Читать книгу Kaviar zum Nachtisch - Norbert Sandmann - Страница 8
Vati liebte den Ledergürtel
ОглавлениеDie Mutter brachte das Geld zum Leben nach Hause und versorgte so die Familie. Ihr war es immer sehr wichtig was Andere über sie und ihre Angehörigen denken könnten, deshalb musste auch immer der Schein gewahrt sein. Versorgt wurden die Jungs von ihr mit Lebensmittel, Kleidung und all den Sachen die Kinder so brauchen, doch an nötiger Liebe, Nähe und Wärme fehlte es zum Leidwesen ihres Nachwuchses gänzlich.
Wenn die Jungs vom Vater wiedermal verprügelt wurden, verhielt sich ihre Mutter wie immer ganz ruhig damit sie nicht auch noch ihre Schläge abbekam. Stefan musste sich mit heruntergelassener Hose und nacktem Hinterteil bäuchlings auf den bereitstehenden Hocker legen. Wenn der Vater dann seinen Ledergürtel aus seiner Hose zog und ihn knallen ließ, spätestens dann fing der Junge an vor Angst zu zittern. War er der Tyrann wieder einmal besonders pervers drauf, dann ließ er zwischen den einzelnen Hieben eine Weile vergehen bis der nächste Schlag auf Stefans Kinderpopo niederknallte. Zwischendurch ließ er meist einen undefinierbaren Ton aus seinem Mund zischen, der den nächsten Schlag ankündigen sollte. Nun erwartete Stefan den nächsten Hieb, doch der kam nicht. In dieser Zeit bis zum Aufschlag auf dem kleinen Hintern litt der Junge Todesängste. Um das Maß zum Überlaufen zu bringen, musste klein Stefan jeden einzelnen Schlag mitzählen. Wehe dem er brachte die richtige Anzahl vor Schmerzen nicht laut genug aus seinem kleinen Mund, ja dann gab es extra Hiebe. Die gellenden Schmerzensschreie jedes Mal, wenn der Ledergürtel auf den nackten Hintern von Stefan oder Ludwig aufschlug und erneut schmerzende Spuren der Gewalterziehung hinterließ, sollten sich in seinem Gedächtnis förmlich einbrennen. Ob der Peiniger danach Spermaspuren in seiner Feinrippunterhose hatte vermag Stefan nicht behaupten, doch vorstellen kann er es sich heute. Auch die Backpfeifen, bei denen der Kleine durchs Zimmer flog, nahm die Mutter als gegeben hin.
Während andere Mütter sich schützend vor ihre Sprösslinge stellten und Konsequenzen zogen, indem sie die Flucht mit ihren Zöglingen wählten, achtete sie nur darauf so wenig wie möglich selbst verprügelt zu werden. Wenn auch in den 1960er Jahren die Frauen geringere Rechte hatten als heutzutage, hätte gerade sie die Möglichkeit gehabt kurzfristig bei ihrer Verwandtschaft mit den Kindern unterzukommen.
Nicht selten war auch nur sie das Ziel seiner Wutausbrüche und die beiden Kinder hatten dafür ihre Ruhe. Ihren Frieden hatten sie nur in Form von körperlicher Gewalt, die Psyche litt jedes Mal mit. Die Situationen waren mehr als belastend für alle. Stefan zog sich dann immer ängstlich zurück und hoffte auf ein baldiges Ende von Geschrei und Gewalt. Ihre Langzeitschäden an der Psyche waren nachhaltig. Die Angst schwang bei Stefan immer mit, da war es egal wer von den dreien gerade Prügel bezog. Er war sehr lange ein Bettnässer, was zusätzlich die Psyche belastete. Seine Selbstzweifel wurden enorm groß.
An alles in früher Kindheit konnte Stefan sich nicht erinnern. Eines seiner ersten negativen Erfahrungen, die ihm in seiner Erinnerung haften geblieben sind, ist eine Begebenheit im Schwimmbad. Es dürfte im Alter von vier bis fünf Jahren gewesen sein als die Familie an einem heißen Sommertag im örtlichen Freibad zum Baden und Planschen war. Stefan konnte nicht schwimmen und verbrachte daher etwas Zeit mit seiner Mutter am Planschbecken für die Kleinsten. Etwas Zeit deshalb, weil es seiner Mutti dort nicht gefiel, sie legte sich lieber auf die ausgebreitete Decke von wo aus sie das Schwimmerbecken mit seinem 10 Meter Sprungturm und den Springern beobachten konnte.
