Читать книгу Verjüngung ist möglich - Nina Ruge - Страница 39
Das Sirtuin: ein weiteres Highlight am Langlebigkeitshimmel?
ОглавлениеSirtuine gehören zu den Stars der Stoffwechselsteuerung. Es handelt sich um Enzyme, die uralt sind, aber neu entdeckt. Anfang der 1990er-Jahre wurde das erste Sirtuin beschrieben. Sirtuine steuern die Reaktion des Körpers auf Stressfaktoren wie Kälte, Hitze, Nahrungsmangel sowie Belastung. Und das, was sie an Stoffwechselreaktionen auslösen, scheint deutlich lebensverlängernd zu wirken. So agieren einige von ihnen offenbar als zelluläre Hebel, die den Effekt des Fastens oder von Diäten in Richtung Anti-Aging steuern.
Wieso sind Sirtuine uralt? Ganz einfach: Weil sie in sämtlichen Lebewesen vorkommen – vom Bakterium über den Wurm bis hin zum Menschen. Sie sind also unverzichtbar fürs Überleben, und das schon seit Jahrmillionen! Wir Menschen haben sieben verschiedene Sirtuine, jedes hat sein eigenes, sehr spezielles Steuerungspotenzial. Was uns besonders interessiert, sind die Sirtuine 1, 3, und 6, denn sie steuern drei wichtige Zellfunktionen, die für die Langlebigkeit wichtig sind:
Zum einen legen sie im Zellkern an der DNA bestimmte Eiweißstrukturen still, sodass die Genaktivität vermindert wird (ein »Hungereffekt«) – und jetzt kommt die Lebensverlängerung: Entlang der DNA können nun die Reparaturenzyme in aller Ruhe ihren Job machen, nämlich Schäden am Erbmaterial reparieren. Besonders, wenn das an Stammzellen geschieht, dürfte dies der Langlebigkeit sehr förderlich sein.
Zum anderen ist eine weitere Aufgabe der Sirtuine die Stimulierung der Autophagie. Dazu werden wir später ebenfalls noch einiges hören – es handelt sich um das hochkomplexe und intelligente System der »Abfallwirtschaft« in der Zelle, das sehr stark auf Recycling und Fettverbrennung setzt und von elementarer Bedeutung für die Zellgesundheit ist. Da die Autophagie im Alter mehr und mehr ins Stottern gerät und funktionslose Zellbestandteile, Abfallprodukte, wirkungslose Proteine etc., also Zellmüll, nicht mehr problemlos entsorgt werden, macht die Stimulierung der Autophagie gerade beim Älterwerden sehr viel Sinn.
Ein anderer Sirtuin-Effekt ist darüber hinaus die Mitochondrienaktivierung. Sirtuine fahren die Aktivität unserer Zellkraftwerke hoch und könnten so auch zur Teilung anregen – was unserem Kräftehaushalt sehr zugutekommt.
Sirtuine scheinen also ein Schlüssel für Langlebigkeit zu sein und sind deshalb stark in den Fokus der Forschung gerückt. Die zentrale Frage der Wissenschaft ist daher eine schlichte Frage: Wie kann man Sirtuine stimulieren? Die Antworten sind natürlich weniger schlicht. Drei wesentliche Stimuli weisen den Weg: Nahrungsreduktion, sekundäre Pflanzenstoffe, genauer Polyphenole (das ist die Substanzklasse, die in Sirtfood steckt) und NAD+. Letzteres wird etwas später einen Ehrenplatz in diesem Buch erhalten, denn dieses Molekül gilt derzeit als einer der größten Hoffnungsträger im Bereich Nahrungsergänzungsmittel (NEM) für eine Therapie der Krankheit Alter. Nahrungsreduktion und Sirtfood sollen ähnlich auf Sirtuine wirken – jedoch verschieden stark. Womit wir beim »Scheinfasten« à la Adele angelangt wären. Vom Sirtfood heißt es, dass es die positiven Effekte des Fastens imitieren könne – VALTER LONGOs FMD postuliert das genauso für sich. Darüber habe ich mit dem Autor des Buches Abnehmen mit Sirtfood gesprochen, Ernährungsmediziner, Gynäkologe in Nürnberg und Präsident der German Society of Anti-Aging Medicine, Prof. BERND KLEINE-GUNK.
Professor Bernd Kleine-Gunk, mit Sirtfood abzunehmen beziehungsweise Sirtfood als Anti-Aging-Ernährungsweise zu sehen – das sollte man doch unbedingt auseinanderhalten, oder was meinen Sie dazu?
Unbedingt! Die Sirtfood-Diät mit dem Ziel, Gewicht zu verlieren, basiert natürlich auf Kalorienrestriktion. Sie beginnt mit einer dreitägigen Phase von 1000 Kalorien, dann 1500 und so weiter. Es handelt sich hier keineswegs um eine »Wunderdiät«. So hat Adele ihr Abspeckprogramm auch mit einem strikten Sportprogramm kombiniert. Der Unterschied zu vielen anderen Diäten ist, dass man bei der Sirtfood-Diät tatsächlich nicht in eine Mangel- oder Fehlversorgung kommt. Dagegen ist die Sirtuin-Diät als Anti-Aging-Ernährung keine Reduktionsdiät, sondern eine Nahrungsumstellung, die möglichst dauerhaft zum Lebensstil werden sollte, weil sie auf bestimmte Makronährstoffe wie Zucker verzichtet, auf gesunde Fette baut, Pflanzenstoffe vermehrt und gezielt in die Nahrung integriert werden kann, mit dem Ziel, gesund alt zu werden.
