Читать книгу Winternacht bei Tiffany - Nena Siara - Страница 7

JOSH

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Montag, 19:52 Uhr

„Schönen Abend dir, Josh!“

„Dir auch, Katie!“, antwortete Josh, als seine ältere Kollegin zur Ladentür ging.

„Heute Nacht soll es schneien.“ Katie drehte sich noch einmal zu ihm um. Das tat sie öfter, und Josh überlegte dann immer, warum sie nicht alles sagen konnte, bevor sie sich verabschiedete.

„Das glaube ich erst, wenn ich die weißen Flocken auf meiner Haut spüre“, entgegnete er.

Lachend verließ sie den Laden, nicht, ohne noch einen letzten Satz hinterherzuschieben. „Du Skeptiker. Für dich sind wohl auch Schneeflocken potentielle Diebe.“

Fies!, dachte Josh. So einen Satz zu bringen und sich dann aus dem Staub zu machen! Aber vielleicht hatte sie ja recht. Josh träumte oft von Einbrüchen und von der Shop-Catching-Liste. Wer in einem Juweliergeschäft arbeitete, saß schließlich an einer guten Quelle, und Tiffany & Co. war nicht irgendeine Quelle, sondern der Urquell von edlem Geschmeide.

Es war zwanzig Uhr. Das Geschäft schloss. Mit wachen Augen ging er ein letztes Mal durch die Gänge, um den Zustand der Vitrinen und Schubladen zu prüfen. Der Rundgang dauerte nur wenige Minuten.

Josh konnte sich als Geschäftsführer auf seine Mitarbeiter verlassen. Trotzdem fühlte er sich nach einem Arbeitstag verpflichtet, seinen Kontrollgang durchzuführen. Im Anschluss daran kam der Kassenabschluss und alles, was dazugehörte, bis er endlich gehen konnte – heute etwas früher als sonst, da die Putzkolonne aufgrund des aufziehenden Schneesturms ausnahmsweise einmal nicht würde kommen können. Ein Blick nach draußen ließ ihn kurz erschaudern. Seit Tagen war es klirrend kalt. Die eisige Luft kroch in jede Ritze, und Josh war nicht gerade scharf auf den Heimweg, der ihm vierzig Minuten Kälte bescheren würde.

„Dann wollen wir mal. Licht aus …“

Inzwischen war es 20:29 Uhr. Der Laden wirkte geheimnisvoll und romantisch zugleich, wenn das Licht der Straßenlaternen durch die Fenster schien und die Juwelen wie Katzenaugen zum Funkeln brachte. Für einen Moment blieb Josh stehen und genoss diesen Augenblick der Stille und Einsamkeit. Wer konnte schon nach Ladenschluss bei Tiffany & Co. stehen und im Dunkeln Diamanten bestaunen? Stolz und Ehrfurcht durchliefen Josh, während er zum Seiteneingang ging, die Tür öffnete und wieder hinter sich schloss. Ein tiefer Atemzug zeigte ihm, dass es noch kälter war als am Morgen. Und tatsächlich roch es nach Schnee. Katie hatte recht. Am Ende würde er morgen noch aufwachen und New York ganz in Weiß sehen! Der Schlüssel drehte sich im Schloss, während Josh sich seine Stadt im weißen Mantel vorstellte.

„Die schließt du jetzt wieder auf! Aber schnell!“ Der Druck auf dem kleinen Fleck unterhalb seines linken Schulterblatts war ihm aus seinen Albträumen bekannt, aber das hier war keiner. Beherrsch dich. Jetzt bist du dran. Das überlebst du nie. Ich hab dich doch gewarnt, du Idiot. Soll ich mich umdrehen? Wieso duzen Diebe einen eigentlich immer? Was mache ich jetzt? Setzt mein Herz gerade aus? Hoffentlich pinkle ich mir nicht in die Hose. Wo ist der Alarmknopf? Der Druck von hinten wurde stärker und unterbrach Joshs Gedankenchaos.

„Lass das Licht aus und rein da!“

„Okay, okay, ich mache ja, was Sie sagen!“ Josh hatte diesen Satz im Traum schon oft gesagt und war froh, dass er deswegen jetzt förmlich aus ihm herausschoss.

Sie waren zu zweit, so viel hatte Josh gesehen, und sie waren nicht richtig maskiert. Nur eine Augenmaske, wie man sie auf venezianischen Bällen trug. Was für ein Leichtsinn. Wie dumm konnte man sein? Und wieso siezte er die Diebe?

„Geh nach hinten bis an die Treppe!“, befahl der Mann, und Josh gehorchte. Die andere Person sagte nichts.