Stefan hatte leider nicht besonders viel Gelegenheit zum Spielen im Wasser. Sein Vater kam auf die Idee mit seinem Jüngsten zum Nichtschwimmerbecken zu laufen. Stefan gefiel es dort nicht, denn das Bassin war für ihn zu tief, zudem hatte er schon so eine Ahnung. Trotzdem nahm sein Vater ihn den kleinen Mann auf den Arm und ging mit ihm an den Beckenrand, Der Junge schrie bereits wie am Spieß, denn er wusste was kommen würde.
Während sich Stefan am Hals seines Vaters festhielt, löste der die Umklammerung und warf ihn in hohem Bogen ins Wasser. Als sein Sohn ins Nasse klatschte und unterging, bekam er Panik, schluckte noch mehr Wasser, kam wieder an die Luft, schrie erneut und es kam noch mehr Flüssigkeit in die Lunge. Stefan stand Todesängste aus als im nächsten Moment der kleine Körper gepackt und aus dem Schwimmbecken gehoben wurde, es war sein Vati, der ihn vorm Ertrinken gerettet hatte. Es dauerte eine ganze Weile bis sich der kleine Mann wieder beruhigte. Es sollte noch Jahre brauchen, bis Stefan die Angst vorm tiefen Wasser verlor und das Schwimmen trotz zweier Schwimmkurse nicht lernte.
Sein späterer Klassenlehrer Herr Schmidt, der für Stefan wie eine Art Vaterersatz war und der ihn ab der siebten Klasse, da war Stefan dreizehn, positiv beeinflusste. Er nahm sich die Zeit, seinem Schüler das Schwimmen beizubringen und ihm die Angst vorm tiefen Wasser zu nehmen. Durch den positiven Einfluss konnte dank Herrn Schmidt, Stefan langsam lernen was falsch und richtig war. Manchmal schickt das Schicksal zum richtigen Zeitpunkt den richtigen Menschen.
Ein weiteres einschneidendes Erlebnis hatte Stefan als er fünf Jahre alt war. Eines Morgens wachte er auf und wusste nicht, wo er sich befand. Ein Bein tat ihm weh und es fühlte sich seltsam schwer an. Vorsichtig langte er unter die Bettdecke, es war etwas Hartes außen am Bein. Was war los, das Bett kannte er nicht und es waren noch andere Kinder im Zimmer. Stefan war verstört, er fing an zu weinen, weil er es mit der Angst zu tun bekam. Es dauerte nicht lange und die Türe zu dem seltsamen Raum öffnete sich und eine Nonne kam auf ihn zu, um ihn zu beruhigen. Als Stefan endlich wieder ruhiger wurde, erklärte die Frau in ihrer blau weißen Tracht, sie hieß Schwester Edelgard, was passiert war. Er hatte einen schweren Autounfall bei dem sein rechtes Bein gebrochen wurde, dass nun vom Fuß bis zum Oberschenkel eingegipst war.
Wie Stefan erst ein paar Tage später erfuhr, wollte er über die viel befahrene Straße vor seinem Haus laufen und rannte genau in ein fahrendes Auto. An den Unfalltag kann er sich bis heute nicht erinnern, er ist aus seinem Gedächtnis gelöscht. Was damals fast noch schlimmer als der Gips am Bein war, dass von seiner Familie niemand in das Krankenzimmer durfte. Den anderen Kindern ging es genauso.
Die Besucher durften nur durch eine kleine Scheibe in der Türe zu ihren Kindern gucken. Von innen sah man dann das jeweilige Gesicht, aber nur dann, wenn sich nicht die Sonne in dem Fenster spiegelte. Wer weiß heute noch warum man das damals den Kindern angetan hatte. Jedenfalls gab es da immer wieder schreckliche Szenen, vor allem wenn Neulinge ins Krankenzimmer kamen. Bei Stefan machte man dann ziemlich schnell eine Ausnahme, da er für mindestens ein viertel Jahr dort bleiben musste. Daher fuhren ihn die Schwestern mit seinem Bett jeweils an den Sonntagen raus auf den Gang, damit er die Besuchszeit mit seinen Eltern, Großeltern und seinem Bruder verbringen konnte. Im Nachhinein betrachtet hatte die Zeit im Krankenhaus auch etwas Gutes, es gab weder Geschrei noch Prügelstrafen.