Und diese »Pflanzenstoffe« sind Sirtuin-Aktivatoren – welche sind das genau?
Zu diesen Polyphenolen gehört zum Beispiel das Resveratrol, das eine gewisse Prominenz errungen hat, weil es in den Schalen von Weintrauben, folglich im Rotwein enthalten ist und prompt viele hübsche Pressestorys zur gesundheitsförderlichen Wirkung von Wein ausgelöst hat. Leider finden wir in einer Flasche Rotwein nur rund fünf bis zehn Milligramm davon, und man müsste, um auf die erforderlichen täglichen 120 Milligramm zu kommen, 10 bis 20 Flaschen trinken, was natürlich absurd ist.
Kurkumin gehört weiterhin dazu, Sulforaphan des Brokkoli, Quercetin aus Zwiebeln und Äpfeln, Spermidin aus Weizenkeim und einiges anderes mehr.
Diese Substanzen sind alle »milde Pflanzengifte« …
Ja, sie sind Teil der pflanzeneigenen Abwehrsysteme, mit denen sie sich vor Insektenfraß, Pilzbefall, Viren und Bakterien schützen. Das sind eigentlich kleine chemische Keulen – die uns Menschen allerdings nur positiv beeinflussen.
Und wir scheinen sie hoch dosiert zu benötigen, damit sie ihre positiven Effekte wie Stammzellenreparatur, Zellreinigung und Fettverbrennung sowie Mitochondrienstimulierung entfalten – und damit vorbeugend gegen eine ganze Reihe von Alterskrankheiten wirken können?
Dafür wäre Sirtfood eine gute Basis. Doch wie viel Sirt-Aktivator ist nun in den Pflanzen wirklich drin? Zum einen hängt ihr Polyphenolgehalt tatsächlich stark davon ab, wo sie klimatisch wachsen, welchen Witterungsbedingungen sie ausgesetzt sind (Anmerkung: Wenn sie leichtem Stress ausgesetzt sind wie Wind, Sonne, zu viel Regen, steigt der Polyphenolgehalt), wie schonend sie nach der Ernte verarbeitet werden – insofern gibt es starke Schwankungen. Biogemüse enthält zumeist deutlich mehr Polyphenole als Obst und Gemüse aus dem Gewächshaus, das eventuell mit Pestiziden behandelt worden ist. Der Grund dafür ist simpel: Wenn die Pflanzen von außen durch Pestizide geschützt werden, dann sind sie nicht mehr gezwungen, schützende Stoffe selber zu bilden. Das ist bei Bioobst und -gemüse anders. Also gilt hier ganz klar: Bio ist besser.
Wie viel von den Polyphenolen, die wir mit Sirtfood aufnehmen, kommt denn schließlich in der Zelle an? Was weiß man über die Bioverfügbarkeit dieser Polyphenole?
In der Tat ist das das Hauptproblem. Wir können zwar heute etliche der Substanzen in exakt definierten Mengen auch in eine Pillenkapsel bringen, doch das Problem ist, nachzuweisen, wie viel davon tatsächlich beispielsweise in den Mitochondrien ankommt, wo sie dann letztlich wirken sollen. Nehmen wir Kurkumin, dieser Pflanzenstoff wurde ja sehr gehypt in den letzten Jahren: Seine Wirkungen sind ja toll, aber die Bioverfügbarkeit von Kurkumin ist einfach schlecht. Wenn man es mit Pfeffer kombiniert, wird es besser aufgenommen. Das wissen offensichtlich die Inder schon seit Jahrtausenden, weil viele Curryrezepturen sehr viel Pfeffer enthalten. Der Pfeffertrigger gilt allerdings nur für das Kurkumin – und auch hier weiß man noch nicht, wie stark die Wirkung damit erhöht wird.
Dann sollte man, wenn man den Sirtfood-Effekt auf gesunde Langlebigkeit erhöhen möchte, zusätzlich Sirt-Kapseln nehmen – die gibt es ja zuhauf am Markt.
Prinzipiell habe ich den Grundsatz: Man sollte so viel wie möglich über die Nahrung zuführen. Aber man muss schon ganz klar sagen: Manche Substanzen kann man allein über pflanzliche Kost nicht in wirksamer Menge aufnehmen, da nehme ich ein Nahrungssupplement.
