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Neurotische Persönlichkeitszüge und die neurotische Persönlichkeit

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Entscheidend für das Verständnis der Neurosenentstehung ist die Tatsache, dass die Neurosenpathologie ständig kompensiert und der neurotische Kern andauernd unbewusst gehalten werden müssen. Auf Dauer wird die gesamte Persönlichkeitsorganisation in die Kompensations- und Abwehrprozesse einbezogen. Auf diese Weise entsteht aus einer zunächst unauffälligen Persönlichkeit eine neurotische (bzw. posttraumatische) Persönlichkeit, die sich zur Persönlichkeitsstörung weiterentwickeln kann.

Die Entwicklung einer neurotischen Persönlichkeit ist durch Erlebnis- und Reaktionsweisen geprägt, welche die Funktion haben, ein Gegengewicht zu den unbewussten Kernkonflikten, traumatischen Erinnerungen oder strukturellen Defiziten zu bilden. Die daraus entstehenden typischen Erlebnis- und Verhaltensmuster werden als neurotische Persönlichkeitszüge bezeichnet.

Die neurotische Persönlichkeit ist als solche aber keine Störung, sondern lediglich die psychodynamische Basis für eine potenzielle spätere Störung, d. h. ein Erkrankungsrisiko. Erst unter spezifischer Belastung kann die Abwehrfunktion der Persönlichkeit versagen und eine Störung manifest werden.

Je nach Art der zugrunde liegenden Pathologie haben die neurotischen Persönlichkeitszüge verschiedene Funktionen:

• Defensive (abwehrbedingte) Persönlichkeitszüge: Es handelt sich um chronische Abwehroperationen, mit denen verdrängte Konflikte unbewusst gehalten werden. Das gilt vor allem für Persönlichkeitsstörungen auf der Basis einer Konfliktpathologie bzw. auf höherem Strukturniveau. Beispiele sind eine hysterische Planlosigkeit aufgrund der Verdrängung zielgerichteter Triebwünsche oder eine zwanghafte Pedanterie, mit der anale Willkürimpulse abgewehrt werden.

• Defizitäre Persönlichkeitszüge, z. B. die Neigung zu wiederholten Impulsdurchbrüchen und Kontrollverlusten. Hier zeigt sich in unverhüllter Weise die strukturelle Störung des Ich. Die Persönlichkeitszüge sind eine unmittelbare Folge einer Ichschwäche. Sie sind Anzeichen einer Entwicklungspathologie bzw. einer Persönlichkeitsstörung auf niederem Strukturniveau.


Abb. 3.1: Psychogene Pathologie: Von der Persönlichkeitsmatrix zur klinischen Störung

• Kompensatorische Persönlichkeitszüge: Maßnahmen zum Ausgleich von strukturellen Funktionsdefiziten. Sie sind für die Entwicklungspathologie typisch und kommen vor allem bei Persönlichkeitsstörungen auf niederem Strukturniveau vor. Beispiele sind misstrauische Haltungen, mit denen Situationen vermieden werden, die eine bei diesen Patienten nicht genügend entwickelte soziale Kompetenz erfordern würden.

Kompensatorische und defizitäre Persönlichkeitszüge stehen in einem inneren Bezug zueinander. Man kann sagen, dass die Funktion der kompensatorischen Züge darin besteht, Strukturdefizite auszugleichen.

Bei Traumapatienten finden wir je nach struktureller Organisation der Traumaerfahrung Persönlichkeitszüge, die entweder mehr dem Abwehrtyp oder mehr dem Defizit-Kompensations-Typ entsprechen ( Kap. 7.3.2).

Psychotherapie und Psychosomatik

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