Читать книгу Stojan räumt auf - Norbert Möllers - Страница 23

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Etwas monoton leiernde, aber angenehm leise Musik im Hintergrund und Flaschen mit bunten Etiketten auf der kleinen Bar ließen darauf schließen, dass Cem zuhause seine türkischen Wurzeln pflegte. Zwei der Flaschen, eine fast leer, die andere nicht mehr ganz voll, enthielten Sonjas Lieblingsdrink.

Das war dem alten Kriminalisten Peter Stojan nicht entgangen. Überhaupt kannte sich Sonja in der Altbauwohnung in der Marburger Oberstadt erstaunlich gut aus, wusste, wo Gläser, Besteck und Knabberzeug aufbewahrt wurden, Abfälle zu entsorgen waren. Einen Großteil der Gäste, deren Namen Stojan bei der Vorstellung nicht verstanden hatte, kannte sie anscheinend auch.

Mindestens zur Hälfte entsprachen die Anwesenden mediterranen Klischees, waren laut, jovial, chic und extrovertiert, umarmten und küssten sich und gingen herzlich miteinander um. Dunkle Haar- und Augenfarben überwogen. Stojan hatte sich in einen Sessel etwas abseits gesetzt und beobachtete und hörte zu. Gesprochen wurde, den Eindruck hatte er, ausschließlich Hochdeutsch, und das gepflegt, akzentfrei und ohne grammatikalische Zweifel. Helen war auf der Suche nach einem trockenen Weißwein verloren gegangen. Er hatte seit mindestens zehn Minuten nichts mehr von ihr gesehen. Ein Dreiergrüppchen an einem Stehtisch in Hörnähe hatte Pressefreiheit in osteuropäischen Ländern zum Thema auserkoren und wurde etwas lauter. Offenbar war man sich nicht einig. Stojan wurde mutig.

„Entschuldigen Sie, ich habe Ihnen zugehört. Darf ich mich zu Ihnen stellen, dann komme ich mir nicht unhöflich vor. Ich bin ein Kollege von Cem, jetzt im Ruhestand, früher in Schmallenberg. Peter Stojan, wenn Sie gestatten.“

„Aber bitte, gerne, kommen Sie. Was haben Sie im Glas? Der ist gut, nicht wahr? Cem versteht etwas von Wein. Ich heiße Chiara, Salute!“ Die hübsche Frau war also Italienerin, die beiden männlichen Begleiter beeilten sich jetzt mit ihrer Kurzvorstellung. Stojan beschloss, die Herren nicht mit ihrem Namen anreden zu müssen und vergaß diese deshalb auf der Stelle. Journalisten waren alle drei, das konnte man sich merken. Groß schienen die Meinungsunterschiede nicht mehr zu sein, von Osteuropa war man über China nach Italien geschwenkt, zu Kirche und Mafia. War schon immer ein Thema für Stojan, Italien sowieso, aber auch die speziellen sozialen Phänomene.

„Die gedeihen auf dem gleichen Acker. Und der wird mit Angst und Armut, Hunger, Gottesgläubigkeit und Sehnsucht gedüngt.“ Eine innere Stimme wollte Stojan warnen: Du kennst die Leute nicht, sei vorsichtig!

„Ich kenne einen Kollegen, der für die Gazzetta del Mezzogiorno schreibt, eine Zeitung für Apulien.“ Chiara war das, die jetzt etwas leidenschaftlicher wurde und keine Probleme mit der Unverblümtheit ihres Tischnachbarn erkennen ließ. „Der kennt sich richtig gut aus in Sachen apulische Mafia, so gut, dass er über dieses Thema weder telefoniert noch Briefe oder Mails verschickt. Von Angesicht zu Angesicht bei einem konspirativen Treffen erfährt man aber aus erster Hand alles, was man überhaupt rauskriegen kann. Ich muss ihn mal wieder besuchen.“

Aus dem Dreiergrüppchen waren jetzt zwei Zweiergrüppchen entstanden. In dem Moment kam Helen hinzu und bat um Einlass. Am Tisch wurde es etwas enger, die beiden Herren sagten noch einmal ihren Namen auf, wesentlich verständlicher als zuvor, fand Stojan, und nahmen Helen in ihre Mitte. Ein Dreier- und ein Zweiergrüppchen, alle waren zufrieden.

