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1. Einführung

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Die Tatsache, dass sich im Laufe der Zeit die Printmedien, das Fernsehen, der Rundfunk – sowie neuerdings auch die diversen Internetangebote – irgendwann einmal als „vierte Gewalt“ im Staat etablieren, war sicherlich weder für die staatstheoretischen Vordenker wie John Locke oder Montesquieu noch die Väter und Mütter des Grundgesetzes vorhersehbar, als es um die Frage der Gewaltenteilung ging.

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Zweifelsohne kommt den Medien in einer modernen Demokratie ein besonderes Gewicht bei der politischen Meinungs- und gesellschaftlichen Wertebildung zu. Sie verbreiten Informationen und Meinungen ebenso, wie Meinungen über bzw. durch sie geäußert und gebildet werden. Die Freiheit der Medien sowie Medieninhalte hoher Qualität sind „nicht nur verfassungsrechtlich, sondern auch in demokratietheoretischer und empirisch-sozialwissenschaftlicher Hinsicht ein konstituierendes Merkmal jeder Demokratie.“[382] Damit erfüllen die Medien in unserer Gesellschaft eine ebenso wichtige wie legitime öffentliche Aufgabe, indem sie gesellschaftliche Missstände frühzeitig erkennen und hierüber berichten. Dass auch Straftaten häufig auf gesellschaftliche Missstände zurückzuführen und damit einer Berichterstattung wert sind, ist dabei ebenso richtig, wie der Umstand, dass Berichte über Strafverfahren in den meisten Medien zum bloßen Unterhaltungsstoff verkommen sind. Nicht mehr den Bürgern die Arbeit der (Straf-)Justiz zu vermitteln und diesen damit eine wirkungsvolle und effektive Kontrolle der (Straf-)Rechtspflege zu ermöglichen, prägt die Berichterstattung, sondern der harte Wettkampf um die Quote, also den Konsumenten. Mit dem Konkurrenzdruck steigt gleichzeitig auch die Bereitschaft der Medien, die hohen Standards und hehren Grundsätze einer seriösen Berichterstattung zugunsten eines kurzfristigen (wirtschaftlichen) Erfolges aufzugeben.

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Dass die freiheitlich demokratische Grundordnung einen freien und funktionierenden Kommunikationsprozess verlangt und dieser ohne die Medien nicht aufrecht zu erhalten ist, bedarf keiner ernsthaften Diskussion. Ohne die freie Presse würden weder der Staat, die Gesellschaft noch die Kultur oder die Wirtschaft so funktionieren, wie dies der Fall ist. Unbedarft und verfehlt wäre jedoch die Annahme, dass Publikationsentscheidungen auf Medienseite – und dazu zählen nicht nur die Journalisten, sondern auch die Eigentümer der Verlage etc. – vorrangig am Gemeinwohlinteresse ohne Ansehen der eigenen wirtschaftlichen Interessen ausgerichtet werden. Im Wettkampf um die schnellste Nachricht spielen die eigenen Interessen eine mindestens ebenso große Rolle. Im ständigen und erbitterten Kampf um das knappe Gut „Quote“ ist leider häufig nicht die Qualität der Berichterstattung, sondern die Neuheit der Nachricht das Mittel der Wahl.

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Eben dieser Wettkampf um die Quote und die neueste Nachricht führt nicht zuletzt auch in Strafverfahren zu erheblichen Komplikationen.[383] Dabei ist nämlich zu sehen, dass die Medien durch ihre Veröffentlichungen die öffentliche Meinung – und damit auch diejenige, der mit der (Straf-)Rechtspflege befassten Personen – beeinflussen.[384] Ohne Zweifel braucht die Justiz die Öffentlichkeit, damit die Unparteilichkeit und Unabhängigkeit der Justiz zum Schutz der Bürger einer Kontrolle unterliegen. Wirksame Kontrolle kann jedoch nur von denjenigen ausgeübt werden, die hinreichenden Sachverstand besitzen. Eben diese Voraussetzung einer juristischen (Grund-)Ausbildung oder entsprechende juristische Vorbefassung scheint bei vielen Medienvertretern bedauerlicherweise nicht vorhanden zu sein bzw. vor dem Hintergrund des Konkurrenzdrucks und der eigenen wirtschaftlichen Interessen zu Gunsten einer reinen Unterhaltungsberichterstattung an Bedeutung verloren zu haben.[385] Indirekt lässt sich der Befund einer zunehmenden Kommerzialisierung beispielsweise bei einem Vergleich von Boulevard- und Abonnementpresse feststellen: Je stärker der Verkaufsdruck ist, desto eher ist eine reißerische, unseriöse, sensationslüsterne und skandalisierende Berichterstattung festzustellen.[386]