Sirtfood – das tut gut, ohne Frage. Um noch ein wenig besser einschätzen zu können, was Sirtfood für unsere gesunde Langlebigkeit bringt (Sirtfood-Listen und Rezepte finden Sie übrigens reichlich im Internet), hier vier Kommentare unserer weiteren Experten:
VALTER LONGO»Ich denke, das meiste davon ist Medienrummel. Ich kann nicht beurteilen, wie viel Obst und Gemüse und was auch immer benötigt würde, um bei den Sirtuinen etwas zu bewirken. Aber ich würde annehmen, dass das mehrere Kilogramm pro Tag wären. Das wäre also eine Fortsetzung der Wein-Story mit Resveratrol. Es braucht mehr als zehn Flaschen Wein, um genug Resveratrol zu bekommen und die Sirtuine zu kontrollieren. Ich denke, dass die Regulierung von Sirtuinen eine Regulierung über Medikamente werden wird.«
MARTIN SMOLLICH»Es gibt eine Gruppe von Substanzen, da gehört Resveratrol dazu, auch Kurkumin, die nennen wir ›Pains‹, ›Pan-Assay Interfering Substances‹ (Anmerkung: Pains sind Substanzen, die im Tierversuch und in Zellkulturen positive Effekte zeigen, aber dann in klinischen Studien enttäuschen). Kurkumin zum Beispiel macht viele klinische Effekte, aber total unspezifisch. Und das ist für ein Nahrungsergänzungsmittel natürlich völlig unbrauchbar. Wir sagen, das ist ›shooting in the dark‹. Das ist beim Spermidin anders als beim Resveratrol oder Kurkumin. Wenn Sie sich überwiegend pflanzlich ernähren mit frischen Lebensmitteln, dann haben Sie eine hohe Nährstoffdichte und hervorragende Gesundheitseffekte. Aber Sie können nicht trennen, ob das an einer mediterranen Ernährung liegt oder am Resveratrol, am Quercetin oder an einer Sirt-Aktivierung. Es ist halt das Gesamtpaket an Lebensmitteln, das den Effekt macht. Ob das ein Sirt-Schalter ist, den man drückt, bleibt dahingestellt.«
MICHAEL RISTOW, Professor für Energiestoffwechsel an der ETH Zürich»Sirtuine sind schon interessante Proteine, aber sie sind ›overhyped‹, finde ich. Viele angeblich exklusive Sirtuin-Aktivatoren haben noch etliche andere Wirkungen. Die Wissenschaftler, die an Sirtuinen gearbeitet haben, sind jetzt größtenteils zu NAD+ übergegangen. Womit ich wirklich Probleme habe, ist diese Sirtuin-Diät, denn das hat alles sehr, sehr wenig mit Sirtuinen zu tun.«
CLEMENS STEEGBORN, Professor für Biochemie und molekulare Alterungsprozesse an der Universität Bayreuth»Sirtuin 6 hochzufahren, macht Sinn, denn es spielt bei der DNA-Reparatur und der Entzündungsbekämpfung eine wichtige Rolle. Es wird unter anderem auch von Quercetin aktiviert. Resveratrol aktiviert Sirtuin 1. Das ist sehr gut untersucht. Doch Sie müssen davon ausgehen, dass diese Substanzen so schwach auf die Sirtuine wirken, dass sie gleichzeitig eine Reihe anderer Proteine sehr viel stärker beeinflussen. Und ich bin mir nicht sicher, ob Sie diese Effekte alle haben wollen. Das heißt, ich würde bei hohen Dosierungen Nebenwirkungen erwarten. Also, ich finde es sehr schön, dass es die Sirtuin-Diät gibt, aber ich halte es für sehr zweifelhaft, dass Sie über die Aufnahme dieser Nahrungsmittel ausreichend Stoffkonzentrationen in der Zelle kriegen, um eine Aktivierung zu erzeugen – weil eben all diese Polyphenole sehr schwach auf Sirtuine wirken.«
Wieso habe ich die Experten so breit zitiert? Weil die Sirtuine, die Sirtuin-Diät ein gutes Beispiel dafür ist, in welchem Dilemma die Longevity-Therapie derzeit steckt. Die Molekularbiologie ist enorm schnell unterwegs in der Grundlagenforschung – doch die Anwendung, die Studien dazu brauchen viele Jahre Zeit. Seriöse Aussagen, Empfehlungen sind deshalb Mangelware. Dennoch: Eine Übersichtsstudie des Forscherteams um Prof. FRANK MADEO kommt zu dem Schluss, dass etliche der Polyphenole in pflanzlicher Kost – eventuell besonders in Kombination miteinander – durchaus positiven Einfluss auf gesunde Langlebigkeit haben. Da beim Älterwerden viele Stoffwechselprozesse langsamer und ineffizienter laufen, dürfte es dann auch sinnvoll sein, einige der Wirkstoffe durch Nahrungsergänzungsmittel zuzuführen. Auch wenn wir deren Wirkungsspektrum in den komplexen molekularbiologischen Systemen zum Teil nur ansatzweise kennen, ist die Vermutung sehr begründet, dass bestimmte Nahrungsergänzungsmittel wirken könnten – vor allem in Kombination mit Kalorienrestriktion und Sport. Am Beispiel Sirtfood heißt das: Es gibt sehr viele Hinweise darauf, dass diese Form der Ernährung gesunde Langlebigkeit fördern kann. Aber ein starker Booster von Sirtuinen – so sieht es zumindest derzeit aus – ist sie nicht.