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Dazwischen — Ein Deal im Schnee
Оглавление[Stadt Jaca an der spanisch-französischen Grenze, 12. Februar 2003]
»…ein unmoralisches Angebot, wie gesagt: Nicht vergessen! Heute Abend auf Programa uno. Wenn Sie noch nichts zu tun haben, sind Sie bei Demi Moore und Robert Redford sicher in bester Gesellschaft.«
»Ich weiß, was ich heute Abend tue—«
Das Autoradio knisterte. Als sich die Frequenz wieder gefangen hatte, plapperte wieder die Frau:
»...muss deine Frau auf der nächsten Sender-Party mal zur Seite nehmen.«
Die beiden feixten noch eine Weile weiter; darüber, wer wessen Gesellschaft nicht von der Bettkante stoßen würde, und für wie viel Geld wer seine Ehegatten für eine Nacht jemand anderem überlassen würde. Während er zuhörte, fragte sich der Fahrer des Lincoln, ob sich die Wege der beiden auch privat kreuzten, in Betten und über Bettkanten. Dann verlor er das Interesse. Im Radio übernahm wieder das Knistern die Regie. Er beobachtete seinen Atem dabei, wie er an der kalten Luft kondensierte, und zog zum wiederholten Mal seine Handschuhe stramm. Sein Kiefer pochte noch immer, auch wenn er kein Blut mehr schmeckte. Wie konnte etwas, dass nicht mehr da war, nur so scheiße wehtun? Als das Paar Frontscheinwerfer von der Schnellstraße E-07 auf den Rastplatz bog und sich durch das sachte Schneegestöber, das von den Gipfeln der Pyrenäen herunterwehte, auf ihn zubewegte, befand sich Johnny Cash gerade auf einem Zug nach Folsom Prison und beichtete, dass er in Reno einen Mann erschossen hatte, nur um ihn sterben zu sehen.
Er stieg aus. Durch die frische Zahnlücke sog er die kalte Luft ein, blinzelte Schmerz und Schneeflocken weg. Der Besitzer des Mitsubishi Pajero umrundete bereits seinen Geländewagen. Unter den Stiefeln knackte der Schnee wie das Autoradio.
White Noise, dachte er.
»Das ist er?«, fragte Pajero.
»Das ist er«, antwortete Lincoln. »1993er Lincoln Town Car.«
Sie schüttelten sich die Hände, Lederhandschuhe quietschten. Im Stillen dankte Lincoln dem Schicksal, dass die ganze Scheiße im Winter passiert war. Im Sommer wären seine Handschuhe aufgefallen. Pajero versuchte bereits beim Händedruck die Oberhand zu gewinnen. Lincoln ließ ihn. Dann begann die Inspektion.
»Linker Frontscheinwerfer ist kaputt«, bemerkte Pajero. »Kotflügel auch.«
Lincoln absorbierte die Anspannung seines Körpers über die Kiefer und ballte seine Finger zu Fäusten. Der Schmerz zwischen seinen Zähnen raubte ihm fast die Beherrschung.
»Ist schon fast ein halbes Jahr her. Hat nie Probleme gemacht.«
Pajero schien nicht sonderlich begeistert. »Können Sie ihn mal für mich aufmachen?«
Lincoln ließ sich hinters Steuer fallen und die Motorhaube aufschnappen.
»Soll ich ihn mal anwerfen?«
»Ja, bitte.«
Röhrend sprang der Motor an. Erprobte Hände tauchten in den Motorblock, zogen an Hebeln, die den Motor aufheulen ließen, schoben Kabel und Schläuche bei Seite. In der von den Bergen herunterschleichenden Dämmerung brüllte der Lincoln wie ein angriffslustiger, brünstiger Stier.
»Taschenlampe?«, fragte Lincoln.
»Nein, danke.«
Pajero beugte sich wieder heraus und schloss die Motorhaube. Er umrundete das Auto ein zweites Mal. Noch immer mimte er den wenig Begeisterten. Doch Lincoln wusste, dass es sich genau gegenteilig verhielt. Pajero war begeistert. Seine wippenden Stiefel und lippenkauenden Kiefer konnten immer schlechter verbergen, dass er dieses Auto haben wollte.
»Kann ich ihn mal fahren?«, fragte er. »Nur um den Rastplatz.«
Fünf Minuten später standen sie wieder an gleicher Stelle, Pajero in seinem beigen Trenchcoat, Lincoln in seiner abgewetzten Lederjacke mit hochgestecktem Kragen. Die Füße des ersten scharrten noch lauter.
»Riecht nach Desinfektionsmittel.«
»Ein stinkendes Auto krieg ich nicht verkauft.«
Pajero nickte und seufzte dramatisch. »Ich weiß nicht. Ich wollte wirklich immer einen Amerikaner, aber... ich weiß einfach nicht.«
»Sie kriegen, was sie sehen. Läuft einwandfrei.«
»Bis auf den kaputten Frontscheinwerfer.«
»Bis auf den.«
»Und die Beule hier links.«
»Und die.«
»Der Fahrersitz ist ne Fehlproduktion, kann das sein?« Pajero zeigte Lincoln, was er meinte. Links waren die Lederbezüge mit rotem Faden zusammengenäht. Lincoln war das nie aufgefallen. »Oder ist das Blut?«
Lincoln schluckte. Er war so gründlich gewesen…
»Nein, ist ne Fehlproduktion.«
»Und was war mit dem Kofferraum?«
Die Worte, die Lincoln in den letzten vierundzwanzig Stunden ununterbrochen geprobt hatte, lapidar über die Lippen zu bringen, verfingen sich fast in seiner trockenen Kehle. Fast. »Klemmt, sorry.« Er schluckte. »Im Winter verzieht sich der Stahl immer, da krieg ich ihn selbst nicht auf. Da drin finden Sie sicher noch einen Verbandskasten, Weste, Dreieck und so Zeug. Können Sie haben.«
Er ließ Pajero jeden Punkt ausspielen, mit dem er den Preis drücken konnte.
