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Die Vorstellung eines Organ-(Muskel-)Reflexes
ОглавлениеAll diese Annahmen gehörten zur allgemeinen Lehrmeinung. Für unsere Belange ist Fernels Beobachtung wichtig, dass manche unserer Handlungen nicht vom Eingreifen des Willens herrühren oder ungewollt geschehen oder keinem anderen Befehl des Geistes unterstehen. Er vertrat die Ansicht, dass ein solches Verhalten in bestimmten Bewegungen des Auges oder der Augenlider, des Kopfes oder der Hände während des Schlafes sowie in den mit der Atmung einhergehenden Bewegungen exemplifiziert ist. Diese Muskelbewegungen stehen laut Fernel mit keinem Willensakt in Zusammenhang und können darum als Reflexe betrachtet werden. Fernel betonte nachdrücklich, dass die Muskelbewegungen sich ereignen können, ohne dass der Wille eine Absichtshandlung initiiert; das heißt, dass es motorische Akte gibt, bei denen der Wille keine Rolle spielt.39 Diese Einsicht markiert den Beginn einer Forschungstätigkeit, die erst mit Sherringtons Arbeit im 20. Jahrhundert ihre Vollendung fand.
Fernels Physiologia erlebte einige Auflagen und ihr Einfluss währte ein Jahrhundert lang. Allerdings war sie in der zweiten Hälfte des 17. Jahrhunderts schon nicht mehr der maßgebliche Text im physiologischen Bereich, und zwar weil die aristotelischen Begriffe und Konzeptionen, auf denen sie beruhte, als nicht länger brauchbar galten. Vor allem die Kepler’sche physikalische Astronomie und die mechanistische Physik Galileis machten sie hinfällig. Der spektakuläre Erfolg der neuen Physik führte zum schnellen Verschwinden der aristotelischen teleologischen Wissenschaft und dazu, dass teleologische Erklärungen natürlicher Phänomene von mechanistischen Erklärungen ersetzt wurden. Das drückte sich gleichermaßen im Vordringen der biologischen und der physikalischen Wissenschaften aus. Zum einen zeigte Harvey, dass es sich beim Herz um ein mechanisches Pumpwerk handelt. Zum anderen legte Descartes überzeugend dar, dass die Aktivitäten des Körpers als des Gegenstands der Physiologie in rein mechanischer Hinsicht untersucht werden können.