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Richtig oder falsch.

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Das Schlimmste an der Erziehung, wenn man überhaupt von einer Erziehung sprechen kann, war der Umstand, dass die beiden, Ludwig und Stefan nie wussten, ob das was sie taten richtig oder falsch war. Was heute Lob oder Anerkennung bedeutete konnte schon morgen eine drakonische Bestrafung hervorrufen. Ludwig und Stefan lebten quasi in einem Vakuum zwischen gut und böse, von Strafe und Belohnung.

Stefan verdeutlichte das an einem Beispiel, welches ihm in seinem ganzen Leben in Erinnerung blieb und aufzeigt in welchem Dilemma er sich befand. Er hatte unter den Schulkameraden gerne mal die große Klappe, vor allem wenn seine Freunde in der Nähe waren. Er hatte das Glück, dass ihn seine wirklichen Kameraden immer beschützten. Wenn ihn Andere verkloppen wollten, weil er wieder einmal frech war, so standen seine Kumpels schon bereit, um ihrerseits seinem Gegenüber eine Abreibung zu verpassen. Stefan konnte sich sehr viel herausnehmen.

Allerdings wenn die Gegner ihn dann einmal alleine erwischten, musste er beide Beine in die Hand nehmen und davon rennen. Gut manchmal war er dann zu langsam und bekam die Hiebe ab.

So kam es dann auch dass er auf dem Nachhauseweg von der Schule zwei Schwestern begegnete, die Ältere war, so schätzte er zwei Klassen über ihm und die Jüngere eine Klasse unter ihm. Nun kam es, dass er mutig wurde und die Beiden auf dem Heimweg hänselte und frech wurde. Die Größere der beiden Mädels wollte sich das nicht bieten lassen und drohte ihm Schläge an. Es ging so weit, dass Stefan es doch etwas mit der Angst zu tun bekam und zum Selbstschutz sein Lineal aus der Büchertasche holte. Lineale der damaligen Zeit waren nicht wie heute aus Plastik, nein das waren Holzlineale mit einer Schiene aus Aluminium, was wenn man es als Waffe benutzte recht starke Schmerzen verursachen konnte. Nun drohte er den Beiden seinerseits, doch leider spielte sich das Ganze in seiner Straße ab und zu seinem Unglück war sein Vati zu Hause und ging einer seiner Lieblingsbeschäftigungen nach, dem Leute beobachten. Er schaute aus dem Wohnzimmerfenster heraus auf den belebten Verkehrsweg und beobachtet die Menschen wie sie durch die Gegend hetzten während er sich einen Faulen machte. Stefan sah zu ihm hoch und dann wieder zu den Mädels, während sein Vater sich köstlich über die Situation amüsierte.

Er stand da und wusste nun nicht mehr wie er sich verhalten sollte. Schlug er mit dem Lineal nicht zu, konnte es passieren, dass er vom Gott Vater als Feigling gehänselt würde und somit wieder einmal zu seinem Gespött wurde. Wenn Stefan zuschlug, konnte er im geringsten Fall das Lob des Vaters erwarten oder noch schlimmer, Schläge kassieren, weil er auf die zwei Mädchen eingeschlagen hatte. Wie er es auch anstellte, eine Lösung fiel ihm nicht ein. Stefan entschloss sich das Weite vor den Mädchen zu suchen und hinter seiner Haustüre zu verschwinden.

Oben in der Wohnung angekommen erwartete er schon das Schlimmste, sein Erzieher stand schon hinter der Wohnungstüre und wartete auf ihn. Als er ihn sah, fing er sofort an ihn zu hänseln und über ihn zu lachen, was er doch für ein Weichei sei sich von Mädchen verjagen zu lassen. Seiner Auffassung nach hätte er die Beiden auf offener Straße verdreschen sollen aber so war Stefan in seinen Augen nichts weiter als eine Memme. Wenn dies auch in der Seele weh tat, so war es immer noch besser als von ihm wieder verprügelt zu werden.

Ein anderes Mal, Stefan war in der 2. Klasse, stieg er auf ein Fahrrad eines größeren Schülers, dass im überdachten Ständer stand. Dort waren die Räder in einer Art Schiene. Stefan spielte Radfahren und simulierte wilde Kurvenfahrten, hey, war das eine Freude. Als die große Pause vorbei war, ging er mit seinen Klassenkameraden in den Unterrichtsraum.

