Читать книгу Stojan räumt auf - Norbert Möllers - Страница 10

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Das Gewerbegebiet war unübersichtlich, schmuddelig. Entstanden wie Wildwuchs, nicht sorgfältig auf dem Reißbrett entworfen von ambitionierten Stadtplanern mit Soziologie im Nebenfach. Wildwuchs, Unkraut, Warzen.

Oder Metastasen, schoss Stojan in den Kopf, dessen Blick auf die Autowracks fiel, die Reifenstapel vor den Hallen mit zerbrochenen Fenstern. Sie waren da hineingeraten, Anfang oder Ende mochte es geben, er sah nichts dergleichen. Pfeifender Wind und peitschender Regen statt der kecken Sonnenstrahlen und man hätte die perfekte Kulisse für sozialdramatisches Kino. Die spärlichen Farbtupfer in den schlierigen Pfützen würde man durchgehen lassen.

Instinktiv checkte Stojan ihren Gehweg auf Ratten, Gift und Scherben, bevor Fido an der kurzen Leine so etwas entdecken würde. Sonja schien ihm in ihren knöchelhohen Tretern gut gerüstet.

„Wie hast du es erfahren?“, fragte Sonja.

„Kleefisch hat mich angerufen.“ Stojan schauderte. Es war nicht die Tristesse der Umgebung, nicht das Februarwetter. Davor wusste sich Stojan zu schützen. Aber gegen dieses latente innere Zittern half weder der doppelte Anorak noch die Wollkappe. Seit dem Anruf nahm er es fast ständig wahr. „Ich hatte ihn damals gebeten, mir Bescheid zu geben, wenn er irgendetwas mitkriegt. Gerede, verdächtiger Besuch, mögliche Komplizen, Beute, irgendwas. Tja, jetzt hat Amuso sein Schweigen mit ins Grab genommen. Trotzdem gibt es Grund, da mal nachzufassen.“ Er zögerte und sah Sonja an. „Du weißt, wer Kleefisch ist?“

Sonja wusste, wer Kleefisch war. Einer von den Justizvollzugsbeamten, mit denen man beruflich gerne Kontakt hatte: vernünftig, kooperativ, nicht so abgestumpft wie andere oft schon nach der Hälfte an Dienstjahren auf dem Buckel. Deshalb hatte der Alte sie also abgeholt. Da hat ihm einer mal wieder einen Floh ins Ohr gesetzt, dachte sie. Eine der Hallen sah solider aus, ein paar Container aus grauem Wellblech hatte man angebaut, mit Graffiti in Gelb und Rostrot verziert und dann das ganze ordentlich eingezäunt.

„Umgekehrt. Erst der Zaun, dann die Zierde“, sprach Stojan leise zu sich. Sonja kümmerte sich nicht darum. So etwas war nicht wichtig, eher privat. Das kannte sie von früher, wenn sie zusammen unterwegs ermittelten. Egal, ob bei Saubermanns zuhause oder im Müll, im Schatten: Stojan öffnete ein Ventil und ließ Druck ab.

„Weißt du, wie viele sie hier eingepfercht haben?“

Einige Männer fegten den Hof. Bedächtig. Frauen rieben mit Lappen über eine Bank vor einem Klettergerüst und einem Sandkasten.

„Nee, aber es gibt sicher schlimmere Auffangheime. Hier scheinen Familien untergebracht zu werden. Es ist zu kalt, um draußen zu spielen. Damals gabs das nicht, das wüsste ich. Tagelang sind wir herumgestreift und haben nach Zeugen gesucht, glaub ’s mir. Du hattest an der Sache Amuso doch mitgearbeitet.“

Klar, er erinnerte sich. „Aber nicht selbst verhört. Ich war schon außer Dienst, hatte bloß keinen Nachfolger. Ich war als Zeuge geladen und habe dementsprechend die Verhöre durchgesehen.“ Doch: Verhören hilft nichts, wenn der Verhörte nichts sagt. Man kann den verhören, solange man will. Statt den anderen hat man sich verhört. Warum war ihm nie diese Doppeldeutigkeit von verhört aufgefallen?

