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Der Thymus: wichtiges Organ für die Langlebigkeit
ОглавлениеDr. GREG FAHY ist Immunologe, medizinischer Direktor und Mitgründer des biopharmazeutischen Unternehmens Intervene Immune in der Nähe von Los Angeles. Er und sein Team wollten mit ihrer Stanford-Studie im Jahr 2016/17 erforschen, wie man das Immunsystem so stimulieren kann, dass es uns bis ins höhere Alter gesund erhält. Dazu wiederum wollten sie herausfinden, wie man einen wesentlichen Dirigenten des Immunsystems fit halten kann: den Thymus. Dieses Organ ist enorm wichtig für gesunde Langlebigkeit, hat aber eine unangenehme Eigenschaft. Es beginnt früh zu verkümmern, nämlich kurz nach der Pubertät. Da seine Zellen immer mehr durch Fettzellen verdrängt werden, stellt der Thymus seine Arbeit so ungefähr um das 60. Lebensjahr ein.
Das ist sehr, sehr ungünstig, denn in diesem Winzling – und nur dort – reifen die spezialisierten T-Zellen heran, die schärfsten Waffen unseres Immunsystems. Zum Glück bleiben T-Zellen immer noch in Reserve, doch die Schlagkraft des Immunsystems lässt ab 60 deutlich nach. Damit steigt die Infektionsanfälligkeit wie auch die Anfälligkeit für Autoimmunkrankheiten.
GREG FAHY und sein Team suchten nun nach Wegen, den Thymus älterer Männer zumindest ein wenig zu regenerieren. Deshalb trägt die Studie auch den hübschen Namen TRIIM – Thymus Regeneration Immunorestoration and Insulin Mitigation. Den Thymus am Verkümmern hindern – ein hehres Ziel! Dazu verabreichten die Forscher neun gesunden Männern im Alter von 51 bis 65 Jahren ein Jahr lang als wichtigsten Faktor das menschliche Wachstumshormon, und da das Diabetes auslösen oder verstärken kann, gab man das Diabetesmedikament Metformin dazu und DHEA, eine Sexualhormonvorstufe. Dazu kamen Zink und Vitamin D als Immunbooster. Viermal pro Woche spritzten sich die Probanden diesen Cocktail in die Bauchdecke. Wieso waren es eigentlich nur neun Versuchspersonen? Damit kann man doch keine seriösen Studienergebnisse erzeugen. Ganz einfach: Pro Person kostet die Studie rund 10.000 US-Dollar, und mehr als 90.000 US-Dollar wollte man in dem ersten, sehr ungewöhnlichen Test für den Wirkstoffcocktail nicht investieren.
STEVE HORVATH, der an dem Unternehmen Intervene Immune beteiligt ist und mittlerweile seine epigenetische Uhr auf verschiedene Alterseffekte spezifiziert hatte, setzte vier dieser Uhren jetzt ein, um das biologische Alter der Testpersonen zu bestimmen. Außerdem wurde regelmäßig per MRT (Magnetresonanztomografie) überprüft, ob der Thymus sich veränderte. Das Ergebnis wollten die Studienleiter selbst nicht glauben, so phänomenal war es. Nicht nur, dass das Thymusgewebe an Fett verlor und funktionsfähiges Gewebe sich regenerierte. Das schier Unglaubliche war: Die biologische Alterung aller Probanden wurde nicht nur wie erhofft verlangsamt, sondern sie lief auch noch rückwärts – und das sogar beschleunigt! In den ersten neun Monaten wurden die Männer laut Horvath-Uhr um rund 1,6 Jahre biologisch jünger. In den letzten drei Monaten sogar um 6,5 Jahre – was einen Durchschnittswert von 2,5 Jahren an Verjüngung des epigenetischen Alters ergab. Eine Sensation! In der Geschichte der Medizin bedeutet das wahrlich eine Revolution.
