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Die römischen Fragen – und die unseren

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Plinius war neugierig auf das Lachen – wie auf beinahe alles um ihn herum. Letztendlich sollte ihn seine wissenschaftliche Neugier sogar das Leben kosten, als er den Dämpfen des Vesuvs bei seinem Ausbruch im Jahre 79 n. Chr. zu nahe kam. In den 37 Büchern seiner Naturalis Historia mit ihren, wie er sie anpries, „zwanzigtausend wissenswerten Dingen“ kommt er immer wieder auf unser Thema zu sprechen. In welchem Alter beginnen Kinder zu lachen?, fragt er sich. Wo im Körper entsteht das Lachen? Warum lachen Leute, wenn man sie unter den Armen kitzelt?3

Das sind nur allzu vertraute Fragen, und sie beschäftigen Lachforscher noch heute. Weniger vertraut klingen einige von Plinius’ Antworten. Kinder lachen erst, wenn sie 40 Tage alt sind, versichert er seinen Lesern, außer Zoroaster, der altiranische Prophet, der schon am Tag seiner Geburt lachte – ein Zeichen seiner übermenschlichen Fähigkeiten.4 Plinius nennt auch verschiedene menschliche Organe, die für das Lachen verantwortlich seien. Eines sei das Zwerchfell, der „Hauptsitz der Heiterkeit“ („praecipua hilaritatis sedes“), wie er es nennt. Dessen wichtige Rolle bei der Entstehung von Lachen sei dadurch bewiesen, dass Menschen unter den Achseln kitzlig seien. Denn in Plinius’ Vorstellung der menschlichen Anatomie erstreckte sich das Zwerchfell bis in die Arme hinein, weshalb ein Kratzen der Achseln, „wo die Haut dünner ist als irgendwo sonst im menschlichen Körper“, direkt das Zwerchfell stimuliere und Lachen verursache.5 Aber auch die Milz sei daran beteiligt. Zumindest gäbe es Leute, „die glauben, dass ein Mensch mit der Milz auch die Fähigkeit zu lachen verliert und dass übermäßiges Gelächter von einer großen Milz herrührt.“6

Und noch an anderen Stellen bei Plinius finden wir die unglaublichsten Geschichten über das Lachen – vollkommen ernst gemeint, |39|wie schräg sie in unseren Augen auch sein mögen. Da wäre zum Beispiel der merkwürdige Fall des Crassus,7 der angeblich in seinem ganzen Leben nicht einmal gelacht haben soll. Seine Geschichte ist die erste einer ganzen Reihe über Leute mit seltsamen körperlichen Eigenarten: von Sokrates etwa, dem offenbar nur ein einziger Gesichtsausdruck zur Verfügung stand, weshalb er niemals glücklich oder traurig ausgesehen habe, bis zu Antonia, der Tochter von Mark Anton, die niemals gespuckt habe, und einem gewissen Pomponius, „einem Dichter und Mann von konsularischem Rang“, der niemals gerülpst habe.8

Pflanzen und eine Reihe anderer natürlicher Faktoren spielen ebenfalls eine Rolle in seinen Überlegungen. Plinius berichtet von dem fantastischen „gelotophyllis“ (Lachblättern), das in Baktrien wüchse, in einer Gegend auf dem Gebiet des heutigen Afghanistans und Usbekistans, sowie an den Flussufern des Borysthenes (des heutigen Dnjeper). Wenn sie mit Wein und Myrrhe vermischt getrunken würden, würden sie Halluzinationen und Gelächter hervorrufen, welche nur durch ein Gegenmittel „aus Pinienkernen mit Pfeffer und Honig in Palmwein“ in den Griff zu bekommen seien. War das Cannabis, wie einige moderne Plinius-Leser gehofft haben? Oder war es eher, wie ein Wörterbuch ausweist, „wahrscheinlich eine Art Hahnenfuß“?9

In gleicher Manier weist Plinius auf zwei außerordentliche Wasserquellen im Osten des Römischen Reiches hin: Die beiden Quellen wurden, so erklärt er uns, mit den griechischen Begriffen „Klaion“ (die Weinende) und „Gelon“ (die Lachende) nach ihrer jeweiligen Wirkung benannt. Wasserquellen wurden in der Antike seit jeher mit Lachen in Verbindung gebracht. Pomponius Mela etwa, ein römischer Geograf und Zeitgenosse des Plinius, berichtet von einem anderen Quellen-Paar auf den „Inseln der Seligen“, wahrscheinlich den Kanaren. Das Wasser der einen bewirke einen tödlichen Lachanfall; der anderen entspringe glücklicherweise das wirksame Gegengift. Plinius’ Geschichte von den Quellen Klaion und Gelon beeindruckte zumindest Sir William Ramsay, einen furchtlosen Schotten aus Aberdeen, |40|der im 19. Jahrhundert Kleinasien erforschte und die Sache so ernst nahm, dass er nach den Quellen im ländlichen Phrygien, der heutigen Zentraltürkei, suchte. Nachdem er sich 1891, wie er schreibt, dazu entschlossen hatte, „jede Quelle in Apameia“ zu kosten, fand er tatsächlich zwei, die der Beschreibung nahekamen – wobei er dies allerdings an ihrem Plätschern festmachte: „Wir konnten das fröhliche, klare, frohlockende Geräusch des ‚Lachenden Wassers‘ hören … Niemand, der diese beiden Quellen aufsucht und lauscht, wird den leisesten Zweifel daran hegen, dass es sich um ‚die Lachende‘ und ‚die Weinende‘ handelt.“ Plinius hatte jedoch nicht den Klang, sondern die Wirkkraft des Wassers gemeint: Die eine brachte zum Lachen, die andere zum Weinen.10

