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Der Drucker spuckte die dritte und letzte Seite des Anhangs aus. Tim Jakobsen hoffte auf eine knappe Auflistung von Fakten, nicht auf Kommentare und Interpretationen in epischer Breite. Der alte Kommissar kam doch etwas umständlich herüber. Er las die letzten Sätze der Mail:

Die Namen lauten Gerd Henscheid und Luca Licciardi. Ich darf hoffen, Sie mit meinem Ansinnen nicht unangemessen behelligt zu haben und verbleibe in Erwartung Ihrer liebenswürdigen Antwort mit sehr freundlichen Grüßen

Peter Stojan Kriminalhauptkommissar a.D.

59955 Winterberg 8. Februar 2017

„Wow, das ist mal `ne Grußformel … Meine Schwiegermutter wäre begeistert!“, stellte er halblaut in den Raum. Das leise Klatschen kam von der Fliege, die gegen die Fensterscheibe geflogen war. Im Übrigen hatte Tim Jakobsen keine Schwiegermutter, und zurzeit war niemand für diese Rolle vorgesehen.

Jakobsen brauchte nicht lange zu überlegen. Die Wirtschaftsdetektei hatte freie Kapazitäten. Es sollte ein Leichtes sein, seine Kollegen zu überzeugen. Von Vertrag war zwar nirgendwo die Rede, umsonst würde sein Einsatz dennoch nicht sein. Die Versicherung dürfte sich kaum lumpen lassen. Erst recht würde sie eine reelle Chance, an die Beute heranzukommen, nicht verpassen wollen. Und eine Beschädigung ihrer Reputation kaum riskieren, wenn er etwas herausfand.

Weder der deutlich ältere Kollege Thomas Quent noch die etwas ältere Kollegin Lena Streich und erst recht nicht beide zusammen hatten ein Problem damit, wenn er sich für eine Woche von der Büroarbeit abmeldete, um unterwegs mit Kamera, Laptop und Smartphone zu recherchieren. Sich vernünftig beschäftigte und Gewinne für die Firma sicherte. Zwei Namen hatte der Kommissar ihm genannt. Sie konnten echt sein oder nicht, öffentlich waren sie nicht registriert. Wer und wo waren diese Herrschaften, wie sah es um deren Vermögensverhältnisse aus? Das interessierte den Kommissar, der gar nicht mehr im Dienst zu sein schien, wie Tim verstanden hatte. Insbesondere, ob da in den letzten Jahren plötzlicher Zuwachs zu verzeichnen war. So etwas gefiel ihm, er fühlte sich gefordert, war sein eigener Herr, konnte sich die Zeit einteilen, nach seinem Plan vorgehen. Und stand den Kollegen nicht beim Auswärtsturteln im Wege.

Jakobsen war jung genug für Pläne, Träume und Ideale. Die Hoffnung, eines Tages durch detektivische Leistung einem Verbrechen auf die Spur zu kommen, hatte er nicht aufgegeben. Das Absuchen seitenlanger Zahlenkolonnen nach einer Null zu viel oder zu wenig vor oder hinter dem Komma, um eine Bilanzmanipulation zu beweisen, ödete ihn an. Alte Detektivgeschichten, in denen Lupen, Spuren und falsche Bärte eine Rolle spielten, hatten es ihm dagegen angetan. In denen Fallen gestellt wurden und Kopfarbeit gefragt war. Sein Vater hatte ihm Filme gezeigt aus seiner Schatzkiste mit alten Videokassetten, in denen aus gelben oder roten Telefonhäuschen an Straßenecken telefoniert wurde. Szenen aus Blow Up, in denen der Fotograf einen schemenhaften Schwarz-Weiß-Ausschnitt so lange vergrößert, bis die Unschärfe die Realität nicht mehr erkennen lässt, hatten sich ihm eingebrannt. Dennoch war er keineswegs ein Verächter modernster Technik. Er beherrschte virtuos sämtliche digitalen Medien und ließ sich regelmäßig über Neues und Brauchbares auf den Insidermärkten informieren.

