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Eine interessante Dreiecksbeziehung: KOHLENHYDRATE, EIWEISS und FETT

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Mit der Frage nach den Makronährstoffen mache ich jetzt ein großes Fass auf – weil die Expertenmeinungen hier deutlich auseinandergehen. Also versuche ich, besten Wissens und Gewissens das herauszufiltern, was für Ihre Meinungsbildung wesentlich sein könnte, werte Leserinnen und Leser. Hier nun die drei namhaftesten Experten zum Thema. Lassen wir als Erstes noch einmal HANS HAUNER zu Wort kommen, der nicht nur Ernährungsmediziner an der TU München ist, sondern auch im Präsidium der Deutschen Gesellschaft für Ernährung sitzt, die Empfehlungen und Leitlinien für unsere Ernährung herausgibt, so auch den DGE-Ernährungskreis – Wegweiser für eine vollwertige Ernährung.

Von ihm wollte ich wissen, was nach den neuesten Studien optimal ist. Low Carb gilt derzeit – zumindest in den Bevölkerungskreisen, die ernährungsbewusst leben – gewissermaßen als Dogma. HAUNER, also die DGE, plädieren für 25 bis 30 Prozent Mindestgehalt an Kohlenhydraten in unserer Nahrung: »Was die Deutschen essen in ihrer normalen Kost, da kommen wir durchaus so etwa auf 45 bis 50 Prozent aus Kohlenhydraten. Frauen liegen ein bisschen höher als Männer. Das zeigen die letzten Studien. Das Problem ist hier die Qualität der Kohlenhydrate, Thema Zucker. 20 Prozent des Kohlenhydratkonsums entfallen auf Zucker, der schnell in die Blutbahn geht und einen gewissen Stress für den Stoffwechsel darstellt. Günstig wären natürlich die langsam resorbierbaren Kohlenhydrate (Anmerkung: zum Beispiel die in Gemüse, Hülsenfrüchten, vollem Korn), so wie unsere Vorfahren sie gegessen haben. Viele Organe brauchen Kohlenhydrate, auch die Muskulatur. Im Normalzustand benötigt das Gehirn ungefähr 20 Prozent des täglichen Energieverbrauchs und verbrennt ausschließlich Glukose. Deshalb empfehle ich: 25 bis 30 Prozent sollte der Mindestgehalt an Kohlenhydraten unserer Nahrung sein.«


Der DGE-Ernährungskreis zeigt an, wie unsere Nahrung idealerweise zusammengesetzt sein sollte: 1) Getreide, Getreideprodukte und Kartoffeln: 30 Prozent; 2) Gemüse: 26 Prozent; 3) Obst: 17 Prozent; 4) Milch und Milchprodukte: 18 Prozent; 5) Fleisch, Wurst, Fisch und Eier: 7 Prozent; 6) Öle und Fette: 2 Prozent; 7) Getränke

VALTER LONGO geht hier sogar noch weiter: »Laut einer Meta-Analyse im Lancet ist es besser, eine 80-prozentige Kohlenhydratdiät zu haben als eine 40-prozentige Low-Carb-Diät. Das Beste ist 60 Prozent.«

Wir können allerdings seinen Diätplänen und aus seinen Angaben, wie LONGO sich persönlich ernährt, Folgendes entnehmen: Langkettige Kohlenhydrate aus Gemüse und Obst bilden die Basis der empfohlenen Ernährung. Nudeln, Brot, Reis werden sehr zurückhaltend dosiert und ausschließlich als Vollkornprodukte verwendet. Auch Proteine gehören nur in geringen Mengen in seine Ernährungsempfehlungen, wie wir sahen (> ), zumindest bei den unter 65-Jährigen. Die von der DGE empfohlene Summe an Eiweißen macht dagegen immerhin 25 Prozent des Ernährungskreises aus (siehe Abbildung oben) und dürfte damit deutlich oberhalb der 0,8 Gramm Protein pro Kilogramm Körpergewicht liegen, die LONGO empfiehlt. Zudem rät er, im Gegensatz zur DGE, nur wenig Milchprodukte zu essen.