Woher Plinius seine Informationen bezog, ist nicht immer klar. Gelegentlich, vielleicht häufiger als moderne Kritiker für gewöhnlich zugeben, rührten sie von persönlichen Beobachtungen und Befragungen her. Das gilt nahezu sicher für einen Teil seiner Ausführungen zum Zwerchfell und dessen Rolle beim Entstehen von Lachen, die mit einer noch ausgefalleneren Erklärung für die Kitzligkeit der Achselhöhlen enden: Es sei sowohl auf dem Schlachtfeld als auch bei Gladiatorenkämpfen zu beobachten, behauptet er, dass die Folge eines nicht bloß leicht gekratzten, sondern eines durchstoßenen Zwerchfells der Tod sei – ein Tod unter Gelächter. Die Vorstellung, Verletzungen des Zwerchfells könnten Gelächter hervorrufen, etwa bei tödlich getroffenen Soldaten, hatte schon damals eine lange Tradition in der griechischen wissenschaftlichen Literatur, die mindestens bis in das vierte vorchristliche Jahrhundert zurückreicht. Plinius mag selbst aufgrund seiner Erfahrung als Zuschauer in der römischen Arena eine Verbindung zwischen dem Lachen und dem Sterben von Gladiatoren hergestellt haben.11 Im Allgemeinen jedoch war er stolz darauf, seine Informationen bei früheren Schriftstellern gesammelt zu haben – so stolz, dass er am Anfang seiner Naturalis Historia betont, wie er aus über 2000 Werken von mehr als 100 Autoren seine 20.000 Fakten zusammengestellt habe, und er listet systematisch auf, welche Schriftsteller er |41|für jedes einzelne Buch verwendete.12 Bei einigen wenigen Einträgen ist genau auszumachen, woher sein Material über das Lachen stammt. Die Geschichte von den zwei Quellen Klaion und Gelon stammt mit großer Wahrscheinlichkeit von Theophrast, einem Naturwissenschaftler des vierten Jahrhunderts v. Chr. und Schüler des Aristoteles, denn sie folgt direkt einer Geschichte über eine andere außerordentliche Quelle in derselben Gegend – „diese schleuderte Massen von Steinen in die Luft“ –, mit der sich Plinius explizit auf Theophrast bezieht.13 Für den größten Teil bleibt es jedoch Mutmaßung, aus welcher der genannten Schriften oder aus welchen der zahlreichen griechischen und römischen Werke mit Spekulationen über das Lachen Plinius nun genau welche Information gesammelt hat. Es lassen sich lediglich Ähnlichkeiten feststellen und Verbindungen vermuten. In Anbetracht etwa der Parallelen zu Aristoteles’ Werk Über die Teile der Tiere (De partibus animalium) gehen wahrscheinlich viele Bemerkungen bei Plinius, die mit der Wichtigkeit des Zwerchfells bei der Entstehung von Lachen zu tun haben, von der Sache mit den Gladiatoren mal abgesehen, auf Aristoteles oder auf einen seiner Schüler zurück.14

Abwechslungsreich und vielfältig waren die überlieferten Spekulationen über das Lachen gewiss, besonders in Rom, denn römische Schriftsteller werteten ihre griechischen Vorgänger aus klassischer und hellenistischer Zeit nicht nur aus, sondern sie verfeinerten und passten ihre Theorien auch an, indem sie eigene, spezifisch römische Zutaten beimengten. Auch wenn wir ihre ethischen Fragen bezüglich des Lachens einmal beiseitelassen (wann es sich gehöre zu lachen, worüber und zu welchem Zweck), so sind Plinius’ Bemerkungen nur ein kleiner Ausschnitt daraus, was Römer über Ursachen und Eigenschaften des Lachens dachten, denn das reichte von offenkundiger Verblüffung bis zu einfallsreicheren, gelehrten Theorien.

