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Vor seiner Zeit

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Um so manche Verhaltensweisen von Stefans Erzeuger, Jahrgang 1933 und 1934 verstehen zu können, muss ich in deren Vergangenheit, die Zeit, in die sie hinein geboren wurden, näher betrachten. Es war die dunkle Epoche des Nationalsozialismus, eine Periode in der Sprüche gedeihen sollten wie „Was uns nicht tötet, macht uns nur um so härter“ oder „In unseren Augen muss die deutsche Jugend der Zukunft schlank und rank sein, flink wie Windhunde, zäh wie Leder und hart wie Kruppstahl“.1)

So sollte die „Deutsche Elite“ herangezogen werden, so wollten es ein gewisser Herr Adolf Hitler und seine Schergen. Wie konnten die Nazis am besten Einfluss auf den Nachwuchs und Jugendlichen unserer Großeltern und Urgroßeltern nehmen? Ganz einfach und irgendwie genial, sie gründeten die „Hitlerjugend“ und den „Bund Deutscher Mädels“ kurz HJ und BDM zu denen fast alle Kinder beitreten mussten. Alle anderen existierenden Jugendbewegungen wurden verboten. Ausgenommen waren Kranke, Schwache und Juden, also nur wertvolle, starke Kinder im Auge der Nationalsozialisten. Diese Zöglinge konnten spielerisch im Sinne des Nationalsozialismus erzogen werden. So forderte das NS-Regime seine Mütter auf ihre Babys emotionslos und bindungsarm zu erziehen und ihre Bedürfnisse zu ignorieren.2)

Wie man heute weiß, hatte gerade diese Generation der so erzogenen Kinder, Probleme ihre eigenen Nachkommen liebevoll zu erziehen. Stattdessen wurden die alten Erziehungsmethoden der Nazis weiter angewandt.3)

Viel ist über die frühen Jahre Stefans Erzeugers, der im vormaligen Schlesien (heute Polen) aufwuchs, nicht bekannt. Nur soviel, dass er im Alter von 12 Jahren mit Mutter und Schwester 1945 vor der herannahenden russischen Front in das Gebiet der ehemaligen DDR floh. Er lernte als Volkspolizist der kasernierten Volkspolizei (KVP) Stefans Mutti Helma kennen.

Helma wuchs im Sudetenland auf und gerade hier waren die fanatischsten Anhänger der Nationalsozialisten zu finden. Das Sudetengebiet waren nicht zusammenhängende Regionen auf dem Gebiet der ehemaligen Tschechoslowakei entlang der Grenze von Deutschland und Österreich. Sie erstreckten sich im Norden von Schlesien über Sachsen und Bayern bis nach Österreich. Als das Areal 1938 durch die Besetzung der Sudetengebiete durch die Deutsche Wehrmacht „heim ins Reich geholt wurde“ (Originalton 1938), lebten hier ca. 3,63 Millionen überwiegend Deutsche, was auch die große fanatische Anhängerschaft der Sudeten zu Hitler offenlegte.

Das Verhältnis seiner Mutter zu seiner Oma ist so zu erklären. Hier wurde wohl die Doktrin der emotionslosen Erziehung zu genau genommen.

Dieselbe Erziehungsmethode übertrug sie später auf Stefan. Auch musste sie mit ihrer Mutter, 1945 im Alter von 11 Jahren ihre Heimat von einem Tag auf den Anderen verlassen und wurde ins heutige Sachsen vertrieben. Eigenen Angaben zufolge musste die elfjährige Helma nicht das Schicksal zehntausender anderer Mädchen und Frauen teilen, eine Vergewaltigung durch die neuen Machthaber blieb ihr erspart.

Nach dem sich seine Eltern kennenlernten und heirateten, kam sein älterer Bruder Ludwig als Bürger der Deutschen Demokratischen Republik (DDR) zur Welt. Im Herbst 1959, also noch vor dem Bau der Berliner Mauer 1961 bestiegen seine späteren Erziehungsberechtigten den Zug von Karl-Marx-Stadt (heute wieder Chemnitz) in die Hauptstadt der DDR nach Berlin. Mit leichtem Gepäck und immer die Angst im Nacken in eine Kontrolle zu geraten. Eine Überprüfung hätte zum Ende der Flucht geführt und die Verhaftung mit einer jahrelangen Zuchthausstrafe bedeutet.

In Berlin angekommen gingen sie zu Fuß über die Sektorengrenze vom russischem Bereich nach West-Berlin, in den amerikanischen Bezirk. Wie bereits erwähnt stand zu diesem Zeitpunkt der „Antifaschistische Schutzwall“, wie er offiziell in der Deutschen Demokratischen Republik hieß, noch nicht. Allerdings wurden Passanten von DDR-Soldaten kontrolliert. Nach der Registrierung im Berliner Notaufnahmelager Marienfelde ging es direkt zum ehemaligen Flugplatz Berlin-Tempelhof um von hier aus nach Frankfurt a.M. zu fliegen.

Hier wurden beide bereits von Onkel Edwin erwartet, dessen Familie erst einmal Unterschlupf gewährte. Ein paar Tage vorher reiste seine Omi mit seinem Bruder Ludwig per Interzonenzug und entsprechendem Visum nach Hof in Bayern. Rentner und kleine Kinder durften zu diesem Zeitpunkt aus der DDR in den Westen ausreisen.

Hintergrund, dass Rentner ausreisen durften, war für die Machthaber in der DDR, auch Ostzone genannt, Ruheständler waren wirtschaftlich wertlos. Im Gegenteil sie kosteten dem Staat nur Geld, wie etwa die Rente. Daher hofften die Kommunisten in der Ostzone, dass möglichst viele Rentner im Westen bleiben würden.

Nun am Bahnhof von Hof mit Enkel und Koffer angekommen wurden sie auch von Onkel Edwin abgeholt und kamen so in den fränkischen Ort Schoningen im Norden von Bayern. Hier hatte sich bereits eine ihrer Schwestern mit Familie niedergelassen. Jetzt kamen noch seine Eltern dazu, auf engstem Raum wurden sie untergebracht, es war erst einmal ein Provisorium. Nach einigen Monaten fand seine Oma eine kleine Wohnung bei Nachbarn und die Eltern zogen in eine Neubauwohnung in eine andere Ortschaft, ca. 12 km entfernt.

Zu dem Zeitpunkt war Stefan dann schon unterwegs. Laut Überlieferung muss wohl zu diesem Augenblick sein 5 Jahre älterer Bruder Ludwig sich dahingehend geäußert haben, „Wenn der auf der Welt ist, dann hacke ich ihm den Kopf ab“. Im Nachhinein betrachtet, lässt es die Vermutung zu, dass er, der Bruder schon damals vom Vater der in immer abfällig Heini nannte, stark zurückgesetzt wurde. Noch in den 1960er Jahren war in der Schulliteratur Heini ein Synonym für einen Jungen mit Lernschwierigkeiten, also einen jungen Mann mit geistiger Behinderung oder wie man damals umgangssprachlich und abwertend sagte ein „Dorfdepp“. Wie hätte sonst die Eifersucht auf seinen künftigen Bruder Stefan, dem Ungeborenen so groß sein können.

Kaviar zum Nachtisch

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