Dann war er wieder zurück bei der Unterkunft. Dass das Attentat am Berliner Breitscheidplatz jetzt die Asylpolitik beeinflusst und Einwanderung und Familiennachzug beschränkt, gefiel ihm nicht. Helen hatte vor, in der nächsten Woche in Meschede zusammen mit Flüchtlingen und ihrem Verein Menschen auf der Flucht gegen Abschiebungen nach Afghanistan zu demonstrieren. Er beabsichtigte mitzufahren.

Wegen damals waren sie hier. Konzentrier dich, Stojan, hörte er seine eigene Stimme. Und gehorchte. Sich den Tatort einprägen, mal reinschnuppern. In den alten Fall.

Sie gingen weiter. Von einem ehemaligen Sägewerk fehlten ganze Wände. Eine weitere Ruine zeigte Reste einer Heizungsanlage. War das Privatgelände? Warum kümmerte sich keiner?

Hatte auch damals niemanden interessiert, dass hier Millionenwerte aufbewahrt wurden, ungenügend gesichert. Aber man gibt so etwas doch nicht so bereitwillig preis. Warum guckt da die Versicherung nicht hin?

Auf den Tatortfotos hatte die Bahre mit der Plane darüber rechts nahe am Zaun gestanden. Stojan orientierte sich. Dass man in einer solch kleinen Halle solche Werte lagern konnte, fand er beachtlich. „Respekt!“, zollte er nachträglich Anerkennung. Fido nahm das für sich. Wenn es ein Lob abzuholen galt, fragte er nicht groß nach. Sonja war schon weiter vorausgegangen und stellte diesbezüglich keine Ansprüche.

Die Halle wurde offenbar wieder genutzt. Äußerlich erinnerte nichts mehr an die Geschehnisse vor fast drei Jahren. Ein schief hängendes Schild wies mit einem Pfeil auf den Eingang zum Gelände eines Schäferhundevereins.

Hoffentlich vertragen die Hunde sich mit den Flüchtlingskindern, dachte Stojan. Wenn die rausdürfen. Die Kinder.

„Sonja, lass uns fahren, mir reicht’s hier. Im Ort gibt ´s einen urigen alten Gasthof mit Fachwerk und einem lateinischen Spruch über der Tür, der holt uns aus dieser Trübsal heraus.“ Hatte Stojan gehofft, aber dann war ihm der Appetit vergangen. Auch Sonja stocherte trotz des Ambientes nur lustlos in ihrem Salat herum.

„Ich habe Kleefisch ein bisschen gelöchert, von sich aus erzählt der nichts. Amuso hatte ein Karzinom, seit einem halben Jahr bekannt. Inoperabel. Hat sich klaglos in sein Schicksal ergeben, sich sogar mit dem armen Teufel ausgesprochen, den er bei der Tat über den Haufen gefahren hat. Zuletzt hat er nur von Morphium und Zigaretten gelebt. Und Opernmusik, sagt Kleefisch. Schon eine umwerfende Kombination auf der letzten Etappe unterwegs zur Hölle. Road to hell, kennst du? Nicht deine Musik, Chris Rea, glaube ich. Angenehme Stimme. Wohl auch nicht Amusos Musik, wenn er auf Opern stand. Zu der ganzen Szenerie von eben passt sie gut.“ Wieder dieses Beben. Ob andere das merkten?

„Aber bis zuletzt hat Amuso nichts verraten? Keiner Menschenseele?“, fragte Sonja.

