Читать книгу Verjüngung ist möglich - Nina Ruge - Страница 26
METHYLIERUNG ALS START-STOPP-MECHANISMUS
ОглавлениеJe älter wir sind, desto weniger Stoppschilder finden wir auf unserer DNA. Immer mehr Genabschnitte werden abgelesen und Proteine produziert, die eventuell gar nicht benötigt werden und manch Ungutes bewirken können, wie zum Beispiel Entzündungen.
Nehmen wir zwei Beispiele aus der Ernährung: Brokkoli und grüner Tee. Die Epigenetikerin Prof. ISABELLE MANSUY an der Eidgenössischen Technischen Hochschule Zürich bezeichnet beide als »Methyl-Donoren«. Sie könnten also einer Verringerung von Methylierungen entgegenwirken und stehen im positiven Verdacht, Alterungsprozesse zu verlangsamen. Jetzt fragen Sie vermutlich: Kann ich die epigenetische Uhr denn schon selber nutzen? STEVE HORVATH hat seine Studie erst 2013 publiziert – das Ganze ist demnach ziemlich frisch! Doch die epigenetische Uhr, sie tickt bereits und findet immer mehr Anwender außerhalb der Wissenschaft. In Deutschland brachte die Firma cerascreen 2018 den Genetic Age Test auf den Markt, ein weiteres Unternehmen, epiAge, folgte mit dem gleichnamigen Test Anfang 2021. Während der Genetic Age Test auf die Zusammenarbeit mit dem Fraunhofer-Institut baut, wurde der epiAge-Test zusammen mit dem Epigenetiker Prof. MOSHE SZYF von der McGill University Montreal entwickelt. Da dies die neuesten Ansätze sind, habe ich mit dem Geschäftsführer von epiAge Deutschland, MARTIN A. BERLET, gesprochen, um herauszufinden, was diese »Uhr« auf dem Ziffernblatt der Langlebigkeit anzeigen kann – und was nicht.
Martin A. Berlet, wie genau ist denn Ihre epigenetische Uhr im Vergleich zur Horvath-Uhr? Wie viele CpG-Inseln messen Sie in den Zellen der Speichelprobe?
Ich darf hier den Entwickler der Uhr zitieren, Professor Moshe Szyf: »epiAge verwendet 13 CpG-Inseln aus einer Region, die unter 450.000 untersuchten Inseln die höchste Korrelation mit dem chronologischen Alter aufweist. Ein direkter Vergleich mit den für die Horvath-Uhr verwendeten Inseln zeigte ähnliche Korrelationen. Durch das Reduzieren der Anzahl der zu untersuchenden Inseln haben wir weniger Störeffekte bei der Analyse. Sie werden vielleicht überrascht sein, wenn Sie lesen, dass die Horvath-Uhr 353 CpG-Inseln auswertet – und das Fraunhofer-Institut mit dem Genetic Age Test rund 70. Der Fokus auf eine kleinere Gruppe hochspezifischer CpG-Inseln vereinfacht die Analyse bei geringer Fehlerrate – und die Kosten sinken.«
Wie wende ich die Uhr denn nun praktisch an? Habe ich das richtig verstanden, dass Sie sie als eine Art Teststreifen sehen, mit dem ich checken kann, ob mich bestimmte Änderungen in meinem Lebensstil, Nahrungsergänzungsmittel oder Medikamente tatsächlich verjüngen? Die Uhr müsste ich also mehrfach anwenden, damit sie aussagekräftig wird, oder?
Ein erster Test gibt Ihnen Auskunft über den aktuellen Status quo ihres epigenetischen Alters. Das ist auf jeden Fall ein emotionaler Moment: Stellen Sie beispielsweise fest, schneller gealtert zu sein als der Durchschnitt, werden Sie sich sicherlich ernsthafte Gedanken darüber machen, wie Sie dem in Zukunft entgegenwirken können. In jedem Fall ein guter Ansporn, den eigenen Lebensstil infrage zu stellen! Wenn Ihr Ergebnis jünger ausfällt, scheinen Sie etwas richtig zu machen. Viele Menschen versuchen, sich durch Fitness und Diäten dauerhaft gesund zu halten, aber diese Gewohnheiten sind noch kein Garant für ein gesundes langes Leben. Denn es gibt auch andere schwerwiegende Faktoren, die unser Altern beeinflussen und sich nicht auf einer Waage ablesen lassen wie zum Beispiel Stress oder Krankheit.
Angenommen, Sie messen Ihr biologisches Alter, nehmen dann für einen Zeitraum von, sagen wir, einem halben Jahr Metformin ein oder Resveratrol oder Kurkuma (Anmerkung: zu all diesen Wirkstoffen später mehr) – und messen schließlich wieder.