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Insbesondere Strafprozesse gehören jedoch in den Gerichtssaal und nicht in die Medien! Dies gilt erst recht, wenn man sich vergegenwärtigt, wie leicht es zu regelrechten Parallel-Prozessen in der Medienwelt kommen kann, die ein ebenso unkontrolliertes (unkontrollierbares?) wie verhängnisvolles Eigenleben entwickeln können.[387] Gerade deswegen muss sich aber jeder am Strafverfahren Beteiligte – egal auf welcher Seite er steht – stets vor Augen führen, dass Strafprozesse in der Öffentlichkeit, nicht aber für die Öffentlichkeit geführt werden.[388]

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Unter dem Deckmantel einer angeblich geschärften Sensibilität der Öffentlichkeit für vermeintliche gesellschaftliche Fehlentwicklungen wird seitens der Medien häufig lediglich eine (künstlich) gesteigerte gesellschaftliche Sensationsgier befriedigt. Nicht zu Unrecht wird deshalb oftmals auch vom „öffentlichen Pranger“ der Medienberichterstattung gesprochen[389] – und dort, wo es um die sensationslüsterne und auflagenerhöhende Berichterstattung von Strafprozessen geht, ist auch die „eigene Recherchearbeit“ der Medien nicht fern. Kein Wunder also, dass bereits der bloße Verdacht einer Straftat eine berichterstattungswerte Information darstellt, selbst dann, wenn es sich um mittelschwere Kriminalität ohne besondere, für die Allgemeinheit relevante, Anknüpfungspunkte handelt – solange nur ein gewisses voyeuristisches und emotionsgesteuertes Bedürfnis befriedigt werden kann. Der spätere Ausgang eines Strafverfahrens ist nur insofern von Bedeutung, als dass der bereits medienwirksam in Szene gesetzte Skandal bestätigt wird. Eine Verfahrenseinstellung im Ermittlungsverfahren interessiert hingegen nicht. Gleiches gilt im Falle eines Freispruchs, es sei denn, dieser selbst stellt einen berichtenswerten Skandal dar.

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Nach heutigem Verständnis ist „Gerichtsöffentlichkeit“ bedauerlicherweise gleichbedeutend mit Medienöffentlichkeit. Dahs spricht insoweit auch nicht ganz unzutreffend von „elektronischer“ Öffentlichkeit.[390] Für den Betroffenen aber bedeutet es einen gewichtigen Einbruch in seinen eigenen höchstpersönlichen Bereich. War die Öffentlichkeit früher als Schutzinstrument des Beschuldigten vor Willkür und Parteilichkeit in geheimen Verfahren gedacht, so hat sie sich zwischenzeitlich zur Bedrohung der bürgerlichen Existenz des Betroffenen entwickelt.[391] An dieser Stelle wird bei der heutigen Form der Berichterstattung das Spannungsverhältnis zwischen dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Betroffenen, also seinen Grundrechten aus Art. 1 und 2 GG, und dem Informationsinteresse der Öffentlichkeit bzw. der Pressefreiheit gem. Art. 5 GG besonders evident. Viele Medien handeln trotz ihrer normativ-demokratietheoretischen Rolle häufig aus Eigeninteresse und gefährden damit andere rechtsstaatliche Prinzipien und geschützte Rechtsgüter, wie etwa dasjenige eines fairen Verfahrens oder der persönlichen Ehre. Auf dem journalistischen Markt der Unterhaltungsgesellschaft geht es darum, authentisch, investigativ und vor allem schneller als die anderen zu sein. Dabei muss die Qualität fast schon zwangsläufig auf der Strecke bleiben. Eben dies hat sich heutzutage jeder der Protagonisten eines Strafverfahrens, allen voran der Strafverteidiger, zu vergegenwärtigen. Deshalb soll es im vorliegenden Abschnitt um den richtigen Umgang mit der Presse gehen.

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