Galen mag daran verzweifelt sein, die physiologischen Ursachen des Lachens herauszufinden, über die komische Natur des Affen aber stellte er einen Haufen Theorien an. Diese Tiere brachten Römer stets und garantiert zum Lachen, und Galen kannte sie gut, aus dem einfachen |42|Grunde, dass er seine anatomische und physiologische Forschung an Affen durchführte, galt das Sezieren von menschlichen Leichen damals doch als unmöglich und inakzeptabel. Für ihn hatte das Lachen, das Affen bei uns hervorrufen, etwas mit Imitation oder, wie wir es ausdrücken würden, mit Karikieren zu tun. „Am meisten nämlich lachen wir“, schreibt er, „bei Imitationen, die den größten Teil akkurat nachahmen, aber bei den wichtigsten komplett danebenliegen.“ So lachten wir, meint Galen, über Affen, weil sie das menschliche Wesen karikierten. Ihre Hände, zum Beispiel, seien zwar in jeder Hinsicht den unsrigen ähnlich, allerdings mit einer Ausnahme: Der Daumen ist bei Affen nicht opponierbar, was ihn unnütz und vollkommen lächerlich („pantē geloios“) mache. Dies ist eine der wenigen antiken Überlegungen darüber, weshalb etwas lächerlich aussieht.15

Es finden sich andere Beobachtungen: Plutarch schreibt im zweiten Jahrhundert n. Chr. über die Funktion des Lachens und Witzemachens beim Gastmahl und betont, was wir die sozialen Aspekte des Lachens nennen würden. Worüber Leute lachen, hebt er hervor, hänge von der Gesellschaft ab, in der sie sich befinden, so könne man etwa mit Freunden über einen Witz lachen, der in Gesellschaft des eigenen Vaters oder der Ehefrau äußerst unangenehm wäre. Er betont ferner die Auswirkungen sozialer Hierarchien auf das Lachen. Der Erfolg eines Witzes hänge davon ab, wer ihn erzählt. Die Leute würden lachen, wenn sich ein Mann niedrigen Standes über die niedere Herkunft eines anderen lustig macht, derselbe Spruch aus dem Mund eines Aristokraten wäre jedoch eine Beleidigung.16

Auch die Frage, warum Leute über Witze lachen, stellten sich römische Theoretiker der Rhetorik, einschließlich Cicero. Nach einem Exkurs über die allgemeinen Eigenschaften des Lachens wendet er sich in De Oratore – mit den Worten des Julius Caesar Strabo, der Hauptfigur in diesem Teil des langen Dialogs – den Fragen zu, auf welche besondere Weise ein Redner das Lachen verwenden könne, was zum Lachen führe und warum. „Hauptsächlich“, behauptet er, „wenn nicht ausschließlich, bringt uns zum Lachen, was den Finger auf etwas |43|Hässliches legt, dies aber nicht auf hässliche Weise tut.“ Quintilian formuliert es ein gutes Jahrhundert später noch griffiger: „vom Verlachen ist das Lachen nicht weit entfernt“ („a derisu non procul abest risus“).17 Doch die Überlegungen, die bei Cicero wie auch in Quintilians Textsammlung über Redekunst folgen, sind differenzierter und nuancierter, als diese Zusammenfassung vermuten lässt. Bei der Analyse der Rhetorik des Witzemachens erkennt Cicero zahlreiche Elemente, die Lachen hervorrufen können, von Verstellung und Grimassieren bis hin zum Unerwarteten und „Inkongruenten“ („discrepantia“).18 Cicero ist auch die früheste erhaltene Quelle für den Gemeinplatz, dass nichts weniger witzig sei als die Analyse eines Witzes: „Ich aber glaube, dass von einem gebildeten Mann über jede Angelegenheit mit mehr Witz gesprochen werden kann als über den Witz selbst.“19

Diese römischen Theorien und Beobachtungen führen uns also in das intellektuelle Niemandsland zwischen dem allzu Vertrauten und dem verwirrend Fremden – von der simplen Frage „Was bringt Leute zum Lachen?“ zu unglaublichen Märchen von magischen Quellen und einer hyperaktiven Milz. Aber selbst diese Unterscheidung ist nicht so zuverlässig, wie wir zunächst vielleicht glauben, und selbst vermeintlich vertraute Vorstellungen können sich als windig und trügerisch erweisen. Wenn Cicero schreibt, dass „Inkongruenz“, wie ich das lateinische „discrepantia“ übersetzt habe, eine Ursache des Lachens ist, wie nahe kam er dann dabei wirklich an die „Inkongruenz-Theorien“ der Moderne? Oder wird Plinius, wenn wir sein „gelotophyllis“ als Cannabis identifizieren, worin wir heute eine handfeste, chemische Ursache für Kicherei vermuten, dadurch wirklich für uns zu einer nachvollziehbareren und verlässlicheren Quelle, als wenn wir es wie im besagten Lexikon mit „Hahnenfuß“ übersetzen, dem wir gewöhnlich keine berauschenden Eigenschaften zuschreiben?20 Vielleicht noch verwirrender ist es, wie diese extravaganten und unwahrscheinlichen antiken Ansichten unsere eigenen wissenschaftlichen „Wahrheiten“ zum Thema Lachen zur Disposition stellen. Was können wir, nach all dem, noch als plausible Erklärung für unser Lachen akzeptieren? Ist die |44|Theorie der Neurowissenschaften, dass der Sitz des Lachens im „vorderen Bereich des Hirns, der für die menschliche Bewegungsunterstützung zuständig ist“, also im linken Frontallappen angesiedelt sei, irgendwie glaubwürdiger oder auch nur nützlicher in unserem Alltag als Plinius’ verrückte Vorstellungen von Zwerchfell und Milz?21

Das Lachen im alten Rom

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