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Entwicklungspathologie

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Sehr frühe und intensiv belastende, beängstigende und überfordernde Erfahrungen werden nicht bewältigt. Sie führen zur Fixierung einer chaotischen, zerstückelten inneren Welt mit diffusen Ahnungen über sich und andere. Es kommt zur Ausbildung von Leerstellen in der Persönlichkeitsorganisation, die sich später als strukturelle Ichstörungen und Unklarheiten über sich selbst und andere zeigen. Sie sind in das Erleben von Mangelzuständen, Vernachlässigung und Verletzung des Nähe-, Bindungs- und Sicherheitsbedürfnisses in der vulnerablen Frühentwicklung eingebettet.

Diese Erfahrungen treffen ein unreifes Ich, das sich noch in der frühen, subjektiv »gespaltenen« Welt bewegt, die von »unbegreiflichen« emotionalen und sensorischen Wahrnehmungen geprägt ist. In diesem Zustand des prozeduralen Selbst- und Beziehungserlebens gibt es noch keine Begriffe. Er kann später auch nicht bildhaft-begrifflich erinnert werden. Die Erfahrungen werden stattdessen als affektive, sensorische und körperlich empfundene Zustände im implizit-prozeduralen Gedächtnis aufgehoben.

Der unreife, unerfahrene kleine Säugling ist auf seine Pflegepersonen angewiesen, um sich Orientierung zu verschaffen und sein fragiles Selbst stabil zu halten. Wenn er nun z. B. durch eine Krankheit eine lange Trennung erfährt, kann diese noch labile Fähigkeit verloren gehen. Wenn es sich um intensive oder anhaltende Entbehrungen handelt, können daraus Störungen der inneren Entwicklungsprozesse entstehen. Sie bewirken, dass die Bewältigung phasenspezifischer Entwicklungsaufgaben scheitert, z. B. die Überwindung des »gespaltenen« Erlebens der sog. schizoid-paranoiden Position oder die Stabilisierung der Bindungsfähigkeit in der intentionalen Entwicklung. Schwerwiegende Trennungserfahrungen bewirken auf diese Weise eine Fixierung der Spaltungsabwehr, ein brüchiges Selbstgefühl und ein unsicheres Bindungs- und Beziehungsverhalten.

So entstehen Entwicklungsdefizite, die als Störung basaler struktureller Fähigkeiten und gering integrierte Selbst- und Objektrepräsentanzen in der Persönlichkeit verankert werden. Sie betreffen vor allem die Wahrnehmung, die Trieb- und Affektregulation, das Selbstgefühl und die Bindungsfähigkeit, die Entwicklung reifer Objektbeziehungen und die Bildung des Gewissens und der Ideale. Sie können durch kompensatorische Erfahrungen ausgeglichen und aufgeholt werden. Wenn das nicht geschieht, bleibt eine dauerhafte Verformung der Persönlichkeit mit einer spezifischen Schwäche der basalen Selbst- und Beziehungsregulation bestehen. Diese Persönlichkeitsorganisation wird als Entwicklungspathologie108 beschrieben. Sie bildet die Disposition für Strukturstörungen auf niederem Strukturniveau ( Kap. 4.2).

Die Entwicklungspathologie hat demnach eine beziehungsorientierte und eine strukturelle Dimension. Darauf beziehen sich die später zu behandelnden Behandlungsansätze: Sie umfassen eine wachstumsfördernde Haltung (beziehungsorientierter Ansatz) oder die Substitution und Übung (strukturorientierter Ansatz) oder eine Kombination von beiden ( Kap. 17).

Psychotherapie und Psychosomatik

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