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WAS HAT ES MIT DER MITTELMEER-DIÄT AUF SICH?

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Dann beginnen wir doch am besten mit dem Experten, der an den Grundpfeilern des bisher Empfohlenen rüttelt, und das ist VALTER LONGO, Professor für Gerontologie und Biowissenschaften an der University of Southern California. Er hat 2018 mit seinem Buch Iss dich jung: Wissenschaftlich erprobte Ernährung für ein gesundes und langes Leben – die Longevità-Diät einen internationalen Bestseller gelandet. Und er ist der Meinung, dass wir gemeinhin die Bedeutung der Ernährung für gesundes Altern massiv unterschätzen, denn er sagt: »Ernährung wird wahrscheinlich eines der wichtigsten Dinge in den nächsten 20 beziehungsweise 30 Jahren sein, der wichtigste Faktor für die menschliche Gesundheit.« Die Fülle an Diättrends und sich widersprechenden Empfehlungen, unzulässige Vereinfachungen würden die Menschen allerdings verwirren. Low Carb, High Carb – das seien von Medien gesteuerte Moden. Täglich würden uns Ernährungstipps zu Lebensmitteln fluten, die wenig oder viel Kohlenhydrate enthalten oder die einen geringen oder hohen Fettgehalt aufweisen. Das sei aber überhaupt nicht der springende Punkt für eine Longevity-Ernährung. Es komme vor allem darauf an, welche Fette wir essen oder welche Kohlenhydrate. Und deshalb lohne es sich, die Ernährung der Menschen in den Blue Zones genau anzuschauen, also die Orte, an denen überdurchschnittlich viele Personen über hundert Jahre alt werden: Okinawa (Japan), Ogliastra auf Sardinien (Italien), die Nicoya-Halbinsel (Costa Rica), Ikaria (Griechenland) und eine Adventistengemeinde in Kalifornien gehören dazu.

Welche Schlüsse konnte VALTER LONGO aus der Ernährung dieser Menschen ziehen, die immerhin auf verschiedenen Kontinenten leben – offenbar alle nicht in Industrie- und Überflussgesellschaften? Beginnen wir mit der Menge an Proteinen, die wir täglich zu uns nehmen sollten. Da staunen manche, denn LONGO ist kein Freund proteinreicher Ernährung. 18 Jahre lang hatten er und sein Team für eine epidemiologische Studie über Proteine Tausende Menschen beobachtet. Die eine Gruppe hatte viel eiweißreiche Nahrung gegessen, die andere nicht.

Das Ergebnis: Menschen unter 65 Jahren entwickelten deutlich weniger Krebserkrankungen, wenn sie wenig Proteine aßen, als solche, die viel Eiweiß zu sich nahmen. Ab dem 65. Lebensjahr kehrte sich dieser Effekt dann allerdings um. Nun sank das Risiko, an Krebs zu erkranken. Zudem haben etliche Studien zu Low-Carb-Diäten, in denen auf Kohlenhydrate (auf Englisch »carbohydrates«) weitgehend verzichtet und Eiweiß- und Fetthaltiges verzehrt wird (ketogene Diäten), gezeigt, dass sie »äußerst gesundheitsschädlich« seien. Langlebigkeitsrekorde der Blue Zones hätten mit solchen Diäten nichts zu tun.

Also, was sollten wir uns nun vom Speiseplan der gesunden Hundertjährigen in den Blue Zones abschauen? In VALTER LONGOs Longevità-Diät fließt seine Forschungstätigkeit von über immerhin 30 Jahren mit ein:

 Die Basis Ihrer Ernährung sollte pflanzlich sein: Gemüse, Hülsenfrüchte, Obst.

 Auch die Proteinzufuhr sollte vor allem aus Pflanzen stammen, aus Hülsenfrüchten zum Beispiel. Fisch ist zwei-, dreimal pro Woche aber ebenfalls okay.

 0,7 bis 0,8 Gramm Eiweiß pro Kilogramm Körpergewicht pro Tag reichen aus. Wiegen Sie beispielsweise 60 Kilogramm, dann wären das ungefähr 42 Gramm Eiweiß. (Nicht ganz einfach, das Proteingewicht aus unseren Hülsenfrüchten zu bestimmen, stimmt’s?)

 Zu wenig Proteine zu sich zu nehmen, ist allerdings genauso schädlich wie zu viele.

 Ein Großteil der Proteine sollte mit einer Mahlzeit aufgenommen werden, um die Proteinsynthese der Muskelzellen stimulieren zu können.

 Wer älter als 65 ist, braucht mehr Proteine – sprich Eier, Milch oder Käse –, was für jüngere Menschen hingegen weniger zu empfehlen ist.

 Vermeiden Sie gesättigte Fette (zum Beispiel Fleisch, Schmalz, Milch, Kokosfett, Palmöl), gehärtete Fette (wie etwa Margarine, Frittierfett, Kekse, abgepackte Kuchen), zuckerhaltige Lebensmittel wie Weißmehl und Nudeln (diese enthalten viele Kohlenhydrate, die schnell in Zucker umgewandelt werden), Kuchen beziehungsweise Fruchtsäfte.