Am nächsten Tag wollte er das Spiel mit dem Fahrrad fortsetzen, als er von ein paar größeren Jungs gepackt und vom Rad gezerrt wurde. Er wusste nicht wie ihm geschah, riefen doch einige, das ist er, der war es und führten ihn quasi wie einen Schwerverbrecher ab und brachten ihn in ein Klassenzimmer zu einem Lehrer, Stefan kannte ihn nicht. Nun klärte sich alles auf, hatte er doch durch sein Spiel mit dem fremden Rad, die Speichenräder verbogen, es waren wie man sagt Achter drin und somit mussten sie repariert werden. Es wurde der große Bruder Ludwig geholt, die Adressdaten aufgenommen, dann konnte Stefan wieder gehen. Nun hatte er zu Hause schon mit dem Schlimmsten gerechnet. Als es Ludwig dem Vater erzählte, was sein kleiner Bruder so fürchterliches angestellt hatte, reagierte der ganz anders als erwartet. Er lachte sich einen Ast und die ganze Sache war vergessen. Ja auch das konnte Johann sein Vater sein.

Niemand konnte im Voraus nachvollziehen wie er wann reagieren würde. Am Schlimmsten war es für Stefan, wenn er wusste, dass sein Vater, Erzeuger, Sadist oder wie auch immer zu Hause war. Dann mussten alle dermaßen vorsichtig die Stimmung ausloten, welche Laune der Hausherr hatte. Jedes Mal, wenn Stefan an der Wohnungstür klingelte oder später als er einen Schlüssel hatte, selbst aufschloss, bekam er Herzklopfen und ein ganz schlechtes Gewissen. Wenn er dann merkte, dass sein Vati gut gelaunt war, konnte er erleichtert durchatmen. Aber wehe er hatte schlechte Laune, dann begrüßte Stefan seinen Vater freundlich, um sich dann sofort in das Kinderzimmer zu verdrücken. Selbst dort vermied er alles, was seinen Erzeuger hätte auf die Palme bringen können. Stefan befand sich dann in einer permanenten Angstsituation und dies sollte seine komplette Kindheit durchziehen. War der Vater die ganze Woche unterwegs und nur von Freitag bis Montag zu Hause, hatte Stefan wenigstens an vier Tagen in der Woche etwas seelische Entlastung. Es sei denn er hatte etwas angestellt, dass dann Mutter oder Bruder dem Familienoberhaupt hätten petzen können. Ja dann wurde die innere Unruhe bei Stefan von Tag zu Tag angespannter. Das ging so weit, dass Stefan in den Nächten von Donnerstag auf Freitag vor Angst kaum schlafen konnte. In der Schule konnte er sich in Folge ebenfalls kaum noch konzentrieren.

Die Angstzustände waren wieder permanent anwesend. Selbst wenn es Stefan nicht direkt betraf, so genügte es wenn sein Vater seine Wut an seinem Bruder Ludwig oder seiner Mutter Helma ausließ. Er zog sich dann so weit vom Streitherd zurück wie er konnte, meist im Kinderzimmer ins hinterste Eck und verhielt sich mucksmäuschenstill. Er hoffte dann immer nicht auch noch in den Focus des Vaters zu gelangen. Wenn dies geschah, dann half ihm niemand, keiner der in beschützte oder aus der Schusslinie nahm. Mit seinen Ängsten musste er ganz alleine zurecht kommen. Einmal, so erinnert er sich noch heute geriet sein Vater so in Rage, dass er unter lautem Geschrei das Geschirr aus dem Küchenschrank schmiss. Das Gescheppere und Klirren der zerberstenden Teller und Tassen auf dem Küchenboden erlebte der kleine Stefan wie einen Weltuntergang, der ihm das Blut in den Adern gefrieren ließ.

Im Nachhinein betrachtet war diese Ungewissheit schlimmer als wenn er immer gleich reagiert hätte, dann wäre er berechenbar gewesen. Im Rückblick hätte sich niemand über Stefans lange anhaltendes Bettnässen zu wundern brauchen, doch leider sahen seine Eltern den Zusammenhang nicht und so musste er auch dafür Demütigungen und Strafen einstecken.

Kaviar zum Nachtisch

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