Natürlich wurde nach Veröffentlichung der TRIIM-Studie die wissenschaftliche Verwertbarkeit der Ergebnisse bezweifelt: zu wenige Probanden, keine placebobehandelte Kontrollgruppe etc. Doch die Möglichkeit, die Lebensuhr tatsächlich zurückdrehen zu können, war so spektakulär, dass diese Arbeit enorme Wellen schlug. Prompt wurde eine zweite Studie aufgesetzt, die nun allen Anforderungen entsprechen soll: TRIIM-X ist ihr Name. Sie wird erneut über zwölf Monate laufen und wieder wird derselbe Wirkstoffcocktail verwendet. Doch dieses Mal nehmen 85 Probanden im Alter zwischen 40 und 80 Jahren teil und – endlich – auch Frauen. Es wird wiederholt die epigenetischen Tests zum biologischen Alter geben, aber auch klassische Tests zu bestimmten Alterskrankheiten wie Diabetes und Demenz und zu Infektionskrankheiten wie Grippe und Covid-19. MRT plus T-Zellen-Checks gehören ein weiteres Mal dazu. Die Studie sollte im Oktober 2020 starten und im Oktober 2022 abgeschlossen sein. Kaum eine andere wissenschaftliche Untersuchung könnte weltweit eine ähnlich große Beachtung finden.
Die TRIIM-Studie zeigt, dass epigenetische Verjüngung möglich ist – und machte so das Forscherteam zu Gurus der Longevity-Gemeinde.
Interessant für Sie als Leserinnen und Leser dieses Praxisbuchs dürfte sein, dass die Ergebnisse der ersten TRIIM-Studie im Jahr 2019 ein führendes Hormonzentrum in Deutschland anspornte, seine bis dato bereits empfohlene Hormonersatztherapie für gesunde Langlebigkeit noch weiter anzupassen. Hier werden, ebenso wie in der TRIIM-Studie, sowohl Wachstumshormon, DHEA, Metformin, Zink und Vitamin D empfohlen. Dazu ein Auszug aus meinem Gespräch mit Dr. JÖRG Puchta vom Hormonzentrum an der Oper, Endokrinologie München.
Dr. Jörg Puchta, welche Erfahrungen haben Ihre Patienten mit dem Cocktail gemacht, den Sie aufgrund der TRIIM-Studie empfehlen?
Wir arbeiten mit den Angaben natürlich erst, seit es die Studie gibt, also seit einem guten Jahr. Wir haben aber mit dem Hauptwirkstoff der TRIIM-Studie, dem Wachstumshormon, Erfahrung seit den 1990er-Jahren. Bei schwerer Somatopause (Anmerkung: Ein starker Rückgang der Wachstumshormonproduktion – meist ab Ende 40/Anfang 50 – wirkt sich negativ auf Sehnen, Bindegewebe und Muskulatur aus) haben wir es zusammen mit DHEA gegeben. Damals haben wir es allerdings höher dosiert. Patienten, die den gesamten TRIIM-Cocktail nehmen – natürlich individuell eingestellt – berichten von einer stark gestiegenen Vitalität. So sind zum Beispiel die Regenerationsphasen nach dem Sport viel kürzer, so wie bei jüngeren Menschen eben.
Was hat sich an Ihrer Verschreibungspraxis bezüglich Langlebigkeitstherapien seit der TRIIM-Studie geändert?
Gar nicht so viel. Wir haben mit allen Wirkstoffen auch vorher gearbeitet. Sie sind ja nicht neu. Doch da ist Zink in den Vordergrund getreten, weil der Stärkungseffekt für das Immunsystem im Alterungsprozess noch mal sehr deutlich wurde. Die Studie hat letztlich sehr schön gezeigt, dass Alterungseffekte wie die Verkümmerung des Thymus tatsächlich partiell reversibel sind. Das ist schon eine Sensation. Das verstößt gegen alle bisherigen Dogmen.
Wie dosieren Sie Zink?
Meist auf 50 Milligramm.
Und Vitamin D?
Vitamin D ist ja nicht nur ein Vitamin, es hat im Grunde eine Zwitterstellung. Es ist eigentlich ein Pro-Sexualhormon, es spielt eine positive Rolle für die Gehirngesundheit, für die Knochengesundheit und das Immunsystem. Wir schauen, dass wir den Spiegel so zwischen 50 und 70 Mikrogramm pro Milliliter einstellen. Damit orientieren wir uns mehr an der amerikanischen als an der deutschen Vorgehensweise. Die Deutsche Gesellschaft für Ernährung wäre natürlich entsetzt.
Metformin hatten Sie ebenfalls schon früher im Anti-Aging-Therapieprogramm?