MARTIN SMOLLICH meint dazu: »Proteine haben ernährungsmedizinisch einen superguten Ruf: ›Fett ist schlecht, Zucker ist schlecht, aber Protein ist gut.‹ Wenn man sich aber insgesamt den Proteinkonsum anschaut in der Bevölkerung, dann haben wir in Deutschland keinen Proteinmangel, sondern wir haben eigentlich viel zu viel Protein. Die DGE empfiehlt ja zwei bis drei Portionen Seefisch pro Woche. Wenn alle Deutschen das machen würden, gäbe es bald keinen Seefisch mehr. Das ist allein ökologisch gesehen Unsinn. Auch Geflügel und Fleisch braucht bei uns niemand für eine gesundheitsförderliche Ernährung. Und Milch ist ja total überschätzt bezüglich der Gesundheitsvorteile. Das ist eher eine Marketinggeschichte, dass Milch gut sei für die Knochen, stark mache und gesund. Dahinter stehen natürlich einflussreiche Lobbyinteressen. Historisch gesehen gab es früher natürlich auch gesundheitliche Gründe für Dinge wie subventionierte, gezuckerte Schulmilch: In den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg waren viele Kinder untergewichtig und mangelernährt – da lieferte Milch wertvolles Eiweiß und wichtige Energie. Heutzutage haben wir in unserer westlichen Ernährung von beidem zu viel, nicht zu wenig. Auch die Behauptung, ein hoher Milchkonsum im Erwachsenenalter sei gut für starke Knochen, stammt eher aus den Marketingabteilungen: Beispielsweise ist die Prävalenz von Osteoporose und Knochenbrüchen im Alter in asiatischen Ländern, wo nur sehr wenig Milch konsumiert wird, deutlich geringer als bei uns. Für eine gute Knochengesundheit ist Milch also überhaupt nicht zwingend erforderlich.

Funfact nebenbei: Entgegen den Jahrzehnte währenden Empfehlungen wissen wir heute sehr gut, dass fettreduzierte Milch zur Vermeidung von Übergewicht nicht vorteilhafter ist als Vollfettmilch. Wenn Sie niemand sind, der Milch literweise trinkt, sondern sie allenfalls für den Kaffee und das morgendliche Müsli nutzt, dann gibt es überhaupt keinen ernährungsmedizinischen Grund, statt Vollmilch die fettreduzierte Variante zu wählen.«

Und was sagt MARTIN SMOLLICH weiter zu den Kohlenhydraten in unserer Nahrung? »In Deutschland bedeutet ja ›Low Carb‹, das Brot wegzulassen. Dann haben die Menschen die ganzen unlöslichen Ballaststoffe nicht mehr. Die müssten sie sich schließlich über Erbsen, Bohnen, Linsen und Gemüse holen. Das bekommen sehr viele Menschen leider nicht ohne Weiteres hin. Weil für die meisten Menschen eine brotarme Ernährung gleichbedeutend ist mit einer ballaststoffarmen Ernährung, bilden Getreideprodukte auch nach wie vor die Grundlage vieler Ernährungsempfehlungen. Ich persönlich esse Brot wie ein Genusslebensmittel – also relativ selten. Das halten übrigens viele Ernährungsmediziner und Ernährungsmedizinerinnen so. Allerdings ist die Kommunikation dieses Themas in einem ›Brotland‹ wie Deutschland nicht ganz einfach.«

Fassen wir unsere ganzen Informationen im Folgenden noch einmal zusammen:

 Low Carb? Das scheint Sinn zu machen, es muss aber sichergestellt sein, dass wir bei Verzicht auf Brot, Nudeln und Reis Ballaststoffe in anderer Form zu uns nehmen. Vollkornvarianten sind maßvoll willkommen.

 Fette? Die sind grundsätzlich zu reduzieren, und wenn wir Fett zu uns nehmen, dann sollten es möglichst ungesättigte Fettsäuren sein. Entscheidend ist nun mal eine hypokalorische (energiearme) Ernährung, falls wir gesund altern wollen. Fettreduktion ist ein effizienter Weg dorthin. Dazu gleich noch mehr, wenn es ums Fasten und Scheinfasten geht.

