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dd) Sonderfall: der angehörige oder gefährdete Zeuge

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Ein Sonderfall in der Person des Zeugen darf nicht unerwähnt bleiben, nämlich der zeugnis- oder auskunftsverweigerungsberechtigte (Belastungs-)zeuge. Es ist dem Verteidiger grundsätzlich nicht verboten, an diesen heranzutreten mit dem Ziel, dass der Zeuge von seinem Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch macht[35] (zu den Grenzen zulässiger Einwirkung auf den Zeugen siehe Kap. 1 Rn 124 ff.). Entschließt sich ein Belastungszeuge, im weiteren Verfahren teilweise oder sogar umfassend von einem ihm zustehenden Zeugnis- oder Auskunftsverweigerungsrecht Gebrauch zu machen, kann der Gewinn für die Verteidigung enorm sein, unter Umständen unmittelbar dazu führen, dass der Mandant unverzüglich aus der Untersuchungshaft zu entlassen und das Verfahren nach § 170 Abs. 2 StPO einzustellen ist.

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In Betäubungsmittelsachen wird der Tatvorwurf in bemerkenswerter Häufigkeit ausschließlich auf die Angaben eines gesondert verfolgten Zeugen gestützt, der sich mit seinen den Mandanten belastenden Angaben die Vorteile des § 31 BtMG für seine eigenes Verfahren verdienen will. Solange das Verfahren gegen ihn anhängig ist und dieselbe Tat i.S.d. § 264 StPO zum Gegenstand hat, steht ihm i.d.R. ein umfassendes Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zu.[36] In bestimmten Fällen kann das Auskunftsverweigerungsrecht des Zeugen auch noch nach rechtskräftigem Abschluss seines Verfahrens fortbestehen.[37]

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Praxistipp

Bei einem Betäubungsmitteldealer wird dies regelmäßig dann gelten, wenn und solange er nach rechtskräftiger Verurteilung wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln mit der Einleitung eines Steuerstrafverfahrens wegen einer tateinheitlich begangenen Umsatzsteuerhinterziehung hinsichtlich der aus den Betäubungsmitteltaten erzielten Erlöse ernsthaft rechnen muss. Die bloß theoretische Möglichkeit hierzu reicht nach der Rechtsprechung jedoch nicht aus.

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Macht der Zeuge von seinem Auskunftsverweigerungsrecht vollumfänglich Gebrauch, so wird alleine die Angaben des Vernehmungsbeamten als mittelbarer Zeuge vom Hörensagen regelmäßig nicht ausreichen, um alleine hierauf einen hinreichenden oder gar dringenden Tatverdacht gegen den Mandanten zu stützen.

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Opfer von Sexualstraftaten sind oftmals Angehörige i.S.d. § 52 StPO. Erklärt der angehörige Zeuge im weiteren Verfahren, nunmehr von seinem Zeugnisverweigerungsrecht Gebrauch machen zu wollen, so sind seine bisherigen Angaben, sofern er nicht eine ausdrückliche Zustimmung hierzu erteilt, nicht mehr im Verfahren gegen den Mandanten verwertbar, sofern sie nicht im Rahmen einer richterlichen Vernehmung gesichert wurden (§ 252 StPO).

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Bei minderjährigen Zeugen und denjenigen Zeugen, die unter Betreuung stehen, wird zur Ausübung des Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 StPO unter Umständen ein Ergänzungspfleger zu bestellen sein, wenn zu besorgen ist, dass der Zeuge aufgrund seiner Verstandesreife von der Bedeutung des Zeugnisverweigerungsrechtes keine genügende Vorstellung hat. Handelt es sich in derartigen Fällen bei dem Erziehungsberechtigten um den Beschuldigten, so kann nicht dieser anstelle des Zeugen über dessen Zeugnisverweigerungsrecht entscheiden, sondern an seiner Statt ein eigens zu diesem Zweck zu bestellender Ergänzungspfleger (§ 52 Abs. 2 S. 2 StPO). Auch dann muss jedoch der Zeuge selbst zur Aussage bereit sein, alleine der Verzicht des Ergänzungspflegers auf das Zeugnisverweigerungsrecht reicht nicht aus (§ 52 Abs. 2 S. 1 StPO).

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Der Mandant wird daher gerade dann, wenn sich der Tatvorwurf ausschließlich oder im Wesentlichen auf den Angaben eines auskunfts- oder zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen stützt, ein hohes Interesse haben, dass der Zeuge nunmehr – berechtigt – schweigt. Damit korrespondiert eine Verpflichtung des Verteidigers, diesbezügliche Verteidigungsaktivitäten zu entfalten mit dem Ziel, dass der Zeuge ein ihm zustehendes Auskunfts- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht ausübt. Dazu gehört zwingend der Hinweis des Verteidigers gegenüber dem Zeugen auf sein Auskunfts- bzw. Zeugnisverweigerungsrecht sowie die Mitteilung, dass die Ausübung desselben im Interesse des Mandanten liegt.

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Eine darüber hinausgehende Beratung darf der Verteidiger dem Zeugen indes nicht zuteilwerden lassen.[38] Gerade dann, wenn es um die – oftmals schwierig zu beantwortende – Frage geht, ob und insbesondere in welchem Umfang dem Zeugen ein Auskunftsverweigerungsrecht nach § 55 StPO zusteht und ob es mit seinen eigenen Interessen als gefährdetem[39] oder geschädigtem Zeugen in Einklang zu bringen ist, hiervon Gebrauch zu machen, sollte der Verteidiger sich auf die Empfehlung beschränken, dass der Zeuge sich insoweit eigenen anwaltlichen Beistands bedient. Dies wird angesichts der Komplexität der hierzu ergangenen Rechtsprechung in vielen Fällen ohnehin notwendig sein, will der Zeuge seine Rechte aus § 55 StPO wirksam durchsetzen.

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Praxistipp

Hängt die Beweislage für den Mandanten also maßgeblich von den Angaben eines auskunfts- oder zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen ab und erscheint es zumindest nicht ausgeschlossen, dass eine Berufung auf dieses Recht – aus welchen Gründen auch immer – im Interesse (auch) des Zeugen liegt, so muss der Verteidiger diesbezüglich im Interesse seines Mandanten aktiv werden und darf selbstverständlich mit dem Wunsch an den Zeugen heran treten, von einem etwaigen Auskunfts- oder Zeugnisverweigerungsrecht im Interesse des Mandanten Gebrauch zu machen. Ergibt sich hierbei die Notwendigkeit oder der Wunsch des Zeugen auf anwaltliche Beratung über das Bestehen oder die Reichweite eines Verweigerungsrechts, so muss und sollte es der Verteidiger allerdings bei der Empfehlung belassen, der Zeuge möge sich insoweit des Beistands eines Kollegen bedienen.

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