„Unser armer Süden“ fuhr Chiara fort, „ist so schön und wird von dem reichen Norden so schäbig behandelt. Das ist nicht gerecht, die Menschen können nichts dafür, dass ihre Wirtschaftskraft immer hinterherhinkt. Waren Sie schon mal unten im Fußteil unseres Stiefels, Peter?“

Ja, Stojan war schon mal in Apulien gewesen. Lange her. Da wollte er unbedingt mal wieder hin. Und warum nicht bald mal? In Apulien hatte es ihm gefallen. „Helen, hör mal!“, mischte er sich in die andere Gruppe ein, „Chiara sagt, wir müssten unbedingt bald mal nach Apulien. Was meinst du dazu?“

„Wer? Chiara und du?“ Lauter als nötig, lachend. „Dazu meine ich gar nichts, oder sollte ich?“ Offenbar war Helen guter Laune, der Weißwein schien zu gefallen. Chiara winkte mit beiden Händen ab: „Nein, nein, Missverständnis, sorry, ihr beide, meine ich!“ Bei weiterhin bester Stimmung aller Beteiligten bemerkte sie aber rasch, dass sie sich für nichts zu entschuldigen hatte. Nicht bei Helen, für deren Schlagfertigkeit und eine gute Pointe schon mal jemand seinen Kopf hinhalten musste. Insgesamt wurden die Gespräche jetzt etwas alberner. Stojan sah sich an seinem Tisch langsam einem Vierergrüppchen gegenüber und schaute sich vorsichtig nach einer Alternative um. Cem prostete ihm zu. Stojan überlegte, ob das Glas oder das Getränk darin grünlich schimmerte.

„Kommen Sie, Kollege“, er winkte, „da vorn habe ich ein paar kritische Geister für Sie“. Cem zog Stojan sacht am Ärmel mit sich. „Landsleute von mir. Engagieren sich heftig gegen das Verfassungsreferendum von Erdogan, mit dem unsere Bürgerrechte ausgehöhlt werden. Journalisten und Intellektuelle, machen einen guten Job, vor allem gegen die Wahlkampfauftritte von Erdogans Leuten hier in Deutschland. Nicht ungefährlich, zumal viele Türken, die hier leben, leider mit Ja stimmen.“

Es fiel Stojan nicht schwer, seine Sympathie mit diesen Leuten zu äußern. Es war ein gelungener Abend, netter, als er befürchtet hatte. Erst hatte er absagen wollen. „Ich kenne den doch gar nicht!“, hatte er zu Sonja gesagt. Er und seine Leute hatten ein Jahr zuvor bei einer Ermittlung, die bis nach Marburg reichte, gut mit Cem Yildiz zusammengearbeitet. Doch so etwas war für ihn kein ausreichender Grund, um einer privaten Geburtstagseinladung Folge zu leisten. Sonja hatte ihn letztlich überredet, und jetzt schien ihm klar zu sein, warum. Die beiden hatten was miteinander, und das fand er wiederum okay. Die passten zusammen.

Als das Niveau der Gespräche unter dem Einfluss weiterer bunter Getränke langsam zusammenbrach und gegen zwei Uhr dann die ersten deutsch-türkischen Witze erzählt wurden, vermisste er Jankowski. Helen hatte er auch lange nicht mehr gesehen. Wenigstens waren ihre türkischen Kavaliere mit den schwierigen Namen im Raum, das war ihm nicht unwichtig.

„Amüsierst du dich?“ Da war sie wieder. „Hast du nach Jankowski gefragt? Du hast doch gesagt, er sei im Krankenhaus? Schulter oder Ellenbogen?“

Richtig, der war gar nicht mitgekommen. „Schulter, ja.“ Beide waren sie dann der Meinung, es müsse reichen.

„Cem hat eine Mitfahrgelegenheit organisiert für uns. Mustafa kommt mit, der muss nach Frankenberg.“

„Hauptsache, der steigt dann auch aus“, murmelte Stojan, eben für Helen hörbar. Sie bedankten sich herzlich, grüßten in die Runde, Stojan winkte Sonja zu mit einem Lächeln, das schelmisch gemeint war. Helen ließ sich von Cem beide Wangen küssen, dann waren sie draußen. Sie kletterten auf die Rückbank des Mondeo. Mustafa saß schon auf dem Beifahrersitz, am Steuer Cems alter Schulfreund, der in Medebach wohnte und keine Probleme mit einem kleinen Schlenker auf dem Weg nach Hause hatte.

Stojan räumt auf

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