteils doch eher um eine nüchterne oder zumindest paternalistische59 Angelegenheit gehandelt hat als um ein raues Fest mit herzhaftem Lachen und vielen Unflätigkeiten. Daher gebe ich diesem Fest nicht noch mehr Raum, auch wenn Lachen ein Element guter Saturnalia gewesen sein mag.

Das Lachen im alten Rom

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