 Proteine? Unbedingt in Maßen zu sich nehmen – das gilt besonders für Milchprodukte und Fleisch (Geflügel möglichst auch nicht, da bin ich natürlich voreingenommen, weil Tierschützerin). Selbst Fisch muss meines Erachtens nicht sein – wir lassen sie doch besser leben, in den Seen und Meeren! Entscheidend ist hier jedenfalls, auf qualitativ hochwertigen Ersatz durch Pflanzenproteine zu achten.

Klar, hier spricht die Vegetarierin und Tierschützerin, aber eine Vielzahl an Ernährungsmedizinern stimmt mir zu – auch MARTIN SMOLLICH: »Neueste Studien zeigen auch: Das ›richtige‹ pflanzliche Protein ist so viel gesünder als tierisches Protein – vor allem für Ihr Herz. Möchten Sie beispielsweise Ihren Fleischkonsum reduzieren und ersetzen das Fleisch durch Kohlenhydrate aus Brot, Nudeln oder Kartoffeln, dann hat das kaum einen Vorteil für die Herzgesundheit. Ersetzen Sie das Fleisch dagegen zumindest teilweise durch hochwertiges pflanzliches Eiweiß aus Hülsenfrüchten (Erbsen, Bohnen, Linsen, Kichererbsen, Soja) und Nüssen (Walnüsse, Mandeln), sinkt Ihr Herz-Kreislauf-Risiko und Ihre Blutfette verbessern sich deutlich.«

So, und jetzt sollten wir uns noch eine viel diskutierte Studie aus dem Jahr 2015 anschauen. Die hat nämlich sämtliche Ernährungskreise ins Rotieren und Ernährungspyramiden ins Wanken gebracht. Die Studie deckte auf, wie unterschiedlich wir auf Nahrungsmittel reagieren. Prof. ERAN SEGAL und Prof. ERAN ELINAV vom Weizmann Institute of Science in Israel kamen in ihrem Big-Data-gestützten Versuch zu einem erstaunlichen Ergebnis. Eine Woche lang sammelten die Forscher die Blutzuckerwerte (im Fünfminutentakt) sowie Gesundheitsdaten und Stuhlproben von 800 Studienteilnehmern. Die Probanden mussten dazu akribisch notieren, was sie aßen. Am Ende der Studie hatten die Wissenschaftler 1,5 Millionen Glukosewerte zur Auswertung – und die Ergebnisse sorgten für Furore. Die Probanden reagierten nämlich überraschend verschieden auf Kohlenhydrate aus der Nahrung. Der eine hatte einen steilen Blutzuckeranstieg nach Vollkornbrot (was »eigentlich« nicht sein sollte), die andere hatte keinen Anstieg nach Weißbrot (was ebenfalls nicht der Lehrmeinung entspricht). Auch die Reaktionen auf Fett und Salz waren sehr verschieden. »Manche Menschen, die meinten, sich sehr gesund zu ernähren, reagierten sogar auf Tomaten mit einem Zuckerhoch im Blut«, stellten die Forscher fest.

Der Blutzucker wurde als Messgröße gewählt, weil dessen Anstieg für etliche der Alterskrankheiten, zum Beispiel Diabetes oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen, mitbestimmend ist. Die Vermutung: Das Mikrobiom, die Darmflora, unterscheidet sich von Mensch zu Mensch so stark – durch kulturelle Ernährungsgewohnheiten, Medikamenteneinnahme, Stress und weitere Faktoren –, dass die Resorption (Aufnahme von Nahrungsbestanteilen aus dem Darm) eine völlig andere ist. Die Forscher entwickelten nun aus den Daten für hundert der Studienteilnehmer personalisierte Ernährungsvorschläge. Das Ergebnis: Die Blutzuckerwerte verbesserten sich, das Mikrobiom stabilisierte sich.

