Читать книгу Verjüngung ist möglich - Nina Ruge - Страница 29
Perspektive Dr. Duscher
ОглавлениеLange war die Wissenschaft der Meinung, dass in unseren Genen unser Schicksal geschrieben steht: Wie wir aussehen, an welchen Erbkrankheiten und Krankheiten wir leiden und, und, und. Doch jetzt räumt die epigenetische Forschung mit diesem absoluten Dogma auf! Neuste Studien zeigen, dass unsere Umwelt tatsächlich Einfluss auf unsere Entwicklung nimmt, und zwar nicht nur durch psychische Erfahrungen, sondern auch durch solche wie Krankheiten, Unfälle, Traumen aller Art. Wichtig zu erwähnen ist hier noch mal, dass die Epigenetik nicht nur durch die Gefühlswelt gesteuert wird. Und wir die auf diese Weise gewonnenen Eigenschaften schließlich sogar an unsere Kinder und Enkel weitergeben können.
Ist das alte, seit Darwin bekannte Evolutionsprinzip aus zufälligen Veränderungen und der anschließenden Sortierung der Umwelt aus schlechten Eigenschaften nun einfach über Bord zu werfen? Nein. Wenn eine Frau eine Veränderung (Mutation) im BRCA1- oder BRCA2-Gen trägt (den wichtigsten bisher bekannten sogenannten Brustkrebsgenen), dann ist die Entstehung eines Mammakarzinoms tatsächlich höher wahrscheinlich. Bei Verdacht auf familiären Brustkrebs kann ein Gentest Mutationen im BRCA1- und BRCA2-Gen nachweisen und eine prophylaktische Brustentfernung erwogen werden. Dies ist also ein konkretes Beispiel dafür, wie relevant die genetische Grundausstattung für unsere Gesundheit ist. Die Gene sind jedoch noch wesentlich komplexer, als lange angenommen.
Um die epigenetische Variation und das Zusammenspiel von Genom sowie Umwelt eindrucksvoll darzustellen, eignet sich eine Honigbienenkolonie hervorragend. Obwohl in der genetischen Sequenz identisch, unterscheiden sich Bienenköniginnen und Arbeiterbienen in Bezug auf Verhalten, Physiologie und Aussehen völlig. Es gibt viele phänotypische Unterschiede zwischen Bienenköniginnen und Arbeiterbienen. So können Bienenköniginnen beispielsweise an einem Tag bis zu 2000 Eier produzieren, während Arbeiterbienen unfruchtbar sind. Letztere verbringen ihre Tage damit, nach Nahrung zu suchen, Pollen zu sammeln, den Bienenstock zu pflegen und Eindringlinge abzuwehren, während Bienenköniginnen sich Nahrung liefern lassen und Eier legen, um den Bienenstock mit genügend Arbeitern zu bevölkern. Bienenköniginnen sind fünfmal größer als Arbeiterbienen. Es überrascht also nicht, dass die Lebensdauer von Bienenköniginnen in der Regel 20-mal länger ist als die von Arbeiterbienen.
Was ist für diese dramatischen Unterschiede verantwortlich? Dazu fällt mir der Satz »Du bist, was du isst« ein. Sowohl Königin- als auch Arbeiterbienenlarven werden zunächst mit Gelée royale gefüttert, das von Ammenbienen bereitgestellt wird. Die Arbeiterbienenlarven werden jedoch schnell entwöhnt und mit Nektar und Pollen gefüttert. Im krassen Gegensatz dazu werden die Bienenköniginnen während der gesamten Larvenentwicklung in Gelée royale gebadet, und selbst als Erwachsene ernähren sie sich weiterhin mit Gelée royale. Was ist also das Besondere am Gelée royale? Neuere Forschungen haben gezeigt, dass die Inhaltsstoffe von Gelée royale ein Enzym namens Cytosin-Methyltransferase hemmen können, das Cytosin-Basen in der Honigbienen-DNA methyliert. In der Tat haben Forscher durch einfaches Verringern der Expressionsniveaus dieses Enzyms in kürzlich geschlüpften Honigbienenlarven die Auswirkungen von Gelée royale nachgeahmt, was dazu führte, dass Larven, die ursprünglich dazu bestimmt waren, Arbeiterinnen zu werden, Eigenschaften von Bienenköniginnen aufwiesen. Durch den Vergleich des Niveaus der Cytosin-Methylierung und der Genexpression im gesamten Genom von Bienenköniginnen mit Arbeiterbienen haben Forscher auch potenzielle Zielgene identifiziert, deren Expression bei Bienenköniginnen (vermutlich aufgrund von durch Gelée royale vermittelten Abnahmen der Methylierung) verglichen mit Arbeiterbienen höher ist, was die Unterschiede zwischen den beiden Kasten erklären könnte.
Während Form und Funktion durch epigenetische Phänomene beim Menschen eindeutig nicht so streng bestimmt werden wie bei Honigbienen, erkennen Forscher zunehmend eine Rolle der Epigenetik für das Wachstum, die Entwicklung und die Krankheit des Menschen. Insbesondere das biologische Zellalter kann hier als epigenetisch ermittelter Marker der Zellgesundheit dienen und auch zum Monitoring von Therapien verwendet werden, wie zum Beispiel personalisierte Empfehlungen für Ernährungs- und Gesundheitsprodukte. So können Therapien maßgeschneidert und bedarfsgerecht zusammengestellt werden. Ein solches Vorgehen ermöglicht zum ersten Mal, die Entwicklung seiner (Zell-)Gesundheit zu verfolgen und den Lebensstil gezielt zu verbessern.