»Wie gesagt, ich würde ihn nicht verkaufen, wenn ich nicht müsste. Ich bin schon so gut wie weg, wissen Sie, deshalb hab ich auch keinen Kaufvertrag hier, oder so. Ich hab ja sogar die Flüge schon gebucht, für morgen. Ich will einfach nicht auf dem Auto sitzen bleiben.«
»Weltreise, hatten Sie gesagt, richtig?« Pajero nickte zu dem zusammengezurrten Tracking-Rucksack auf dem Rücksitz.
»Fernweh, würde ich eher sagen.«
»Das Leben war nicht gut zu ihnen hier, was?«
»Nicht besonders, nein.«
Lincoln wartete. So lange, bis er dachte, dass es Zeit war, seinen letzten Scheit hinterherzuwerfen.
»Ich bin auch furchtbar schlecht im Verhandeln, ich will es einfach nur hinter mir haben. Aus dem Kopf.«
Er konnte sehen, wie Pajero die Nachteile abwog, von denen es nicht viele gab. Ein Mann verscherbelte sein Kult-Auto für einen Bruchteil des Wertes auf einem Rastplatz nahe der Grenze. Nicht an einen Händler, nicht an einen Freund. Ohne Kaufvertrag! Doch gestohlen war das Auto nicht, er selbst hatte sich die Papiere zeigen lassen. Was blieb also an Zweifeln? Dass das Ganze zu schön war, um wahr zu sein, reichte nicht. Denn schon war es zurück, das gierige Glitzern, und alles was in den Augen des Pajero-Besitzers zu lesen blieb, war der Wunsch, nach Hause zu kommen und Frau und Freunden von dem grandiosen Schnäppchen zu erzählen, dass er zuerst gewittert und dann geschlagen hatte und von dem Fremden auf dem Rastplatz, der auf der Schwelle zu einem neuen, spontanen Lebensabschnitt nur noch ein bisschen Geld hatte machen wollen. Er wollte den Lincoln. Er war gekommen, um ihn zu kaufen, nicht um ihn sich anzuschauen. Schon als er das Lenkrad herumgedreht hatte, um auf den Rastplatz zu biegen, war er verloren gewesen.
»Was war nochmal der Preis?«
Der Wind wurde immer eisiger, der Schnee dicker. Sonne und Schmerzmittelpegel sanken langsam hinter den Horizont. Lincoln musste weg.
»Wozu wären Sie denn bereit?«
Pajero prustete. »Ich müsste das Licht reparieren und die Delle. Und den Kofferraum. Der Motor hat sich auch nicht ganz geschmeidig angehört.«
Der Motor hatte geschnurrt wie ein Kätzchen. Lincoln hatte Pajeros Kauftaktik bereits erkannt, als er ihm die Hand hatte zerdrücken wollen. Jetzt gerade überlegte Pajero, wie dreist er sein durfte; wie weit er einen jungen Mann, der einfach nicht auf dem Auto sitzen bleiben wollte und furchtbar schlecht im Verhandeln war, im Preis drücken durfte, ohne dass es auffiel.
»Achthundert.«
Der Lincoln war mindestens das zehnfache Wert. Der Fahrer hatte einmal über das Zwanzigfache dafür bezahlt.
»Abgemacht.«
Sie schlugen ein.
Vier Stunden später saß ein junger Mann, der einmal einen Lincoln Town Car und ein lückenloses Lächeln besessen hatte, auf der anderen Seite der Pyrenäen und am anderen Ende der Schnellstraße E-07 auf dem Rollfeld des Flughafens im französischen Pau in Flug AR4372 nach Casablanca, der ihn die Hälfte der einzigen achthundert Euro gekostet hatte, die er seit langem besessen hatte. Neben ihm stand ein gekaufter Rucksack voller ausschließlich gekaufter Dinge. Das Leben war nie gut zu ihm gewesen. Schlechter noch, nachdem er sein ganzes Geld für ein gewisses Präsidenten-Schlachtschiff geopfert hatte, dessen Fahrersitz mit einem seltsam blutfarbenen Faden zusammengenäht worden zu sein schien — auch wenn der junge Mann diesen Zusammenhang nicht verstehen konnte. Er dachte ausschließlich daran, ob sie die schwangere Frau bereits vermissten, die er gestern Abend versehentlich überfahren und dann in seinem Kofferraum versteckt hatte, und wie lange das Bleichmittel ihren Geruch überdecken würde. Er sah über die Tragfläche hinweg, suchte die Antwort in der Nacht und ließ sich vom Start in den Sitz drücken.