 Komplexe Kohlenhydrate dürfen es aber in Mengen sein. Vollkornprodukte und komplexe pflanzliche Kohlenhydrate aus Gemüsen (nicht unbedingt aus süßen Früchten) passen hier wunderbar.

 In Zukunft wird die Ernährung stark personalisiert sein. Sie wird auf dem biologischen – also epigenetischen – Alter basieren und auch auf Faktoren des Mikrobioms (die milliardenfache Besiedlung unseres Darms von verschiedensten Bakterien) abgestimmt sein.

 Weichen Sie in Ihrer Ernährung nicht zu stark von der Kultur Ihrer Vorfahren ab. Die epigenetische Vererbung könnte Europäern beispielsweise Probleme mit völlig Unbekanntem wie Quinoa oder Kurkuma (ursprünglich aus Südamerika beziehungsweise Südasien stammend) bereiten.

 Essen Sie – wenn Sie Ihr Gewicht halten wollen – nur zweimal pro Tag plus einen kleinen, möglichst zuckerfreien Snack. Das Märchen von den fünf kleinen Mahlzeiten pro Tag steht längst im Schrank als alte Kamellen.

 Beschränken Sie die Zeitspanne, innerhalb der Sie essen, möglichst auf zehn Stunden.

 Machen Sie mehrmals im Jahr eine Scheinfasten-Diät (auf Englisch »Fasting Mimicking Diet«, FMD) für vier bis fünf Tage. Sie enthält Kohlenhydrate, man gerät nicht in den Sparmodus, nimmt ab und hat stärkere Langlebigkeitseffekte als bei jeder klassischen Fastenkur (Rezepte zu VALTER LONGOs FMD finden Sie problemlos im Internet).

Interessant, dachte ich mir. VALTER LONGO ist in Süditalien aufgewachsen, da könnte es doch auch sein – trotz aller unabhängiger wissenschaftlicher Expertise –, dass er einige Elemente der Mittelmeer-Diät in seine FMD aufgenommen hat! Das Thema elektrisiert ihn nämlich geradezu: »Ich denke, dass der Begriff ›mediterrane Diät‹ etwas ist, das der Welt unglaublichen Schaden zugefügt hat. Ich denke, das hat wirklich zu der Übergewichtsepidemie beigetragen und den vielen Problemen, die wir heute sehen. Den Leuten, die tatsächlich der klassischen mediterranen Ernährung folgen, geht es gut. Das ist keine Super-Diät, und wenn man sich die Effekte etwas genauer anschaut, dann haben sie 6 bis 13 Prozent weniger Krankheitsrisiko. Aber kaum einer richtet sich nach der klassischen mediterranen Diät, noch nicht mal die Menschen in Italien. Ich denke, es sind nur fünf bis zehn Prozent, 60 Prozent glauben nur, dass sie es tun.«

Moment mal, da müssen wir natürlich kurz mal klären: Was ist das denn genau, die »klassische mediterrane Diät«? VALTER LONGO führt uns hier ein: »Das klassisch italienische ›Restgericht‹ Pizza war früher eine gute Mahlzeit mit hohem, aber gesundem Nährwert.« Und ist damit eigentlich als ein Blockbuster der mediterranen Diät anzusehen, oder? Denn die typisch italienische Pizza stammt aus Neapel und war ursprünglich ein Armeleuteessen aus Hefeteig, das mit Olivenöl beträufelt und mit Tomaten, Basilikum sowie manchmal – aber wirklich nur manchmal – mit Mozzarella belegt wurde.

Dazu der Kommentar von VALTER LONGO: »Überzuckerte Tomatensoße, fetter Käse, stark verarbeitetes Fleisch und Weißmehlteig sind eine tödliche Kombination für den Stoffwechsel. Dieses Gericht ist das perfekte Beispiel, wie im Laufe der Jahrzehnte aus einem eigentlich gesunden Essen – wenig Kohlenhydrate, viel Gemüse – ein total ungesundes wurde.« LONGO selbst hatte sich nach dem Studium in den USA mithilfe von Cola und Chicago-Style-Pizza ins Übergewicht gefuttert, kämpfte mit Bluthochdruck und enormen Cholesterinwerten. Das ist natürlich längst Geschichte.


Pizza Margherita (links): ein Blockbuster der klassischen mediterranen Diät. Und daneben etwas ganz anderes: eine moderne Chicago-Style-Pizza aus den USA.

Unfassbare 950 Millionen Tiefkühlpizzen essen die Deutschen pro Jahr, die beliebteste: Salamipizza. Die bringt es auf rund 900 Kilokalorien, zehn Gramm Zucker und fünf bis sechs Gramm Salz. Der Fettgehalt deckt 65 Prozent des Tagesbedarfs, der Anteil gesättigter Fettsäuren ist enorm hoch.

Verjüngung ist möglich

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