Joshs Körper spielte mit. Gut! Der Teppich unter seinen Füßen war weich und nahm jedes Geräusch auf. Vorbei an der neuen Tiffany T-Collection, von der es hieß, dass New York sie entworfen habe, weiter zur 1837er-Sammlung zur Linken, dann die Brillantohrringe zur Rechten. Bei dem bloßen Gedanken an den Preis von über achtzigtausend Dollar pro Paar wurde Josh schlecht. Man konnte nicht wissen, ob sich diese Leute nicht doch anders entscheiden würden. Schließlich lagen ihnen die teuersten Schmuckstücke zu Füßen. Ohne ein einziges Stück aus dem Laden zu spazieren, wäre idiotisch.

Mittlerweile stand er mit dem Rücken an der Treppe und presste die Beine gegen die untere Stufe. Er versuchte, alles im Blick zu haben. Vor allem die beiden.

„Bleib stehen und entspann dich. Wir erklären dir jetzt, warum wir hier sind.“

Josh konnte den Mann erkennen. Er war klein und untersetzt. Zu dick, wie viele New Yorker. Seine Stimme klang jung, doch sein schwammiges, rundes Gesicht, das mit einer Hundemaske bedeckt war, ließ ihn älter wirken und irgendwie dümmlich. Die Frau, die Josh nun wahrnahm, war dünner. Soviel war zu erkennen. Und hässlich erschien sie im Dunkeln nicht. Im Gegenteil. Mit ihrer Pfauenmaske wirkte sie sogar interessant, soweit man in einer solchen Situation das Äußere mitbewerten konnte. Josh war ohnehin überrascht, welche Gedanken ihm durch den Kopf schossen und wie gelassen er reagierte. Jedenfalls abgesehen von seinem Herz, das den Fluchtmodus aktiviert hatte und raste wie wild. Aber wahrscheinlich war es nicht die Gelassenheit, sondern pures Adrenalin, das ihn zur extremen Kontrolle zwang.

„Sie müssen sich nicht fürchten, Mister …?“

„Degenhardt“, antwortete er der Frau, die endlich auch angefangen hatte, zu sprechen.

„Wir haben nicht vor, Ihnen irgendetwas zu tun. Wir wollen auch nichts stehlen.“

Stille trat ein.

Josh wartete. Hatte er das gerade richtig verstanden? Sie wollten nichts stehlen? Aber was dann? Sie waren doch nicht etwa pervers oder scharf auf ein YouTube-Video, das viele Klicks brachte?

„Nein?“, wagte er nach einer Weile zu fragen.

„Nein!“, antwortete die Frau. „Wir sind nur Shop-Catcher.“ Die Stimme der Frau änderte sich. Sie wirkte plötzlich fröhlicher.

„Shop-Catching!“ Josh hatte über den neuen Hype vieles gelesen und wusste, dass Tiffany & Co. ganz oben auf der Liste stand. Aber davon zu lesen war etwas anderes, als es am eigenen Leib zu erfahren. Außerdem war er immer der Meinung gewesen, niemand würde sich trauen, Tiffany & Co. tatsächlich zu catchen, und schon gar nicht die Filiale auf der Wall Street.

„Wir wollen und werden dieses Geschäft für eine Nacht gefangen nehmen. Das heißt, dass wir hierbleiben und einfach mal alles machen dürfen, was wir wollen. Wir versprechen aber, nichts zu zerstören und nichts zu beschädigen.“

„Nichts zerstören und nichts beschädigen“, wiederholte Josh die letzten Worte wie ein Echo.

„Genau! So läuft das beim Shop-Catching! Wissen Sie eigentlich, dass Sie ganz oben auf der Liste stehen?“

„Aber Ihnen ist doch sicher bewusst, dass Sie trotzdem unerlaubt hier eingedrungen sind und mich festhalten. Das heißt, Sie werden bestraft. Die Kameras laufen schließlich mit.“ Josh wunderte sich selbst über seinen Mut, die beiden Shopnapper auf die Straftat und ihre Konsequenzen aufmerksam zu machen.

„Das interessiert uns nicht. Das werden wir schon richten.“ Der Mann hatte sich wieder zu Wort gemeldet und klang entschlossen. Auch, weil er gleichzeitig einen Schritt nach vorne auf Josh zutrat, der eine Stufe nach oben auswich.

Leichter Schweißgeruch wehte Josh entgegen. Igitt!, dachte er angewidert. Und den soll ich jetzt eine ganze Nacht aushalten?

Winternacht bei Tiffany

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