Die Kollegen von MARTIN SMOLLICH am Institut für Ernährungsmedizin der Uni Lübeck regten diese Studienergebnisse zu einer Start-up-Ausgründung an, die exakt auf dieser Basis personalisierte Ernährung ermöglichen will. Für die Universität liefert das Start-up wichtige Forschungsdaten. Das erste Testset, das bereits in Deutschland erhältlich ist, heißt »Million Friends«. Der Name spielt natürlich auf die gigantische Schar (hoffentlich) freundlicher Bakterien in unserem Darm an … Der Test läuft ganz ähnlich wie die Studie des Weizmann Institute of Science: Man klebt mithilfe einer kleinen Apparatur einen Sensor an den Oberarm (per Mininadel wird dabei ein kleiner Messfaden unter die Haut gedrückt), aktiviert ein Auslesegerät für den Sensor und gibt per App minutiös ein, was man am Tag gegessen hat, aber auch Zeit und Art sportlicher Aktivität. Das Gerät misst während der zweiwöchigen Testphase die Veränderung der Glukosewerte, also die Stoffwechselreaktion auf Mahlzeiten, Getränke und Sport. Dazu kommt ein Stuhltest für die Analyse des Mikrobioms.

Nach Ablauf der Testphase werden die gesamten Daten ausgewertet und aus dem Ergebnis konkrete Hinweise für eine personalisierte Ernährung abgeleitet. Ein erster Ansatz digitalisierter und personalisierter Ernährungsberatung! Denn wie gravierend unterschiedlich die individuellen Stoffwechselreaktionen ausfallen können, hat Prof. HANS HAUNER, Direktor des Else Kröner-Fresenius-Zentrums für Ernährungsmedizin der TU München, in einem kleinen Test an seinem Institut beobachtet: »Wir haben eine Studie gemacht, bei 15 jungen Studenten. Sie waren alle sportlich, keiner übergewichtig. Die haben wir erst einmal 36 Stunden lang fasten lassen, und da ging es schon mal los: Normalerweise schaltet der Körper seinen Stoffwechsel beim Fasten relativ schnell auf Fettverbrennung um, weil wir in der Leber nur einen begrenzten Glykogenspeicher haben, und das Gehirn braucht Glykogen. Das sieht man beim Fasten im Blut, dann steigen die Fettsäuren an und die Ketonkörper (Anmerkung: Das ist der Ersatzbrennstoff für den Körper, der aus der Fettverbrennung entsteht). Wir haben das rund um die Uhr alle zwei bis vier Stunden gemessen und uns dann wirklich gewundert: Bei einigen Studenten sind die Fettsäuren und Ketonkörper tatsächlich massiv angestiegen – aber es waren auch einige dabei, bei denen ist nichts passiert! Die hatten keine Fettverbrennung! Wir haben dann weitergemacht, haben sie weiter fasten lassen, Fahrrad fahren lassen – und die Stoffwechselantwort der Testpersonen war sehr variabel.«

Lassen Sie am Ende dieses Abschnitts eines noch mal hervorheben. Sämtliche Ernährungsmediziner sind sich darin einig: Weniger ist mehr. Kalorienreduktion dürfte schlichtweg der Steuermann sein, wenn wir mithilfe von optimaler Ernährung in den Hafen gesunder Langlebigkeit segeln wollen. Genau darum soll es nun im Folgenden gehen: um das Weniger – das Fasten, das Intervallfasten und das Scheinfasten. Beginnen wir mit Letzterem. VALTER LONGO hat sich hier klar positioniert: »Ich würde sagen, dass Fasten als Begriff aus dem Wörterbuch der Ärzte und Menschen gestrichen werden muss, denn es bringt nichts. Die Zukunft liegt in spezifischen Fastenregimen und besonders im Scheinfasten (FDM, Fasten Mimicking Diet). Das ist ideal.«

Dann steigen wir doch ein mit einer Art Wunderdiät, von der Presse weltweit gehypt: mit einer speziellen Rundum-sorglos-und-gemütlich-Ernährung zur Förderung der gesunden Langlebigkeit. Sie schmeckt, sie lässt – wenn man abnehmen will – als Diätversion die Pfunde purzeln und zugleich die Muskeln wachsen! Kann das sein? Was ist wirklich dran an Sirtfood?

Verjüngung ist möglich

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