Die Studienlage bezüglich der Anti-Aging-Effekte kann noch nicht als abgeschlossen gelten, aber die positiven Effekte (Anmerkung: Stärkung der Mitochondrienfunktion, Schutz vor chronischen Entzündungen und Krebserkrankungen) sind seit Jahrzehnten in den verschiedensten Einzelstudien bewiesen. Wir wissen zwar noch nicht wirklich, wo Metformin überall wirkt. Wir wissen aber, es hat einen enormen Einfluss auf den Energiehaushalt sämtlicher Zellen, auf »Langlebigkeitsproteine« in den Zellen, aber auch auf den Darm (Anmerkung: unser Mikrobiom). Insgesamt scheint es in der Hinsicht zu wirken, dass wir mit der Einnahme von Metformin offenbar viele negative »pathways« (Anmerkung: biologische Signalwege) bremsen oder sogar komplett blockieren. Was da genau passiert, weiß allerdings noch niemand.
Jetzt fehlt noch das DHEA: Welche Rolle übernimmt es im »Verjüngungscocktail«?
DHEA genießt einen gewissen mythischen Status, da seine Entdeckung im 20. Jahrhundert zu den großen Durchbrüchen der Biochemie gehörte und mit dem Nobelpreis belohnt wurde. Außerdem hat die Entdeckung des Altersabfalls (etwa ab dem 30. Lebensjahr) zu großen Erwartungen in der Forschungsgemeinde geführt. Die simple Idee war, dass wenn man den natürlichen Altersabfall dieses Hormons aus unserer Nebennierenrinde einfach wieder auffüllt, man dadurch entsprechende Anti-Aging-Effekte erzielen kann. Wir wissen, dass es ein wichtiges Neurosteroid ist (seine Konzentration im Gehirn ist viel höher als im Blut) und somit vermutlich in die zentrale Steuerung des Immunsystems – und damit auch des Alterungsprozesses – eingreift. Hinzu kommt, dass eine große Zahl an weltweit tätigen Klinikern der festen Überzeugung ist, dass sich DHEA positiv auf die Vitalität auswirkt und durch seine Gabe gewisse Verjüngungseffekte zu verzeichnen sind. Da DHEA frei verkäuflich ist, ist es für die Pharmaindustrie uninteressant, hierfür teure Studien zu finanzieren. Hier lässt sich nämlich nichts mehr patentieren. Dies hat leider zur Folge, dass wir nicht über die nötigen Studien mit der nötigen Qualität verfügen, um die Effekte von DHEA wirklich abschließend beurteilen zu können.
Auf die Ergebnisse der TRIIM-X-Studie dürften Sie mehr als gespannt sein …?
Auf die Ergebnisse der TRIIM-X-Studie bin ich genauso gespannt wie auf die Ergebnisse der TAME-Studie (Anmerkung: über die Effekte des Metformin zur Milderung der Alterungsprozesse) – beides großartige Studien, und zwar solche, die die Menschheit wirklich braucht und die es zu dieser Thematik in der Geschichte der Menschheit noch nie gegeben hat.
Da ist mein nächstes Buch zur Zukunft der Longevity-Therapien also unverzichtbar …
Was bleibt am Ende dieses Kapitels zusammenzufassen? Was sollte uns Aufschluss geben über den Umfang der Vorbestimmung durch unsere Gene und den Grad der Selbststeuerung – also über die beiden Komponenten, aus denen sich die Chancen unserer gesunden Langlebigkeit ergeben? Wir können viel tun, sehr viel sogar, um Siechtum und Leiden in jahrzehnteweite Ferne zu schieben. Wie es aussieht, liegen für die meisten von uns die Möglichkeiten der selbst organisierten Langlebigkeit bei 70 Prozent. Wir haben sogar Einfluss auf unsere Gene, indem wir sie epigenetisch zum richtigen Ein- und Ausschalten stimulieren. Wir können den Status unseres biologischen Alters messen, und wir können per epigenetischer Uhr checken, ob Sport, Meditation, Ernährungsumstellung, ob NEM oder Medikamente unsere Chancen erhöhen, den Alterskrankheiten ein Schnippchen zu schlagen. UND wir schauen gespannt in Richtung Kalifornien: Stimmt es denn wirklich? Mit einem Cocktail aus fünf Wirkstoffen lässt sich – individuell dosiert bitte! – die Lebensuhr sogar zurückdrehen?
Dann lassen Sie uns doch gleich weitermachen, lassen Sie uns die 70-Prozent-Chance nutzen! Die folgenden Kapitel bieten Ihnen jede Menge Impulse dazu …