Tim holte sich den Ausdruck. Er wollte jetzt wissen, welche Auszüge aus den Prozessakten über Giovanni Amuso der Kriminalhauptkommissar Peter Stojan ihm zur Ansicht überlassen hatte. Schnell hatte er die Stelle gefunden, an die er sich erinnerte. Er fand das witzig, wie die Trasporti del Sud eine Zeit lang als sport1.de durch die Akten gegeistert waren. Er hätte gerne selbst diesen Gedankenblitz gehabt und das Rätsel gelöst.

Und dennoch, irgendetwas passte ihm an der Geschichte nicht. Da war noch ein Fehler, ganz sicher. Er wusste nur nicht, wo. Er merkte so etwas an den Härchen, die ihm von der Haut abstanden. Ein zweites Mal las er den Bericht über den vermuteten Ablauf des Überfalls und nahm sich einen Farbstift dazu.

Rekonstruktion Tathergang: Der Ducato muss kurz nach 21 Uhr auf das Gelände des Gewerbegebiets außerhalb der Ortschaft Bödefeld gelangt sein. Zeugen: keine. Nur das Tor zu der Halle, in der verpackte Handys in Kisten lagerten, wurde gewaltsam aufgebrochen.

Der Wachmann, der nach Aussage der Security-Firma vier Lagerhallen von einem kleinen Monitor in einem Häuschen zu überwachen hatte, setzte über sein Handy einen Notruf ab. Im Nachhinein muss davon ausgegangen werden, dass die Täter zunächst fast zehn Minuten ungestört ihrem Tun nachgehen konnten. Ob der Wachmann sich in dieser Zeit von der Halle entfernt hatte, abgelenkt oder unaufmerksam war, ließ sich nicht ermitteln. Recherchen haben später keinen Anlass gegeben, an seiner Zuverlässigkeit zu zweifeln. Eine Überwachungskamera war zwar in Betrieb, aber funktionierte nicht einwandfrei. Viele Werte wurden in der Halle zurückgelassen. Hier kann Zeitnot, mangelnde Kapazität des Fluchtfahrzeugs oder Eingreifen des Wachmanns eine Rolle gespielt haben.

Aus dem fahrenden Wagen muss dann auf den Wachmann geschossen worden sein. An der Weggabelung am Ende des Gewerbegebiets erfasste das Fluchtfahrzeug einen Radfahrer, der sich durch einen Sprung in den Straßengraben vor dem Wagen und den Schützen rettete. Wie sich später herausstellte, wurde er an Gesicht und linker Schulter verletzt. Er machte am Tatort und hinterher im Krankenhaus erste sachdienliche Aussagen. Das Fluchtfahrzeug war zwecks Tarnung mit einer Folie beklebt, die sich möglicherweise bei dem Zusammenprall mit dem Radfahrer teilweise gelöst hatte und einen Teil der Aufschrift erkennen ließ.

Es wird vermutet, dass die Täter das Fahrzeug in einem Schuppen oder einer Garage untergestellt, das Diebesgut weggeschafft und sich dann getrennt haben. Einige Tage später wurde ein blauer Fiat Ducato älteren Baujahrs sichergestellt. Die Spurenermittlung wies nach, dass dieser Wagen am Tatort war. Der Besitzer, Giovanni Amuso, ließ sich ohne Widerstand festnehmen.

Während er las, hatte Jakobsen mehrere Passagen unterstrichen, Frage- und Ausrufezeichen rechts und links an den Rand gekritzelt.

Am Schluss überwogen die Fragezeichen. Er schob die Papiere in eine Mappe, fuhr seinen Rechner runter und griff sich seine Lederjacke.

Er war sicher, den Fehler entdeckt zu haben.

Stojan räumt auf

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