Wenn Sie die biologische Uhr verlangsamen oder gar zurückdrehen konnten, dann haben Sie ein starkes Indiz dafür, dass Ihre Maßnahmen tatsächlich Wirkung zeigen. Das gleiche Prinzip gilt beispielsweise auch für Lifestyleänderungen wie regelmäßige Meditation oder eine Ernährungsumstellung.
Hier bin ich natürlich neugierig geworden: Mein biologisches Alter erfahren – ganz einfach per Spucke und per Post? Da bin ich mit dabei. Selbst mit der im Hinterkopf pochenden kritischen Frage: Wird sich dein konsequent gesunder Lebensstil auch wirklich auf deine epigenetische Uhr niederschlagen, indem sie deutlich langsamer tickt als die an deinem Handgelenk? Was für ein Frust, wenn deine DNA und ihre Methylierungen das Muster einer »durchschnittlichen« 64-Jährigen zeigen – oder vielleicht einer noch älteren? Außerdem: Sehr entspannt habe ich all die Jahre ja nicht wirklich gelebt. Stress ist ein treuer Begleiter, selbst wenn er meistens positiv ist … Aber Stress macht nun mal alt. Okay. Also zunächst eine halbe Stunde weder etwas essen noch trinken, um das Ergebnis nicht zu verfälschen. Dann sanft, aber reichlich ins Röhrchen gespuckt und geschüttelt, weil die Konservierungsflüssigkeit ihren Job tun soll. Ins Tütchen packen, ab in die Post – und warten … Bei mir hat’s immerhin zwei Monate gebraucht, bis die E-Mail kam: »Die Laboranalyse Ihrer Probe ist abgeschlossen und Ihr Testergebnis ist zum Abruf bereit.« Gut. Code eingeben, tief durchatmen und: »TESTAUSWERTUNG – Ihr biologisches Alter in Jahren: 57,53.« Immerhin! Wenn wir hier schon mit Stellen hinter dem Komma jonglieren: Chronologisch war ich zum Zeitpunkt der Probe 64,3 Jahre alt. Biologisch also 6,77 Jahre jünger! Das gefällt mir dann doch. Kleine Einschränkung allerdings: Bei der ersten Messung muss man eine statistische Ungenauigkeit von +/– 2,8 Jahren akzeptieren. Das heißt, mein biologisches Alter könnte maximal bei 60,33 Jahren oder minimal bei 54,73 Jahren liegen. Würde man aber einen weiteren Test machen, um die Wirkung bestimmter Änderungen des Lebensstils und/oder von Nahrungsergänzungsmitteln zu messen, fällt die statistische Abweichung deutlich geringer aus.
Sie kennen Ihr biologisches Alter natürlich, Sie haben den Test sicher schon mehrfach gemacht.
Das habe ich in der Tat, und mein biologisches Alter liegt auch ein paar Jahre unter meinem chronologischen. Das ist aber auch nicht ungewöhnlich, wie wir aus der Beta-Testphase wissen. Das konnten wir bei einigen Personen feststellen. Interessant wird dann das Monitoring mit einem Folgetest.
Haben Sie denn damit auch ein Präparat getestet – ob es tatsächlich wirkt?
Ja, aber es war nicht nur ein Präparat, sondern eher eine Kombination, bei der auch Sulforaphan (Anmerkung: ein Wirkstoff des Brokkoli) eine Rolle spielt. Bei meiner Frau konnten wir schon signifikante Effekte beobachten. Nach einem späteren Test zeigte ihre epigenetische Uhr binnen zwei Monaten eine Verjüngung von 2,72 Jahren. Das ist natürlich kein wissenschaftlicher Beweis, sondern anekdotisch zu sehen. Genau wie ein umgekehrter Fall, bei dem innerhalb weniger Monate ein Proband eine erhebliche epigenetische Beschleunigung seiner biologischen Uhr feststellen musste. So können auch Stress und Krankheiten Einfluss nehmen. Grundsätzlich können und dürfen wir mit dem Test aber keine medizinischen Aussagen treffen. Wir können den Menschen jedoch einen Anstoß geben, über ihre Gesundheit nachzudenken oder sich Rat bei einem Arzt zu holen.
Könnte denn Sulforaphan geradezu ein Turbo der Verjüngung sein? Und könnte man den Verjüngungseffekt tatsächlich messen? Brokkoli – das dunkelgrüne Gemüse – ist ja schon vor Längerem zu einem Superstar in der gesunden Ernährung geworden. Beenden wir hier also das Gespräch mit MARTIN A. BERLET – und studieren Sulforaphan!