„Kleefisch sagt nein. Amuso sei ständig kontrolliert worden, Posteingang, Postausgang, Besuch, mögliche Kassiber. Handys werden immer wieder eingeschmuggelt. Nichts hätte darauf hingedeutet, dass er eins hatte. Und kaum Besuch oder Post bekommen. Sagt Kleefisch.“ Stojan nahm einen Schluck. Der Kaffee, eben nur dünn, war jetzt kalt und dünn. „Amuso sei harmlos gewesen, nicht durchtrieben.“

„Und bei seinen persönlichen Sachen? Manchmal taucht doch im Nachlass etwas auf, was bis dahin das Tageslicht gescheut hat.“

„Ich habe ihn gefragt. Ein armseliger Karton mit seinen Sachen, ein Kalender, eine Bibel, ein MP3-Player, Papierkram. Etwas Schmuck, Kette, Uhr, so etwas, nichts von materiellem Wert. Ist alles zur Tochter geschickt worden nach Apulien. Aber das ist ja nett und clever von Kleefisch: Er hat die Sachen fotografiert. Ob das so Usus ist, weiß ich nicht. Er hätte es für mich getan, hat er gesagt. Schicken will er die Fotos trotzdem nicht. Man redet mit dem Mann besser von Angesicht zu Angesicht, werde mich verabreden.

Ich sag´ dir, die Geschichte ist nicht zu Ende. So etwas rieche ich.“

„Dann waren wir ja nicht umsonst da und haben uns das ganze Elend angeguckt. Tröstlich.“ Sonja warf einen Blick auf ihre Armbanduhr. „Los, komm, ich muss weitermachen. Wie heißt der Spruch auf Deutsch?“ Sonja zeigte auf die verzierte Inschrift an dem Fachwerkbalken.

„Friede den Eintretenden, Wohlergehen den Hinausgehenden. Dem Sinne nach. Gilt auch für mein bescheidenes Haus, steht bloß nirgendwo. Sonst würde es der Nachbar für sich reklamieren und genau der ist nicht gemeint. Okay, danke für deine Zeit. Wenn du wieder Appetit hast, gebe ich dir einen aus. Und wenn ich etwas erfahre, erzähle ich´s dir.“

Stojan setzte sie an ihrer Dienststelle ab und fuhr nach Hause. Er brühte sich einen Tee auf. Die wohlige Wärme des Specksteinofens genoss der Boxer, das Innere seines Herrchens erreichte sie kaum.

Draußen hatte ein Paket gelegen. Er hatte nichts bestellt. Nichts, an das er sich erinnerte. Trotzdem lag eines vor der Haustür. Hundefutter? Das kam hin und wieder vor. Sollte er es hereinholen? Der Tee brauchte fünf Minuten.

„Los, Fido, lass uns gucken.“ Er stieß es mit seinem Wanderstiefel an. Kaum Gewicht. Er suchte den Absender, vergebens. Der Name auf dem Adressaufkleber war korrekt: Herrn Peter Stojan, Kriminalhauptkommissar a.D.. Das war er, ohne Zweifel. Dann: Winterberg. Die Postleitzahl groß davor, anderer Stift, andere Farbe.

„Das haben sie an der Verteilstelle dazugeschrieben, Fido, so war das, pass auf! Aber die Straße haben sie vergessen.“ Der Hund unterzog mit Pfote und Schnauze das Paket einer gewissenhaften Vorprüfung, verlor aber schnell das Interesse. Stojan hatte keine Lust auf kriminalistische Überlegungen. Sonst hätte er zusammengefasst: An der Verteilstelle war bekannt, wo er wohnte. Ist das ungewöhnlich? Auffällig? Nein. Er war weit und breit der Einzige dieses Namens. Er wohnte seit über zwanzig Jahren in einem Ortsteil Winterbergs. Post bekam er täglich, allein schon die Zeitung. Er hatte nichts Verdächtiges an dem Paket auszusetzen. Aber der Tee war fertig, deshalb blieb es zunächst vor der Tür liegen und wurde für den Rest des Tages vergessen.

Stojan räumt auf

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